Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1978, Jg. 10, H. 37-42)

Aldo Rossi: Rathaus in Muggio (Wettb.), 1972 
Die einzigen externen Bezüge bei einer der- 
art “internalisierten’” Leseart ergeben sich 
aus den dem sprachlichen Objekt inhären- 
ten Brüchen. So ist diese durch die Kritik 
erzeugte ‘“Verdoppelung‘” mehr als ledig- 
lich die Konstruktion einer ‘zweiten Spra- 
che”, die nur über den Originaltext gelegt 
wird, wie es Roland Barthes interpretierte 
9). Die Aufstellung typologischer Modelle, 
ist, wie Emilio Garroni richtig gesehen hat, 
der einzige MON Weg, Systeme und 
Bezugs-Codes 0) auszufiltern; er kann 
dann sinnvoll sein, wenn sich mit den Mo- 
dellen folgendes ermöglichen läßt: 
1. die Bestimmung einer Reihe von struk- 
turellen Konstanten zur Formulierung 
einer Bezugsbasis, von der aus der Inno- 
vationsgrad eines architektonischen Ex- 
perimentes meRßbar wird (ein hervorra- 
gendes Beispiel hierfür ist die von Rudolf 
Wittkower entwickelte Typologie der Pal- 
ladischen Villa; und 
2. ein dynamischer Vergleich zwischen den 
Reihen der strukturellen Konstanten und 
denjenigen Strukturen, die die Möglichkeit 
der Existenz von Architektur überhaupt. 
Diese oben beschriebene Methode kennt 
nicht die Trennung in Struktur und Super- 
Aldo Rossi: Schule in Fagnano Olona, 1973. 
Lageplan. 
Aldo Rossi und Gianni Braghieri: Entwurf für einen Friedhof in Modena (Wettb.), 1971, Perspektive 
struktur. Es besteht nur die Notwendigkeit 
zur Fertigstellung der Analyse als Test für 
die “Funktion” des Kommunikationssy 
stems. Dennoch erfordert der sprachliche 
Diskurs weitere Klarstellungen. Die Kritik 
muß deutlich ihre Rolle in Bezug auf die 
verwickelten architektonischen Vorschlä- 
ge hin formulieren. 
Im Grenzfall werden die residualen 
sprachlichen Elemente, d.h. jene Aspekte 
der Wirklichkeit, welche noch nicht in der 
reinen Form aufgelöst sind, mit einem 
Schlage beseitigt, so in der Architektur 
von James Stirling, Louis Kahn oder Victor 
Lundy. Hier wird das Zufällige angesichts 
der absoluten Gegenwart der Form zu 
einem ‘’Skandal”’, besonders der Zufall par 
excellance, die Gegenwart des Menschen. 
Die Forschungen von A/do Rossi liefern 
ein ausgezeichnetes Beispiel zur Illustrati- 
on eines Themas, das unerbittlich den Ent- 
Wick lungswen der gesamten modernen 
Kunst teilt 17). Rossi antwortet auf die 
Poetik der Ambiguität eines John Johansen 
oder eines Robert Venturi mit der Befrei- 
ung der Architektur von jeder Bindung an 
die Wirklichkeit, von jeder Störung durch 
das Alltägliche bzw. den Zufall mittels 
eines in sich strukturierten Zeichensystems. 
Der “Skandal” der Architektur Stirlings 
ist der Mensch, der in einer Spannung zwi- 
schen der Architektur als bloßem Objekt 
und der Architektur als Redundanz herme- 
tisch verlaufender Kommunikationen ge- 
halten wird. Die Architektur Rossi’s ver- 
meidet diesen Skandal. Die Beschwörung 
der Form, die sie hervorruft, schließt jede 
externe Legitimation aus. Die spezifi- 
schen Eigenschaften der Architektur ver- 
danken sich einem Universum sorgfältig 
selektierter Zeichen, die nach dem Gesetz 
des Ausschließens bestimmt werden. Ros- 
si trägt, angefangen mit Segrate (1965) 
über die Entwürfe für die Stadthalle von 
Muggio (1972) bis zum Friedhof von Mo- 
dena (1971), ein Formenalphabet vor, 
das sich jeder Artikulation verweigert. 
