heit; und es geht niemand auf die Straße,
um diese negative Freiheit festlich zu be-
gehen. Sie ist ein Zustand, an den man
sich gewöhnt hat, ebenso wie man sich
daran gewöhnt hat, daß in der Bundesre-
publik niemand verhungert. Man könnte
darauf hinweisen, daß auch dies beileibe
kein selbstverständlicher Zustand ist; aber
auch das wird uns nicht veranlassen, auf
die Straße zu gehen und ein Fest der Satt-
heit zu veranstalten. Das Bundesfest der
Französischen Revolution am 14. Juli
1790 war etwas anderes. Wenn damals
die Bürger von Paris zu Hunderten auf dem
Marsfeld Erdarbeiten gemacht haben, um
die Tribünen für das erste Nationalfest zu
bauen, dann wußten sie, warum sie das
taten. Das Volk hatte sich befreit. Das
Unglück hat es gewollt, daß das deutsche
Volk im Jahre 1945 befreit wurde, und
zwar vom Feinde, als das Volk ihm nicht
länger Widerstand leisten konnte. Das ist
eine sehr andere Grundbedingung.
Dabei gibt es in Europa Staatsfeste,
die einen Inhalt haben. Ich spreche nicht
von dem jährlichen Bundesfest des 14.
Juli, dessen Inhalt mittlerweile historisch
geworden ist. Aber ich habe in London
die Krönung der Königin gesehen; und
glaubt es oder nicht: das war ein Volks-
fest, weil in England, auf jeden Fall da-
mals noch, die Monarchie etwas war, das
von keinem ernsthaft bezweifelt wurde:
ein Rest von Form, der geblieben war,
der noch festlich begangen werden konn-
te.
Reste von Formen: Bloch spricht von
Volksfesten, jedoch, daß sie sich an kirch-
liche Feste anschließen: Der Karneval zum
Beispiel. Auch solche Feste sind, seit
Bloch schrieb, immer inhaltloser geworden
immer künstlicher, weil die Anlässe immer
schemenhafter geworden sind.
Was ist eigentlich Anlaß zu einem Fest?
Der Staat ist bemüht, neue Anlässe zu de-
kretieren, den 20. Juli etwa oder den 17.
Juni. Wurden diese Anlässe jemals gefühlt?
Kommt es vollends zu Stadtfesten, so sind
die Anlässe selten. Die Gründung der Stadt
kann man nur alle fünfzig Jahre feiern.
Die Quartierfeste endlich, oder die Stra-
Benfeste haben gar keinen Anlaß. Das Quar
tier ist da, die Straße ist da, und die Bürger
werden aufgefordert, so zu tun, als ob sie
das nahe angehe. Das sind Feste des Als
Ob. „Und nun macht mal schön alle mit!”
Ein Fest muß aber einen Anlaß haben,
es muß sich auf ein Ereignis beziehen, das
sehr wichtig ist. Klaus Duntze hat auf
jenem Treffen in Loccum eine Geschichte
erzählt, aus der hervorgeht, welcher Art
der Anlaß zu einem Fest ist. Es ist die
Legende von dem Tischlermeister, dem der
König befohlen hat, einen ganz unmöglich
großen Auftrag auszuführen, und zwar in
einer Nacht. Würde er ihn am nächsten
Morgen nicht abliefern, so müsse er ster-
ben. Der Mann hatte Gottvertrauen. Statt
die Nacht durch zu jammern, lud er seine
Freunde ein, und sie aßen und tranken
fröhlich bis zum Morgen. Früh um Fünf
klopfte es dreimal an die Türe, der Meister
empfahl Gott seine Seele und öffnete.
Draußen stand, wie erwartet, der Bote des
Königs. Er sagte: „Meister, der König ist
tot. Mach ihm einen Sara!”
Was der Meister in dieser Nacht mit sei-
nen Freunden getrieben hat, ist noch kein
Fest; aber es kann daraus eins werden.
Denn sicher werden die gleichen Freunde
im Jahre darauf wieder zusammenkom-
men, und im nächsten Jahr wieder; und da
werden dann vielleicht schon allen Teilneh-
mern Hobelspäne zur Erinnerung gereicht
werden. Nehmen nun die Kinder diese Ge-
denkfeier auf, so werden sich die Hobelspä-
ne in Marzipanflocken verwandelt haben,
und der Sarg des Königs — ein Schmuck-
kästlein — wird eine Rolle zu spielen be-
ginnen in einem Ritus, der sich festigt. An-
laß aber für das Fest ist eine Errettung aus
höchster Not, also ein existenzieller Anlaß,
und das, was dieser Rettung vorangeht, was
sie sozusagen garantiert: das Gottvertrauen
des Meisters, seine Hoffnung.
