Roland Günter: Fotografie als Waffe
Bei Roland Günters Buch handelt es
sich — so der Untertitel — um die „Ge-
schichte der sozialdokumentarischen Fo-
tografie‘“, die unter den Gesichtspunkten
„einer sozialwissenschaftlich orientierten
Ästhetik“ untersucht wird. Es ist der
dritte Band zu diesem Thema, welcher
jedoch aus Gründen der Aktualität vorge-
zogen wurde, denn — so der Autor: „Ak:
tualität muß für den Wissenschaftler eine
Verpflichtung sein: jetzt müssen wichti-
ge Aufgaben gelöst werden — jetzt. Ein
Wissenschaftler darf sich zukünftig nicht
mehr aus dieser Verpflichtung davonsteh-
len‘.
Günter /st Wissenschaftler (er ist als
Professor für Kunst- und Hüttengeschich-
te tätig), was sich schon in der Menge
des verarbeiteten Quellenmaterials aus-
drückt. Ein Viertel des Buches (!) be-
steht aus Anmerkungen und Literatur-
nachweisen, erhebt jedoch keinen An-
spruch auf Vollständigkeit, was bei der
Fülle und der Verstreutheit des Materials
wohl auch nicht zu leisten wäre.
Das Buch ist in vier Kapitel unterteilt:
1. Frühe Sozialfotografie, 2. Analytische
Sozialfotografie und Fotoreportage, 3.
Fotografie als Waffe und 4. Die fort-
schrittlichen Möglichkeiten der Sozialfo-
tografie.
Im ersten Kapitel untersucht der Au-
tor, was Sozialfotografie ist und erkennt,
daß „nicht alles ... Sozialfotografie
(ist), was sich dafür ausgibt‘ und daß Fo-
tos von bestimmten Interessen gelenkt
werden und daher parteilich sind.
Günter geht in den folgenden Ab-
schnitten auf die Geschichte der Sozial-
fotografie ein und weist nach, daß die
Fotografie der „„‚malerischen‘” Armut, der
subkulturellen Boheme und des Lumpen-
proletariats großbürgerlich gelenkte Fo-
tografie ist, die den Zweck hat, Vorur-
teile zu bestätigen — oder zumindest poli-
tisch irrelevant ist, da der Fotograf die
Menschen nicht liebt, sondern nur das
Malerische an seiner Situation hervorhe-
ben will, mit dem Anspruch, Kunst pro-
duziert zu haben.
Im weiteren geht der Autor in diesem
Kapitel auf echte Sozialfotografie ein
und. auf gute Ansätze — wie die ameri-
kanische „Film und Photo League‘ —,
die jedoch zum Scheitern verurteilt wa-
ren.
Im zweiten Kapitel stellt Günter die
Sozialfotografen Z///e und Sander vor,
geht auf Arbeiterfotografie ein und zeigt
auf, daß die Foto-Reportage besonders
geeignet ist, den Arbeiter zu erreichen,
weil der eine Kultur hat, „‚in der das Vi-
suelle eine außerordentlich große Rolle
spielt‘, denn „sein täglicher Umgang ist
nicht das Gedruckte, sondern der Um-
gang mit Werkstücken.‘‘ Ferner entwik-
kelt sich die Reportage „in Form der
Geschichte, die sich Stück für Stück ent-
hüllt‘‘, was der Darstellungsweise der Ar-
beiter entspricht. Günter geht dann noch
im einzelnen auf Fotoreportagen ein, die
im Ruhrgebiet in Verbindung mit Bürger-
Initiativen gelaufen sind und welche deut-
lich machen, was engagierte Sozialfoto-
grafie zu leisten vermag.
Das dritte Kapitel ist der Fotografie
als Waffe gewidmet. Der Autor geht auch
hier historisch vor und weist nach, daß
der wirtschaftliche Expansionszwang der
Foto-Industrie zur Folge hat, daß die >
Massen ein Produktionsmittel erhalten,
was wiederum zur Folge hat, daß Arbei-
ter anfangen, selbst zu fotografieren. Im
weiteren widmet der Autor einen Arti-
kel der Fotomontage, geht dabei. auf die
Bilder von Heartfield und Staeck näher
ein und gibt sogar eine Anleitung zum
Fotomontieren, sowie eine Anleitung
zum Ausstellen.
