Zur aktuellen Diskussion um Stadtentwicklung
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Suburbanisierung für alle? Drei Kritiken ...
... Zu Häußermann/Siebel: „Krise der Stadt - Krise der Stadt?“ (Leviathan 4/78) bzw. „Die Stadt im traditionellen
Sinne hat aufgehört zu existieren“ (Frankfurter Rundschau 15.11.78).
Unter dem Titel „Die Stadt im traditionellen Sinn hat aufgehört zu existieren” erschien
am 15.11.1978 ein Artikel in der Frankfurter Rundschau, in dem H. Häußermann und
W. Siebel Thesen zur gegenwärtigen Stadtentwicklung und -politik zur Diskussion stell-
ten. Wenig später wurde dieser Text in der sozialwissenschaftlichen Zeitschrift LE VIA-
THAN als Editorial zu Heft 4/78 veröffentlicht, in dem nach einer Reihe von Diskussio-
nen und Arbeitssitzungen einer Gruppe von Wissenschaftlern und Planern Forschungs-
ergebnisse und -perspektiven zum Themenschwerpunkt ‚,Soziologie der Stadt” zusam-
mengestellt wurden. Insbesondere das Editorial gab dabei Anlaß, die Diskussion fort-
zusetzen und zu erweitern, um in einer ebenso deutlichen wie solidarischen Kritik die
Versuche zur Einschätzung gegenwärtiger Entwicklungstendenzen und möglicher Alter-
nativen zu konkretisieren.
Eberhard v. Einem, Manfred Konukiewitz, Wulf Tessin
Die Kernstadt - ein Randproblem?
Im Rahmen der aktuellen ‘Stadtflucht’- gelegte Problemanalyse und die daraus ge-
Diskussion haben H. Häußermann und zogenen strategischen Konsequenzen einer
W. Siebel ein stadtentwicklungspolitisches Kritik zu unterziehen, die hier — zugege-
Konzept vorgelegt, das den Anspruch einer benermaßen pointiert — auf einige zentra-
sozial orientierten Alternative zur herr- le Punkte beschränkt bleiben muß.
schenden Stadtentwicklungspraxis erhebt 1. Die Darstellung der gängigen Auffassun-
und das im wesentlichen zwei Zielkompo- gen zu Ursachen, Folgen und Problem-
nenten enthält: lösungsstrategien hinsichtlich der großstäd:
® Die Suburbanisierungstendenzen und tischen Erosion ist u.E. weitgehend zutref-
(vermeintlichen? ) Auflösungserschei- fend wiedergegeben. Allerdings wird aus
nungen der Großstädte sollen nicht abge: den Ausführungen nicht immer deutlich,
schwächt, sondern, wenn auch geplant, inwieweit die Autoren die referierte Pro-
unterstützt werden. Auch denjenigen, belmsicht teilen, in welchen Punkten sie
die sich bisher den Auszug aus der Kern- anderer Ansicht sind und wie /hre Ein-
stadt nicht leisten konnten, soll die Ab- schätzung der Krisenhaftigkeit städtischer
wanderung ermöglicht werden. Gefordert Entwicklungen ist. Anders ausgedrückt:
wird deshalb nicht nur eine soziale, son- Handelt es sich bei der ‘Krise der Stadt’
dern auch räumliche Umverteilungspoli- wirklich nur um eine ‘ideologische Ver-
tik. „Die Mittel, die gegenwärtig voraus- drehung‘ oder um eine real existierende
sehbar nutzlos dafür verpulvert werden, Krise?