Als abstrakte Repräsentationen einer 
eigenen, willkürlichen Gesetzmäßigkeit 
schafft er ein eigenes artifizielles Reich. 
Mit diesen Mitteln fällt die Architektur 
auf die strukturelle Ebene ihrer eigenen 
Sprache zurück. Als Zur-Schau-Stellung 
einer Syntax leerer Zeichen, programmier- 
ter Exklusionen und rigoroser Beschrän- 
kungen enthüllt sie den starren Charakter 
einer willkürlichen und falschen Dialektik 
zwischen Freiheit und Normen. wie sie 
für die sprachliche Ordnung bestimmend 
ist. “Reine Kunst’, Gegenstand einer be- 
rühmten Diskussion zwischen Walter Ben- 
jamin und Theodor W. Adorno, demon- 
striert in solchen Werken ihr eigenes Le- 
gitimationsprinzip. 
Das entleerte Zeichen wird so zu einem 
Instrument für die Methaphysik eines de 
Chiroco, des traumähnlichen Realismus der 
Neuen Sachlichkeit, und für die erstaunli- 
chen Rätsel, die die Schule des Nouveau 
Regard12) in die Objekte hineinzuprojizie- 
ren vermag. Mit diesen teilt Rossi nur eine 
Art enttäuschter Nostalgie für die Struktur 
der Kommunikation. Aber für ihn ist es eine 
Kommunikation, die von nichts anderem 
zu erzählen weiß als von der endlichen 
Qualität ihres eigenen geschlossenen Sy- 
stems, worin Worte wie vom Wirbelsturm 
des ‘““Angelus Novus” zu Salzsäulen gefro- 
ren sind 13), Schon Mies van der Rohe hat 
mit der Sprache der Leere und des Schwei- 
gens experimentiert. Dennoch vollzog sich 
für Mies die Übersetzung des Zeichens in 
der Gegenwart der Wirklichkeit, d.h., im 
Gegensatz zur Stadt selbst. Rosssi’s katego- 
rischer Imperativ liegt jedoch in der absolu- 
ten Verfremdung der Form bis hin zu einer 
entleerten Heiligkeit — eine Erfahrung der 
unbeweglichen und ewigen Wiederkehr 
geometrischer Sinnbilder, die letztlich auf 
bloße Geisterwesen reduziert werden. 14) 
Für dieses Phänomen gibt es eine klare 
Ursache. Im Ergebis zeigt sich bei Rossi, 
daß er, indem er die Form unwiederbring- 
lich vom Bereich alltäglicher Erfahrung ab- 
löst, fortwährend gezwungen ist den Spring- 
punkt der Kommunikation (des architekto- 
nischen Werkes mit dem ‘“Benutzer‘‘, An- 
merkung des Übersetzers) zu umkreisen, 
ohne aus der Quelle selbst schöpfen zu 
können. Das liegt nicht an der Unfähigkeit 
des Architekten, sondern daran, daß diese 
“Mitte” historisch zerstört worden ist. 
Wenn bei Rossi eine neo-aufklärerische Hal- 
tung gefunden werden kann, dann ist sie 
als erneutes Beispiel für eine irrevesible “Er- 
rungenschaft‘ des 18. Jahrhunderts zu ver- 
stehen — die Fragmentierung der “Ordnung 
des Diskurses’”” (der überlieferten Formen- 
sprache). Nur noch der Geist dieser verlo- 
rengegangenen Ordnung kann heute darge- 
stellt werden. Doch bedeuten die Faschis- 
musvorwürfe gegen Rossi wenig, weil er 
versucht, eine nicht historisierende archi- 
tektonische Form zu finden, die sich jeder 
Verbalisierung ihres Inhaltes und jedem 
Kompromiß mit der Wirklichkeit sperrt. 15)
	        
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