Im /etzten Kapitel schließlich beschäf-
tigt sich der Autor mit den Möglichkei-
ten, die die heutige Sozialfotografie im
politischen Kampf hat. Er geht dabei so
ziologisch vor und untersucht u.a. wie
visuelle Phänomene gespeichert werden
und welche Folgen dies hat.
Dem durch wissenschaftliches Studium
„verdorbenen“ Leser fällt es sicher an
einigen. Stellen schwer, dieses Buch zu
begreifen. Er wartet auf die Erklärung
des Autors zu bestimmten Punkten und
wird sich enttäuscht sehen, da dieser
das umfangreiche Material (fast) ohne Er-
läuterung vorstellt. Er macht es vielmehr
durch — gewissermaßen montierte — Zi-
tate transparent,indem der Autor so vor-
geht, wird dieses Buch für mehrere Le-
serschichten verständlich. Das ‚,nicht-
wissenschaftliche‘‘ Publikum versteht
dieses Buch durch seine klare Gliederung
und der gut verständlichen Sprache des
Verfassers. Für die „wissenschaftlichen‘‘
Leser ist das vierte Kapitel geschrieben,
in dem der Autor die Sozialfotografie
und deren Möglichkeiten aus soziologi-
scher Sicht untersucht.
Dem Autor wird sicherlich der Vor-
wurf gemacht werden, daß dieses Buch
ideologisch gefärbt sei; aber Günter woll-
te ja auch kein Geschichtsbuch der Foto-
grafie schreiben (davon gibt es genug),
sondern engagiert Partei ergreifen für Ar-
beiter, für sozial Schwächere und für
Randgruppen und er wollte zeigen, daß
das Medium Fotografie für den Kampf
dieser Gruppen eine geeignete Waffe sei.
Mir scheint, dies ist ihm gelungen.
Der Autor schreibt:
„Es darf nicht irritieren, daß das Ma-
ximum an Fototechnik und Präsenta-
tionsfähigkeit von Fotografen mitent-
wickelt wurde, die — vor allem auch
heute — für die Werbung arbeiten. Ge-
rade umgekehrt: da die soziale Bewegung,
in der wir arbeiten, keine asketische
Glaubenssekte sein kann, müssen wir die
entwickeltesten kulturellen und ästheti-
schen Formen aufgreifen und für unsere
Ziele nutzbar machen.‘ Voila!
Rolf J. Rutzen
Fortsetzung von Seite 49
geben worden, in: Sul concetto di tipolo-
gia architettonica (in: ‘Boll, A. Palladio‘
Vorlesungen, gehalten an der Architektur-
fakultät Rom und dann in: Progetto e de-
stino). Außerdem ist unter den vielen aus-
ländischen Beiträgen der Buchanan Report
über Verkehr in der Stadt anzuführen: Traf
fic in Towns, London, HMSO, 1963, The
Planning of a New Town, LCC, London
1961, Geoffrey Copcutt, Planning and De:
signing the Central Areas of Cumbernauld
New Town, London 1965.
2)
Vgl. A. Rossi, L‘Architettura delle Citta.
G. Canella, Relazioni fra morfologia, ti-
pilogia dell’organisma architettonico e
ambiente fisico, in: ‘Utopie della realita ,
S. 66, und Il sistema teatrale di Milano,
C. Aymonino e P.L. Giordani, | Centri di-
rezionali.
3) eine kurze historische Analyse der typolo-
gischen Kritik des sechzehnten Jahrhun-
derts hat Collins vorgelegt, vgl. P. Collins,
Changing Ideals, Rationalism and New
Planning Problems (vgl. aber auch: Giusta
Nicco Fasola, Ragionamenti sull‘architettu-
ra, Macri, Citta di Castello, passim).
Für die Überprüfung der Bedeutung einer
aktuellen Beschäftigung mit einem rigoro-
sen Kritizismus ist auch die von Aymonino
vorgeschlagene Wiederaufnahme der typolo-
gischen Kritk der Aufklärung interessant,
vgl. C. Aymonino, La Formazione del con-
cetto di tipologia edilizia, CLUVA, Venezia,
1965.
nn