Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1978, Jg. 10, H. 37-42)

zu lassen. Noch ist offen, wie ein solcher 
„Quartiersrat’” zu organisieren ist, welche 
Kompetenzen er haben kann, wie er sich 
überhaupt neben den gewählten Gremien 
des Landes Berlin und des Bezirks Kreuz- 
berg behaupten und sinnvoll wirken kann. 
Gedacht ist dieses Gremium als Träger und 
Vermittler aller aus dem Gebiet kommen- 
den Aktivitäten und Initiativen, das im 
Vorfeld des verfassungsmäßigen Entschei- 
dungsprozesses arbeitet. 
Da eine tragfähige Basis für eine Bürger- 
vertretung noch geschaffen werden muß, 
sollen die Bewohner über die bereits im 
Gebiet aktiv arbeitenden freien Gruppen 
angesprochen werden. Es soll versucht wer- 
den, die „Aktivgruppen”’, vom Schreber- 
gartenverein über die freien sozialen Dien- 
ste bis hin zu den Initiativen der Nachbar- 
schaftshilfe, für die Motivierung und Akti- 
vierung der Bewohner zu gewinnen. Es 
wird erwartet, daß der Einsatz der Aktiv- 
gruppen für die Durchsetzung der „Strate- 
gien’’ das Interesse der Bewohner soweit 
anregen kann, daß sich weitere haus- oder 
blockbezogene Nachbarschaftsgruppen bil- 
den, die das Programm der Wiederbelebung 
Kreuzbergs tragen und gestalten können. 
Als weitere Maßnahme soll ein Verein 
oder eine Stiftung „Kreuzberg SO 36" ge- 
gründet werden, der die verschiedenen Ak- 
tivitäten im Gebiet unterstützen und för- 
dern soll. Der Schwerpunkt liegt auch hier 
auf der Aktivierung der Bürger durch die 
Mitarbeiter des Vereins, vor allem aber in 
der Betreuung und Beratung der Mieter 
und Eigentümer bei den verschiedenen 
Modernisierungsvorhaben. 
Soziale Fragen 
Die stadträumliche Abgeschiedenheit 
des Kreuzberger Südostens, seine ‚„Quali- 
tät” als Billigwohnquartier, die traditio- 
nelle Vernachlässigung des Gebiets in der 
Stadtentwicklungspolitik und die daraus 
resultierende Investitionsunlust und Ver- 
schlechterung der Bausubstanz haben 
SO 36 zu einem Auffangbecken für sozia- 
le Rand- und Problemgruppen werden las- 
sen. Soziale Probleme treten daher hier 
— auch im Zusammenhang mit einer un- 
genügenden sozialen Infrastruktur — mas- 
siver und schärfer in Erscheinung als an- 
derswo und bedürfen im Rahmen eines 
umfassenden Erneuerungsprogramms 
gezielter Strategien: 
Ein „Stadtteilzentrum”’ soll für die 
Zusammenfassung aller sozialen Dienste 
eingerichtet werden. Programmatisches 
Ziel dieses Zentrums ist die personenbe- 
zogene Gesamthilfe, die die Zersplitterung 
der Sozialhilfe in Teilprobleme mit allen 
damit verbundenen Nachteilen für den 
Hilfs- und Beratungsbedürftigen aufheben 
soll, wie Verschiebung von Dienststelle 
zu Dienststelle, Warten in Vorzimmern, 
jedesmal neue Schwellenangst usw. 
Das Problem der hohen Ausländerdich- 
te, insbesondere Türken, und die damit 
verbundenen Schwierigkeiten im Zusam- 
menleben von Deutschen und Ausländern 
werden in dem hier ausgewählten Konzept 
vor allem als Problem der Deutschen m it 
Ausländern begriffen. Es sollen Lösungsan- 
sätze ausgearbeitet werden, die ein besseres 
Miteinanderleben ermöglichen, ohne daß 
eine Gruppe ihrer kulturellen Identität 
verlustig gehen muß. 
Mit einer „Stadtteilschule’ soll die 
Integration arbeitsloser Jugendlicher in 
den Ausbildungs- und Arbeitsprozeß im 
Rahmen der Modernisierung versucht 
werden. Theorie und Praxis sollen ver- 
bunden werden, selbstbestimmtes Lernen 
ermöglicht und so auch schulmüden Ju- 
gendlichen noch ein Weg zu einer Lehre 
geebnet werden. 
Gezielte Darlehens- und Zuschußförde- 
rung auch für Mieter, die den Moderni- 
sierungsaufwand weitgehend selbst be- 
stimmen und das erforderliche Kapital 
und damit zugleich die resultierende 
Miete durch Einsatz von Eigenleistun- 
gen senken können. 
