Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

® wenn er weiß, daß durch eine hohe Sub- 
ventionierung zwar in einzelnen Sanie- 
rungsobjekten die Mietsteigerung in Gren- 
zen gehalten werden kann, daß aber dann 
anderen Objekten die knappen finanziellen 
Mittel entzogen werden müssen; 
® wenn er weiß, daß jede Mietsubventio- 
nierung immer auch zugleich die Profit- 
Chancen des Haus- und Grundbesitzes er- 
höht; 
® wenn er weiß, daß Zusammenballungen 
von ‘“Fremdarbeitern’ in bestimmten Vier 
teln sie einerseits sozialemotional ‘auffängt’ 
sie andererseits ghettoisiert und mit Slum- 
bildungsprozessen korreliert; 
® wenn er gar befürchten muß, daß eine 
sozialorientierte Stadtpolitik, in dem sie 
ja soziale Probleme und Konflikte nicht 
zudeckt, sondern zunächst einmal öffent- 
lich thematisieren muß, die sie zugleich 
nur ansatzweise zu ‘lösen’ vermag, offen- 
bar eher delegitimatorische Folgen zeitigt 
und bisweilen sogar der ‘Gegenseite’ zu 
nützen scheint (Wiesbaden, München etc.)? 
Angesichts dieser typischen, sehr kon- 
kreten Entscheidungsprobleme halten wir 
es nicht für ein Zeugnis von Ideenarmut, 
wenn man auf die Formulierung neuer Zie- 
le verzichtet und sich mit solchen ‘prakti- 
schen‘ Problemen befaßt. In diesem Zusam- 
menhang halten wir es z.B. für vordringli- 
cher, die in der politischen Diskussion be- 
reits aufgetauchten, aber jahrelange verscho- 
benen und verzögerten Reformvorschläge 
(z.B. Reform des Sozialen Wohnungsbaus, 
Wohngelderhöhung, Mietermodernisierung, 
Einrichtung von Instandsetzungskonten, 
Selbsthilfe usf.) aufzugreifen und zu unter- 
stützen. 
Harald Bodenschatz, Tilman Harlander 
Urbanisierung der Peripherie - Umkehr durch 
Trendverstärkung? 
Die Ausführungen von Häußermann/ 
Siebel fanden ein relativ großes Echo 
unter Planern und an den Universitä- 
ten. Damit kommt ihm zweifellos das 
Verdienst zu, eine längst überfällige kriti- 
sche Auseinandersetzung mit der gegen- 
wärtigen, ‚„„‚mittelschichtorientierten” 
Stadtentwicklungspolitik in einem erwei- 
terten Rahmen initiiert zu haben. Freilich 
scheinen uns aus der — wohl nicht immer 
ganz präzisen — Analyse etwas zu forsch 
eine Reihe von Schlußfolgerungen und 
Vorschlägen gezogen, die durchaus pro- 
blematischen Charakter tragen und im fol- 
genden durch einige Thesen in Frage ge- 
stellt werden sollen. 
Villenviertel) und ihren ökonomischen 
(etwa auch Spaltung des Arbeitsmarktes, 
Marginalisierung von Arbeitslosen, Unter- 
beschäftigten etc.) sowie politischen (Kri- 
se der städtischen Sozialpolitik, schwin- 
dende Konsens- und Legitimationsbasis 
der gewohnten Muster traditioneller Kom- 
munalpolitik, wachsende Konfliktpoten- 
tiale etc.) Bezügen und Implikationen läge 
u.E. ein politisch sinnvollerer Ansatzpunkt 
in der Diskussion um die „Krise der Stadt” 
® Beinhaltet nun der Ruf nach Attrakti- 
vitätssteigerung der Innenstädte wirk- 
lich eine echte po/itische Alternative oder 
entspricht er nicht vielmehr durchaus der 
Logik der „‚naturwüchsigen Entwicklung”, 
die Zentralitätsvorteile ausgewählter Ge- 
biete wenn schon nicht dem tertiären Sek- 
tor, so doch einer alternativen, in Relation 
zum jetzigen Zustand renditeträchtigeren 
Nutzung, in diesem Falle der „‚gehobenen” 
Wohnnutzung etwa durch junge „aufstre- 
bende” Familien, Alleinstehende etc. be- 
reitzustellen? Anzeichen für ein derarti- 
ges Durchbrechen des ‚‚Teufelskreises” 
der Verslumung durch den Markt selbst 
gibt es — zumal unter den Vorzeichen 
weiterhin überproportional steigender 
Bau- und Grundstückskosten an der Peri- 
pherie — seit Jahren und in wachsendem 
Maße etwa durch die vielpraktizierte Um- 
wandlung von Miet- in Eigentumswoh- 
nungen u.ä. (staatlich gefördert u.a. 