expandierende Betriebe und einkommens- : Versucht man das Problemverständ-
starke Haushalte ( in der Kernstadt, d. nis der Autoren zu rekonstruieren, so
Verf.) zu halten, sollten dafür verwendet Scheint sich das Problem der Kernstädte
werden, die Abwanderung auch der stag- bei ihnen vor allem auf die Vernichtung
nierenden Betriebe und auch der ökono- relativ preisgünstiger Altbauwohnungen
misch schwachen Bevölkerung zu för- durch Modernisierung im Rahmen der
dern.” (S. 481) neueren Strategien zur Stadtfluchtbe-
8 Die innerstädtischen Wohnquartiere kämpfung zu reduzieren. So ernst dieser
mit großem Altbaubestand sollen für Aspekt zu nehmen ist, so übersieht ein
die einkommensschwachen Bevölkerungs: solches Problemverständnis doch eine
schichten „gesichert’” und auf ein „„ange- ganze Reihe anderer Krisensymptome
messenes Ausstattungsniveau”” gehoben städtischen Alltags wie Mietquote im So
werden, ohne daß die billigen Wohnungen Zialen Wohnungsbau, steigende Umwelt-
durch Mieterhöhungen im Zuge z.T. öf- belastungen, Infrastrukturdefizite, ‘Un-
fentlich geförderter Wohnungsmoderni- wirtlichkeit der Städte‘, ‘Verkehrsstress’
sierungen an einkommensstärkere Haushal- vor allem aber Slumbildungstendenzen
te verloren gehen. (S. 481) und Marginalisierungsprozesse, die bei
Angesichts der bisher üblichen etatisti- Häußermann/Siebel z.T. zwar gestreift
schen Definitionen des zur Debatte ste- werden, konzeptionell aber so gut wie
henden Problems (infrastrukturell-fiskali- Ohne Folgen bleiben; der etatistisch ver-
sche Auswirkungen der Stadtflucht als kürzten gängigen Problemsicht entspricht
zentrale Nachteile für die Kernstadt) ist u.E. bei Häußermann/Siebel eine eben-
es wichtig und zu begrüßen, daß Häußer- falls, wenn auch nun ‘sozial’ verkürzte
mann/Siebel diesen eine soziale, verteilungs- Einschätzung der sog. ‘Krise der Stadt’
politisch sensible Perspektive gegenüber- 2. Zudem scheinen die Autoren anzu-
stellen wollen. Gerade wegen der grund- nehmen, daß die aus der politischen
sätzlichen Übereinstimmung mit diesem Diskussion referierten (und von ihnen
Ansatz erscheint es uns wichtig, die vor- abgelehnten) Strategien zur Abschwä-
chung der Abwanderung bereits über-
wiegende oder sogar durchgängige Stadt-
entwicklungspraxis sind. Unser Eindruck
ist freilich vielmehr der, daß neben (eher
schleppend anlaufenden) kernstadtbezo-
genen Maßnahmen (Modernisierung, Wohn-
umfeldverbesserung, Einfamilienhausför-
derung in der Kernstadt) weiterhin solche
Maßnahmen vorherrschen, die den Regio-
nalisierungsprozeß der Stadt (eigentlich
ganz im Sinne der Autoren) eher begün-
stigen (Bausparförderung, &S 7b EStG,
Straßenausbau, Fehlen einer effektiven
Bauentwicklungskontrolle in den Umland-
gemeinden).
Die Kritik der Autoren an der heutigen
Praxis der Stadtentwicklungspolitik greift
also insofern zu kurz, als deren tatsächli-
che Widersprüchlichkeit nicht wirklich
perzipiert wird, ja, eine genauere Analyse
könnte u.U. erbringen, daß die räumliche
Dezentralisierung, um die es den Autoren
geht, weitgehend herrschende Praxis ist
und vor allem auch bleiben wird, auch
wenn die Stadtplanungsdiskussion z.Zt.
andere Akzente setzen sollte, hier muß
man u.E. sehr deutlich trennen zwischen
dem, was tatsächlich abläuft und der ‘ver-
balen Verbrämung’ auf Tagungen und ge-
duldigem Papier. Die Autoren geben also
— wenn auch mit gewissen Einschränkun-
gen — im Grunde dem, was wahrschein-
lich ohnehin nicht aufzuhalten ist, nur die
„sozialen Weihen”.
3. Erstaunlich ist daher, wie leicht es den
Autoren zu fallen scheint, bei einem
dermaßen nebulös gelassenen gesellschaft-
lichen Adressatenkreis (wer ist eigentlich
angesprochen: die Arbeiterklasse, Unter-
privilegierte, Randgruppen, Bewohner der
‘depressed areas’? ) Redistributionseffekte
einer real ablaufenden bzw. intendierten
Politik festzustellen: Sanierung und Mo-
dernisierung führen zwar in der Tat zu
Mietsteigerungen und Verdrängungsprozes-
sen, aber ist damit bereits das letzte ver-
teilungspolitische Urteil gefällt? Unseres
Erachtens kann z.B. von einer genere/len
Verschlechterung der Lebenslage durch
Umsetzung nicht gesprochen werden. Und
die vermeintlichen Vorteile einer polyzen-
trischen Struktur der Verdichtungsräume?
Zumindestens doch ncht auszuschließende
negative Effekte wie vermutlich ‘ausgedünn;
te infrastrukturelle Versorgung‘, erhöhte
Mobilitätskosten, ‘Privatisierung‘ des ge-
sellschaftlichen Lebens usf. werden gar
nicht erst thematisiert. Überhaupt scheint
uns eine bestimmte räumliche Siedlungs-
struktur (ob nun polyzentrisch oder nicht)
für sich genommen von vergleichsweise ge-
ringer bzw. sehr vermittelter redistributiver
Bedeutung zu sein. Es ist also nicht recht
einzusehen, warum die Autoren ‚ihre So-
zialorientierte Alternative so ena mit einer
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