Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

Aufenthalt in der BRD seit ca. 10 Jahren) er- 
gab eine max. Mietzahlungsbereitschaft von 
250,— DM/Monat. Im Falle einer vermögens. 
wirksamen Anlage der Wohnungsausgaben 
z.B. als Geschäftsanteile an einer Genossen- 
schaft oder Belastungen für Wohneigentum, 
besteht eine Belastbarkeit von ca. 500,— DM/ 
Mon./Haushalt. Die Haushaltsvorstände ga- 
ben außerdem an, einen Eigenkapitalanteil 
von ca. 8.000,— DM aufbringen zu können. 
3)Man vergleiche dazu die sehr unterschiedli- 
chen Wohnverhältnisse in Block 5 des Seve- 
rinsviertels, dargestellt in: Sanierungsillustrier 
te zur Beteiligung an der Sanierung Severins- 
viertel, Herausgeber ARGE ‘Wohnen im Stoll- 
werck‘, Köln 1979. 
4)dargestellt in ARCH+ 43/44, S. 25, J. WOLF, 
a.a.0, 
5)Die Preise pro qm Wohnfläche für im Sanie- 
rungsgebiet Severinsviertel von der Stadt 
Köln erworbene Altbauten mit unterschied- 
lichen Anteilen gewerblicher Flächen und 
schlechtem bis mittlerem Erhaltungszustand 
liegen zwischen 300,— und 500,— DM/qm 
Wohnfläche. Die Mieten der entsprechenden 
Objekte sind nicht bekannt. Im Kauffall er- 
gäbe dies eine Belastung (einschl. Betriebs- 
kosten von 1,50 DM/qm/Monat) zwischen 
3,50 und 4,50 DM/qm, also ca. —,50 DM/ 
qm weniger als von deutschen Haushalten 
und 1,50 DM/qm weniger als von Auslän- 
dern durchschnittlich im Gebiet an Miete 
gegenwärtig gezahlt wird. 
S)Experteninterview im April 1979 mit auf 
diesem Gebiet führendem Frankfurter Im- 
mobilienmakler. 
7)Erhaltungssatzungen nach 8 39h, Abs. 3, 
Ziff. 3 BBauG, zur Definition von Milieu 
vgl. Chr. Thürmer-Rohr: zur vermeintlichen 
und tatsächlichen Bedeutung von Milieu, in: 
ARCH+ 6. Jahrg., 1974, H. 23, S. 35. „Milieu 
ist nicht etwas, das in den Herzen oder Augen 
von Bewohnern oder Zuschauern oder das in 
den Steinen und Fassaden sitzt. Milieu ist 
eine Erscheinungsform der tatsächlichen 
und konkreten Lebensbedingungen der 
Menschen, die dort leben. Sie identifizieren 
sich mit dem Gebiet nicht, weil es Milieu 
hat, sondern weil für sie hier die relativ 
beste Möglichkeit besteht, mit ihren finan- 
ziellen Mitteln zu leben.” 
8) Vgl. Frankfurter Makler, a.a.0. 
9)Soweit die Erhaltung und Stärkung des Quar- 
tiermilieus Sanierungsziel ist, ist dies zunächst 
mit den dafür geschaffenen Instrumenten des 
BBauG — Milieusatzung, etc. — durchzusetzen 
die dann auch Rechtsgrundlage für entspre- 
chend uminterpretierte Eingriffsinstrumente 
des StBauFG ist. 
10) Vgl. J. WOLF, Das Vorkaufsrecht nach S& 24a 
BBauG, in: BIGBW 1978, S. 230 ff. 
11)Insbes. den Einbau von Vertikalsträngen, die 
Erneuerung aller konstruktiven Teile, min- 
destens jedoch alle Maßnahmen am gemein- 
schaftlichen Eigentum nach 8 1 Abs. 2 Woh- 
Nungseigentumsgesetz, vgl. dazu MICHAEL! 
u.a.: Erhaltung und Erneuerung überalterter- 
Stadtgebiete, ILS, Bd. 3.016, Dortmund 77, 
u.d. Arbeitsberichte 76 u. 78 des Instituts f. 
Bodenordnung der Neuen Heimat, Essen zum 
Modellvorhaben des Landes NW zur Sanie- 
rung von Zechenkolonien, 
12)Eine entsprechende Vereinbarung wurde 
zwischen Bewohnern der Arbeitersiediung 
Dahlhauser Heide in Bochum und der Stadt 
Bochum in den Kaufverträgen niedergelegt. 