durch den 8 7b, vorzeitige Zurückzah- 
lung der Förderungsmittel im sozialen 
Wohnungsbau). Eine Politik der Attrakti- 
vitätssteigerung der Innenstädte wäre 
dann in Wahrheit keine aktive, regulative 
politische Trendwende, sondern eine 
Verstärkung und flankierende Absiche- 
rung einer nach einem gewissen time-lag 
bereits vollzogenen Trendwende des 
Marktes. Damit würde eine solche Politik 
zunehmend weniger ein alternatives Wan- 
derungsverhalten der Mittelschichten 
wirklich induzieren, als vielmehr staatli- 
cherseits die von privater Seite geforder- 
ten Lagequalitäten verbessern oder auch 
die bereits aus der Regionalpolitik so hbe- 
® Zunächst ist die Frage zu stellen, ob es 
ausreicht, die „‚Krise der Stadt” als das 
Ausbleiben der ;,‚Kompensationen” (abneh 
mende Zuzüge von Ausländern, abnehmen- 
des Wachstum an Arbeitsplätzen) der säku- 
laren Kern-Rand-Wanderungen zu definie- 
ren. Damit ist u.E. die Ebene der Problem- 
perzeption der Administration prinzipiell 
noch nicht verlassen. Richtet man nämlich 
den Blick darauf, daß — auch in Relation 
zum Problem sinkender kommunaler 
Steuereinnahmen, Infrastrukturkapazitä- 
ten etc. — heute in erster Linie die Erträge 
(bzw. die Zuwachsraten) des innerstädti- 
schen Bodens in die Krise zu geraten dro- 
hen, so liegt der Akzent auf der Problema- 
tisierung einer Entwicklung, in der die Zer: 
störung der Wohnqualität des städtischen 
Bodens in den Kernstädten relativ rascher 
voranschreitet als die Flächenexpansion 
des tertiären Sektors — eine Entwicklung, 
die freilich diese Gebiete nicht unterschieds 
los betrifft, sondern eher eine weitere Di- 
chotomisierung der Qualitäten innerstädti- 
schen Wohnens befördert. In eben dieser 
Dichotomisierung (Slumbildung und 
gleichzeitig Verbürgerlichung) des inner- 
städtischen, aber auch des Wohnens am 
Stadtrand (unterversorgte Neubaughettos 
— ein eminent bedeutsamer, von der offi- 
ziellen Politik heutzutage „‚vergessener‘” 
Aspekt für eine sozialorientierte Politik —. 
kannten „‚Mitnehmereffekte’”” produzie- 
ren. 
® Zentrale ideologische Säulen der neue- 
ren Stadtentwicklungspolitik scheinen 
uns die Schlagworte Eigentumsbildung, 
Sickereffekte und soziale Mischung zu 
sein, Schlagworte, die u.E. von einer kri- 
tischen Position her nicht nur zur Kennt- 
nis genommen, sondern auch dechiffriert 
werden müssen. Zu fragen ist: Wie ist der 
in Umfragen immer wieder ‚„‚bewiesene” 
(vgl. hierzu FR vom 18.4.79, S. 15, nach 
der eine neue „Wohnwunschstudie” in 
Frankfurt zum Ergebnis hatte, daß 2/3 
der Frankfurter Bürger dem Wohnen in 
renovierten Altbauten den Vorzug geben 
würden) Wunsch nach Hauseigentum im 
Grünen zu erklären und zu bewerten, wie 
die Folgen der Ideologie der „breiten 
Eigentumsbildung” in sozialer (Individua- 
lisierung, Eigentümerverhalten etc.), poli- 
tischer (Entpolitisierung, Tendenz zu 
konservativen Positionen) und städtebau- 
licher Hinsicht (Siedlungsbrei etc) einzu- 
schätzen? Ebenso wäre hinsichtlich der 
„Theorie der Sickereffekte” u.a. zu un- 
tersuchen, wie die etwa durch Westphal 
(Leviathan 4/78) konstatierten Barrieren 
zwischen den — durch die Segmentierung 
des Arbeitsmarktes verstärkten — Segmen- 
ten des Wohnungsmarktes für die BRD ein- 
zuschätzen sind, wie sich in räumlicher 
und sozialer Hinsicht die quantitative und 
qualitative Verteilung des Wohnungsbestan- 
des im Detail durchsetzt etc. Zu bedenken 
ist, daß die „Theorie der Sickereffek te” 
eine Politik der Stimulierung der privaten 
und gerade nicht des — nicht zuletzt an- 
gesichts stagnierender Realeinkommen — 
dringend gebotenen sozialen Wohnungs- 
baus mit seinen kürzeren „chains of moves” 
impliziert. 
Hinsichtlich der Forderung nach „‚sozia- 
ler Mischung” bzw. der Warnung vor „Se- 
gregation’” muß die Besonderheit der Ver- 
wendung dieser Begriffe in der politischen 
Praxis (im teilweisen Gegensatz zur wis- 
senschaftlichen Diskussion) hervorgehoben 
werden: Für privilegierte Wohngebiete 
kommt kein Politiker auf die Idee, nach 
sozialer Mischung zu rufen (anders etwa 
in Italien, wo gerade auch die Forderung 
nach Requirierung von Luxuswohnungen 
in entsprechenden Quartieren oder allge- 
mein nach einer sozialorientierten Umnut- 
zung des Wohnungsbestandes zunehmend 
größere kommunalpolitische Bedeutung 
gewonnen hat) oder vor Segregation zu 
warnen; diese Begriffe werden hierzulande 
wesentlich zur Rechtfertigung der Vertrei- 
bung der Unterschichten aus Innenstadt- 
randgebieten mit privilegierter Lage funk- 
tionalisiert. 
® Was nun die Alternativen bzw. die vor- 
geschlagene Dezentralisierungsstrategie 
betrifft, so ist zunächst die klassenneutrale 
Charakterisierung des Wesens bisheriger 
Stadtentwicklungspolitik der Großstädte 
(„Sicherung der Dominanz der Kern-Stadt 
gegenüber inrem Umland”) problematisch: 
Natürlich besteht eine Hierarchie der Räu- 
me (Kernstadt-Umland, Verdichtungsräu- 
me — periphere Regionen, Industrielän- 
der — Entwicklungsländer). Doch sicher 
ist diese Hierarchie nicht in einem strikten 
Sinne deckunasaleich mit sozialen Hierar- 
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