Aldo Rossi: Rathaus in Muggio (Wettb.), 1972
Die einzigen externen Bezüge bei einer der-
art “internalisierten’” Leseart ergeben sich
aus den dem sprachlichen Objekt inhären-
ten Brüchen. So ist diese durch die Kritik
erzeugte ‘“Verdoppelung‘” mehr als ledig-
lich die Konstruktion einer ‘zweiten Spra-
che”, die nur über den Originaltext gelegt
wird, wie es Roland Barthes interpretierte
9). Die Aufstellung typologischer Modelle,
ist, wie Emilio Garroni richtig gesehen hat,
der einzige MON Weg, Systeme und
Bezugs-Codes 0) auszufiltern; er kann
dann sinnvoll sein, wenn sich mit den Mo-
dellen folgendes ermöglichen läßt:
1. die Bestimmung einer Reihe von struk-
turellen Konstanten zur Formulierung
einer Bezugsbasis, von der aus der Inno-
vationsgrad eines architektonischen Ex-
perimentes meRßbar wird (ein hervorra-
gendes Beispiel hierfür ist die von Rudolf
Wittkower entwickelte Typologie der Pal-
ladischen Villa; und
2. ein dynamischer Vergleich zwischen den
Reihen der strukturellen Konstanten und
denjenigen Strukturen, die die Möglichkeit
der Existenz von Architektur überhaupt.
Diese oben beschriebene Methode kennt
nicht die Trennung in Struktur und Super-
Aldo Rossi: Schule in Fagnano Olona, 1973.
Lageplan.
Aldo Rossi und Gianni Braghieri: Entwurf für einen Friedhof in Modena (Wettb.), 1971, Perspektive
struktur. Es besteht nur die Notwendigkeit
zur Fertigstellung der Analyse als Test für
die “Funktion” des Kommunikationssy
stems. Dennoch erfordert der sprachliche
Diskurs weitere Klarstellungen. Die Kritik
muß deutlich ihre Rolle in Bezug auf die
verwickelten architektonischen Vorschlä-
ge hin formulieren.
Im Grenzfall werden die residualen
sprachlichen Elemente, d.h. jene Aspekte
der Wirklichkeit, welche noch nicht in der
reinen Form aufgelöst sind, mit einem
Schlage beseitigt, so in der Architektur
von James Stirling, Louis Kahn oder Victor
Lundy. Hier wird das Zufällige angesichts
der absoluten Gegenwart der Form zu
einem ‘’Skandal”’, besonders der Zufall par
excellance, die Gegenwart des Menschen.
Die Forschungen von A/do Rossi liefern
ein ausgezeichnetes Beispiel zur Illustrati-
on eines Themas, das unerbittlich den Ent-
Wick lungswen der gesamten modernen
Kunst teilt 17). Rossi antwortet auf die
Poetik der Ambiguität eines John Johansen
oder eines Robert Venturi mit der Befrei-
ung der Architektur von jeder Bindung an
die Wirklichkeit, von jeder Störung durch
das Alltägliche bzw. den Zufall mittels
eines in sich strukturierten Zeichensystems.
Der “Skandal” der Architektur Stirlings
ist der Mensch, der in einer Spannung zwi-
schen der Architektur als bloßem Objekt
und der Architektur als Redundanz herme-
tisch verlaufender Kommunikationen ge-
halten wird. Die Architektur Rossi’s ver-
meidet diesen Skandal. Die Beschwörung
der Form, die sie hervorruft, schließt jede
externe Legitimation aus. Die spezifi-
schen Eigenschaften der Architektur ver-
danken sich einem Universum sorgfältig
selektierter Zeichen, die nach dem Gesetz
des Ausschließens bestimmt werden. Ros-
si trägt, angefangen mit Segrate (1965)
über die Entwürfe für die Stadthalle von
Muggio (1972) bis zum Friedhof von Mo-
dena (1971), ein Formenalphabet vor,
das sich jeder Artikulation verweigert.
Als abstrakte Repräsentationen einer
eigenen, willkürlichen Gesetzmäßigkeit
schafft er ein eigenes artifizielles Reich.
Mit diesen Mitteln fällt die Architektur
auf die strukturelle Ebene ihrer eigenen
Sprache zurück. Als Zur-Schau-Stellung
einer Syntax leerer Zeichen, programmier-
ter Exklusionen und rigoroser Beschrän-
kungen enthüllt sie den starren Charakter
einer willkürlichen und falschen Dialektik
zwischen Freiheit und Normen. wie sie
für die sprachliche Ordnung bestimmend
ist. “Reine Kunst’, Gegenstand einer be-
rühmten Diskussion zwischen Walter Ben-
jamin und Theodor W. Adorno, demon-
striert in solchen Werken ihr eigenes Le-
gitimationsprinzip.
Das entleerte Zeichen wird so zu einem
Instrument für die Methaphysik eines de
Chiroco, des traumähnlichen Realismus der
Neuen Sachlichkeit, und für die erstaunli-
chen Rätsel, die die Schule des Nouveau
Regard12) in die Objekte hineinzuprojizie-
ren vermag. Mit diesen teilt Rossi nur eine
Art enttäuschter Nostalgie für die Struktur
der Kommunikation. Aber für ihn ist es eine
Kommunikation, die von nichts anderem
zu erzählen weiß als von der endlichen
Qualität ihres eigenen geschlossenen Sy-
stems, worin Worte wie vom Wirbelsturm
des ‘““Angelus Novus” zu Salzsäulen gefro-
ren sind 13), Schon Mies van der Rohe hat
mit der Sprache der Leere und des Schwei-
gens experimentiert. Dennoch vollzog sich
für Mies die Übersetzung des Zeichens in
der Gegenwart der Wirklichkeit, d.h., im
Gegensatz zur Stadt selbst. Rosssi’s katego-
rischer Imperativ liegt jedoch in der absolu-
ten Verfremdung der Form bis hin zu einer
entleerten Heiligkeit — eine Erfahrung der
unbeweglichen und ewigen Wiederkehr
geometrischer Sinnbilder, die letztlich auf
bloße Geisterwesen reduziert werden. 14)
Für dieses Phänomen gibt es eine klare
Ursache. Im Ergebis zeigt sich bei Rossi,
daß er, indem er die Form unwiederbring-
lich vom Bereich alltäglicher Erfahrung ab-
löst, fortwährend gezwungen ist den Spring-
punkt der Kommunikation (des architekto-
nischen Werkes mit dem ‘“Benutzer‘‘, An-
merkung des Übersetzers) zu umkreisen,
ohne aus der Quelle selbst schöpfen zu
können. Das liegt nicht an der Unfähigkeit
des Architekten, sondern daran, daß diese
“Mitte” historisch zerstört worden ist.
Wenn bei Rossi eine neo-aufklärerische Hal-
tung gefunden werden kann, dann ist sie
als erneutes Beispiel für eine irrevesible “Er-
rungenschaft‘ des 18. Jahrhunderts zu ver-
stehen — die Fragmentierung der “Ordnung
des Diskurses’”” (der überlieferten Formen-
sprache). Nur noch der Geist dieser verlo-
rengegangenen Ordnung kann heute darge-
stellt werden. Doch bedeuten die Faschis-
musvorwürfe gegen Rossi wenig, weil er
versucht, eine nicht historisierende archi-
tektonische Form zu finden, die sich jeder
Verbalisierung ihres Inhaltes und jedem
Kompromiß mit der Wirklichkeit sperrt. 15)