H. JASPERT, Sanierung der Arbeitersied- 
lung Dahlhauser Heide, Bochum, Referat 
auf einem Kolloquium zum Thema: ‘Erhal- 
tung einer Arbeitersiedlung am Beispiel der 
Zechensiedlung Moers-Meerbeck’ am 25.4. 
79 in Moers. 
13)Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf 
eines Gesetzes zur Beschleunigung von Ver- 
fahren und zur Erleichterung von Investitions- 
vorhaben im Städtebaurecht, Drucksache 
8/2451 vom 29.12.1978. 
14) Vgl. BIELENBERG, StBauFG, Kommentar 
8 13, Rdnr. 12j 
15)Die Stadt Dortmund hat z.B. in einem Mo- 
dernisierungsvertrag mit einem Wohnungs- 
unternehmen die Mieten für die moderni- 
sierte Wohnung in Höhe von 3,40 DM/am 
für 10 Jahre fixiert. 
1 
Auf neuer Suche nach (alter) Kultur 
Julius Posener 
Kulturelle Identität durch Feste? 
Vortrag zwischen zwei Veranstaltungen am 26.1.79 an der HdK-Berlin 
Wir stehen hier an der Grenze zwischen zwei 
Veranstaltungen, die verwandten Themen ge- 
widmet sind. Das Colloquium der Hochschule 
der Künste, das eben zu Ende gegangen ist, war 
dem Thema gewidmet: ‚‚Stadtgestalt und kultu- 
relle Identität”, das beginnende Symposion der 
Evangelischen Akademie will von der ‚,Aneig- 
nung” sprechen. Da ich hier in der Mitte zwi- 
schen den beiden stehe, darf ich wohl einen 
Brückenschlag versuchen. Mir scheint, daß das 
Thema des vorangegangenen Colloquiums 
einen Mangel andeutet: denn solange die Ge- 
stalt der Städte die Kultur, die sie hervorge- 
bracht hat und die in ihnen waltet, rein zur 
Darstellung brachte, wurde nach der kulturel- 
len Identität ihrer Bewohner nicht gefragt: sie 
verstand sich von selbst. Gegenwärtig versteht 
sie sich nicht von selbst. 
Man will also die Stadt kulturell wieder in 
Besitz nehmen, um die Identität wieder herzu- 
stellen. Das wäre mit dem Wort Aneignung” 
gemeint. Mittel zur Aneignung werden mehrere 
empfohlen. Gestern war in der Aula davon die 
Rede, wie die Stadtgestalt selbst diese Aneig- 
nung befördern könne — das war ja recht eigent- 
lich das Thema des Colloquiums — und Dieter 
Hoffmann Axthelm schlug vor, die Geschichte 
der Stadt, die sich in ihrer Gestalt niedergeschla: 
gen hat, auf keinen Fall zu vernachlässigen, viel- 
mehr sich getreulich an jede Andeu tung der Ge- 
schichte, die noch sichtbar ist, zu halten, sie zu 
betonen, sie wo immer möglich zu verstärken. 
Solche Andeutungen stammen in alten und 
besonders in großen alten Städten aus verschie- 
denen Zeiten. Dieter Hoffmann Axthelm sprach 
davon, daß man die in der Gestalt der Stadt 
Berlin stehen gebliebenen Andeutungen des 
Bruches zwischen der von den preussischen 
Herrschern geplanten Friedrichstadt und der al- 
ten Stadtbefestigung doch ja nicht verwischen 
wolle. Das heißt, man solle das sechzehnte und 
siebenzehnte Jahrhundert neben dem achtzehn- 
ten betonen. Er sprach auch vom Palais des 
Prinzen Albrecht und bedauerte es, daß man 
nach dem Kriege die Ruine dieses Palais abge- 
räumt habe; denn diese Ruine enthalte die Er- 
innerung an einen der dunkelsten Vorgänge der 
Geschichte Berlins: dort befand sich das Haupt- 
quartier des Reichssicherheitshauptamtes, kurz, 
der Gestapo; und man hätte es wagen sollen, 
auch dieser Erinnerung ins Gesicht zu sehen. 
Dies ist eine Erinnerung aus unserem eigenen 
Jahrhundert, ja für die Älteren unter uns aus 
unserer persönlichen Vergangenheit. 