Minimalmodernisierung (z.B. Einbau von 
WC’s, wo diese noch auf dem Hof sind), 
deren umlagefähige Kosten einen Miet- 
preis zur Folge haben, der die Richt- 
wertmiete nicht übersteigt. 
Modernisierung ausschließlich durch die 
Mieter in Selbsthilfe bei entsprechender 
langfristiger Absicherung des Mietver- 
hältnisses und der Miethöhe. Instandset- 
zung durch den Eigentümer ist über 
rechtliche Gebote sicherzustellen. 
Wohnumgebung 
Ein Impuls, der Bevölkerung die Hoff- 
nung auf eine bessere Zukunft zu vermit- 
teln, können und müssen Maßnahmen der 
Dreh- und Angelpunkt aller Kreuzber- Öffentlichen Hand im städtischen Umfeld 
ger Probleme ist die Verwahrlosung der sein, die nicht nur das Ziel der Verbesse- 
Gebäude. Schon für Unterprivilegierte, rung der städtebaulichen Situation verfol- 
eingewanderte schlesische Arbeiter errich- gen, sondern auch den Bewohnern das Ge- 
tet, über Jahrzehnte vernachlässigt und fühl vermitteln, daß in Kreuzberg „etwas 
fast ausschließlich als Renditeobjekte aus- getan’ wird. Die Bewußtheit der städte- 
gebeutet, waren sie der Anlaß für die baulichen Defizite hat insbesondere die 
Kreuzberger Problemkonzentration. Die Bürger in der Projektkommission veran- 
nach der Teilung Berlins fast hoffnungs- laßt, einen Maßnahmenvorschlag auszu- 
lose städtebauliche Situation und der zum wählen, der eine stärkere Identifikation 
großen Teil schon menschenunwürdige Zu: der Bewohner mit ihrer Wohnumgebung 
stand vieler Wohnungen in SO 36 sind in zur Folge haben kann. Durch Umbau 
erster Linie verantwortlich für die Mutlo- einer Straßenkreuzung und eines dazuge- 
sigkeit und Resignation der Bewohner. hörigen Straßenzuges soll die Fußwegzo- 
Damit konfrontiert, verbessern jene, die ne ausgeweitet und durch entsprechende 
finanziell dazu in der Lage sind, ihre Le- Gestaltung und Freizeitangebote besser 
bensverhältnisse durch Fortzug. Soll das nutzbar gemacht werden. Zusätzlich soll 
Ziel der Revitalisierung Kreuzbergs er- durch die Anlage von kleinen Vorgärten 
reicht werden, muß daher jede Strategie das Defizit an wohnungsnahem Grün ge- 
zuerst an der Verbesserung der städtebau- mildert und mit der Pflege und Nutzung 
lichen und baulichen Situation ansetzen dieser privaten Grünflächen das Interesse 
— obwohl dies allein nicht ausreicht. und die Bindung der Anwohner an ihrer 
Allein vier Arbeiten wurden ausgewählt, unmittelbaren Wohnumgebung gestärkt 
die versuchen, durch neuartige, bisher noch werden. 
nicht durchgeführte Modelle zur Finanzie- 
rung von Instandsetzung und Modernisie- 
rung den Teufelskreis aus vernachlässig- 
ter Instandhaltung, dadurch erhöhtem 
Kapitalbedarf für die Instandsetzung und 
Durchführung der notwendigen Moderni- 
sierungsmaßnahmen ohne unzumutbare 
Mietpreiserhöhungen zu durchbrechen. 
Träger aller dieser Modelle ist der Mieter 
als Partner des Eigentümers bzw. der Mie- 
ter als Mieteigentümer. Für folgende Mög- 
lichkeiten sollen Interessenten gefunden 
werden: 
— Mietkauf mit langfristiger Rückzahlung 
der Erwerbskosten und Kosten von 
Instandsetzung und Modernisierung 
über tragbare Mieten. Ziel ist mit den 
Eigentums- und Nutzungsrechten am 
Haus die Bindung des Mieters an die 
Wohnung zu stärken. und die Instand- 
haltungsbereitschaft zu erhöhen. 
Die Gruppen, deren Arbeiten von der 
Projektkommission ausgewählt wurden, 
haben in der 2. Wettbewerbsphase den 
Auftrag, ihre Ideen zu konkreten Projek- 
ten zu verdichten. Die Projektkommission 
gab ihnen hierfür „Empfehlungen” an die 
Hand. Diese enthielten eine kritische 
Würdigung der Arbeit, Ausgrenzung von 
Teilaspekten der Arbeiten, Schwerpunkte 
der erwarteten Projektarbeit, gute Vor- 
schläge aus anderen Arbeiten („„Vorschlags- 
liste”), Ratschläge zur Zusammenarbeit 
mit anderen Projektgruppen, Ansprechpart- 
ner in der Projektkommission und im 
Quartier. Diese „Empfehlungen” wurden 
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