Sind aber diese beiden, die tödliche Be-
drohung und die Hoffnung, die sie hat
vorübergehen lassen, sind diese beiden nicht
oft, vielleicht immer Anlaß zum Fest? Ist
das Weihnachtsfest etwas anderes? Es
heißt ja nicht ohne Grund: We/t /ag in Ban-
den, Christ ist erstanden. Eine tödliche
Bedrohung, durch die prophetische Hoff-
nung überwunden, liegt diesem Fest zu-
grunde. Und ist es mit dem 14. Juli an-
ders? Nicht nur standen die Truppen des
Königs bereit, die Revolution in Paris zu
ersticken; der Vorgang selbst, symbolisch
wie er ist — denn die Bastille hatte keiner-
lei strategische Bedeutung — bezeichnet
das Heraustreten des Volkes aus der töd-
lichen Umklammerung der Despotie. So
jedenfalls fühlte man das, damals und wei-
ter, die Kette der Generationen herab.
Man tanzt immer noch am 14. Juli in den
Straßen von Paris, obwohl der Anlaß zu
diesem Fest nachgerade historisch gewor-
den ist.
In Paris. Im vorigen Oktober war ich
erstaunt, allenthalben in der alten Stadt
Gruppen zu finden, die musizierten. Beson
ders das Centre Georges Pompidou, jene
sehr fragwürdige permanente Kunstaus-
stellung, hatte das Volk sich angeeignet.
Auf dem abschüssigen Platz, vor dem Cen-
tre, promenierte man, musizierte man, da
gab es Feuerfresser und andere Gaukler.
Das Volk von Paris hatte sich spontan
des Platzes und der umgebenden Gassen
bemächtigt. Die Stadt hat das nicht ange
ordnet, allenfalls hat sie die Gelegenheit
zum Feiern bereitgestellt mit all den kau
zigen Plastiken, die da herumstehen, be-
sonders aber durch die große Glaswand
des Centre selbst, durch die man von
außen die Menschen im Hause sieht und
von innen die vielen, die sich da draußen,
vor dem Hause, herumtreiben. Wir können
mit Gewißheit sagen, daß das Volk von
Berlin sich des Kongreßzentrums nicht
bemächtigen wird. Es wird es — besten-
falls — anstaunen. Vielleicht ist es ein we-
nig weit hergeholt, wenn man das Lebens-
gefühl der Pariser mit der latenten Be-
drohung in Verbindung bringen will, der
Paris ausgesetzt ist. Sie spricht sich im
Wappen der Stadt aus, ein Schiff, das auf
stürmischen Wogen segelt. Die Unter-
schrift heißt: Fluctuat nec mergitur: Das
Schiff der Stadt wird auf den Wogen um-
hergetrieben, aber es wird nicht sinken.
Ein seltsames Stadtwappen. Andere Städ-
Pi
N
te zeigen in ihrem Wappen Sicherheit: das
feste Tor, den starken Turm. Das Pariser
Wappen spricht von der permanenten Be-
drohung.
Ein Fest ist also auch dies: Abrechnung
mit der Welt, wie sie ist; und sie ist tödlich;
ihre Überwindung durch die Hoffnung und.
endlich, ihre Überwindung in der Tat. Da-
rum kann der Staat, die Stadt, das Quartier
bei allem guten Willen keinen Anlaß zum
Fest bieten. Mehr und mehr Menschen,
junge Menschen besonders, kehren solchen
vorgegebenen Anlässen den Rücken, su-
chen Gegenanlässe, Gegenformen. Gibt
es dann ein Gelingen, so wird es ein Fest
geben. Heute kennen wir davon allenfalls
den Vorgeschmack.
Feste dürfen wir aus den Kreisen derer erwar:
ten, die benachteiligt sind und sich selbst helfen
wollen. Man spricht von Alternativen. Aber wir
haben ja in dem Colloquium ‚‚Stadtgestalt und
kulturelle Identität” in diesem Hause, an das
unsere Veranstaltung anschließt, von Werner
Durth gehört, wie gespalten die Benachteiligten
sind, wie disparat einstweilen noch ihre Versu-
che. Klaus Duntze wird uns einen dieser Versu-
che ins Gedächtnis rufen, die Aktion Pumpsta-
tion und Feuerwache im Bezirk 36 von Kreuz-
berg. Das war ein fröhlich-geselliger, beinahe
ein festlicher Akt der Selbsthilfe und des Pro-
testes und man hatte den Eindruck, daß er bei
den Leuten aus dem Quartier einige Zustim-
mung fand; aber die Sache wurde eben kein
— noch so kleiner — Bastillensturm, die ‚,Trup-
pen des Königs” haben sie mit einem unverhält-
nismäßigen Aufwand an Macht erstickt. Was
sich aber hier als Anlaß zu einem Anlaß, als
Vorfest gezeigt hat, davon wird Klaus Duntze
uns erzählen.
A"