Dieter Hoffmann Axthelm will also, verste- 
he ich ihn richtig, daß die Gestalt der Stadt 
einen möglichst vielseitigen Geschichtsunter- 
richt erteile. Und seine Forderung bringt mich 
zum Thema des Colloquiums zurück: ‚„‚Stadtge- 
stalt und kulturelle Identität”. Ich sagte vorhin, 
solange die Gestalt der Stadt die Kultur, die sie 
hervorgebracht hat und die in ihr waltet, rein 
zur Darstellung brachte, wurde nach der kultu- 
reilen Identität ihrer Bewohner nicht gefragt. 
Es ist sicher einigen von Ihnen aufgefallen, daß 
dieser Satz einen Widerspruch enthält; denn die 
Kultur, der eine Stadt zunächst ihre Gestalt ver- 
dankt und die Kultur, die in ihr waltet, ist nicht 
die gleiche. Nur in Rothenburg ob der Tauber 
hat die ursprüngliche Stadtgestalt lange Bestand 
gehabt, dort hat lange Zeit die Kultur gewal- 
tet. der die Stadt ihre Gestalt verdankt. Sieht 
man genau hin, so ist nicht einmal dies richtig; 
die kleine Stadt ist einfach eingeschlafen, sie 
sah noch so aus, als ob die Zünfte der Handwer- 
ker in ihr den Ton angäben, als das schon lange 
nicht mehr der Fall war. 
Städte verändern sich. In den kleinen, die 
einschlafen, verändert sich die Kultur, in den 
großen verändert sich ständig beides: die Kultur 
der Stadt und ihre Gestalt. Der Gedanke, daß 
eine Stadt — und gar eine große Stadt — über 
längere Zeiträume hinweg die Kultur bewahre, 
der sie ihre Entstehung verdankt, ist also eine 
romantische Wunschvorstellung. Die kulturelle 
Identität der Bewohner mit der Gestalt ihrer 
Stadt geht überall und immer verloren. 
In einer Großstadt unserer Zeit wie Berlin 
ist sie, oder sind die verschiedenen kulturellen 
Identitäten, längst dahin; und es ist ein außer- 
ordentlich problematisches Unterfangen, sie 
wiederherstellen zu wollen. 
Auf diese Schwierigkeit wollte ich hinwei- 
sen, ehe ich zum Thema des heutigen Abends 
komme, zum Fest als einem Mittel, die kultu- 
relle Identität wiederherzustellen, oder, um es 
anders zu sagen, uns die Stadt anzueignen. 
Beide Themen aber, das gestrige und das heu- 
tige, brennen uns gleichwohl auf den Nägeln; 
wir empfinden einen Mangel, von dem wir 
— mit wieviel Recht sei dahingestellt — meinen, 
daß unsere Vorväter von ihm noch nicht be- 
troffen waren. Sprechen wir von diesem Man- 
gel, sprechen wir von dem, was uns fehlt: 
Ich lese ein berühmtes Gedicht aus dem 
Jahre 1908 und finde folgende Verse: 
Gebräuche her! wir haben nicht genug 
Gebräuche. Alles geht und wird verredet. 
Das ist aus dem Requiem für Paula 
Becker-Modersohn. Wie immer nostal- 
gisch wir auf die Zeit vor dem ersten Welt- 
krieg zurückblicken, es war eine Zeit, in 
der Künstler und Kulturbeflissene mit tie- 
fem Erschrecken bemerkten, daß das Le- 
ben ohne Form gelebt wurde; und auf 
Form legten sie darum sehr großen Wert. 
Rilke war beileibe der einzige nicht, der 
nach Gebräuchen rief. Die Verse, die ich 
zitiere, scheinen mir darum so gut, weil 
sie nackt sind: so offen haben die anderen 
das nicht gesagt; und: die anderen bieten 
schon neue Formen an, oder d/e neue 
Form; Rilke verzichtet darauf; denn die 
Verse vor den zitierten sprechen von 
einem sehr alten Brauchtum: 
Ob man nicht dennoch hätte Klagefrauen 
auftreiben müssen? Weiber welche weinen 
für Geld, und die man so bezahlen kann, 
daß sie die Nacht durch heulen, wenn es still 
wird. 
Gebräuche her! wir haben nicht genug 
Gebräuche. Alles geht und wird verredet. 
„Ob man nicht dennoch hätte ...””, wegen 
dieses Konditional, dieses zweifelnden, 
verzweifelnden, sind die Verse mir lieb. 
Stefan George und alle Fidusse jener Zeit 
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