Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

chien, so daß sich etwa aus der Umkehrung 
der räumlichen Prioritäten per se schon 
eine in sozialer Hinsicht alternative Politik 
ergeben würde. Ein derartiges — von den 
Autoren gewiß nicht intendiertes —Miß- 
verständnis müßte durch eine differenzier- 
tere Analyse der Form und des sozialen 
Inhalts der Funktionalisierung der jeweils 
abhängigen durch die dominanten Räume 
vermieden werden. Hierbei wären insbe- 
sondere die Entwicklung disparitärer Le- 
benslagen der Bevölkerung innerhalb der 
Kernstädte und in den Randzonen sowie 
die großräumigen Disparitäten und Umver- 
teilungsprobleme zu berücksichtigen. 
® Zerlegt man den Dezentralisier ungsvor- 
schlag von Häußermann/Siebel in seine 
beiden Komponenten (Akzeptieren des 
Trends der Randwanderung auch für die 
einkommensschwachen Schichten), so 
bleibt hinsichtlich der Mittelschichten un- 
klar, wie der nicht weiter in Frage gestellte 
Wunsch nach dem eigenen Häuschen (Zer- 
siedelung der Landschaft) und das Konzept 
der Bildung von relativ verdichteten Subzen- 
tren (die doch sicher nicht in der Form des 
verdichteten Flachbaus gedacht sind) ver- 
einbar sind. 
® Was die Dezentralisierung der Unter- 
schichten betrifft, so wird durch die 
pauschalisierende These von der „Auflö- 
sung der Stadt” eine Problematik eskamo- 
tiert, die Häußermann/Siebel in den „„The- 
sen zur Soziologie der Stadt” (Leviathan 
4/78) selbst sehr prononciert hervorgehober 
haben: Verstädterung und räumliche Zu- 
sammenballung als Chance zum Wider- 
stand, zur Kommunikation und zur Aus- 
bildung von Klassenbewußtsein — oder 
anders: Welche Entwicklungschancen 
hat die „kollektive Eigeninitiative” in 
Neubaughettos bzw. im Siedlungsbrei? 
Nicht zuletzt diese Frage müßte sehr viel 
gründlicher untersucht und diskutiert wer- 
den, bevor man die — vielfach nachgewie- 
Sene — entpolitisierende räumliche Dis- 
Persion der Arbeiterschichten an den 
städtischen Peripherien zum Kern einer 
alternativen Stadtentwicklung machen 
sollte. 
Diese Kritik beinhaltet durchaus das 
Einverständnis mit der Diagnose der ge- 
genwärtigen Politik auf kommunaler Ebe- 
ne als einer „negativen Umverteilungspoli- 
tik” und der Forderung nach einer „‚alter- 
nativen, sozialen Stadtentwicklungspoli- 
tik”, die sich auf jene konzentriert, „die 
einer Verbesserung ihrer Wohnverhältnis- 
se am meisten bedürfen.’” Unserer Mei- 
nung nach würde ein solches Konzept in 
jedem Fall die Priorisierung folgender 
Ziele/Forderungen implizieren: 
® Konzentration öffentlicher Mittel auf 
altstädtische Problemgebiete und 
Neubaughettos — auf Gebiete also, die 
von der Privatinitiative vernachlässigt 
werden; 
® Sicherung der unteren Schichten vor 
der Vertreibung in den Gebieten, die von 
der Privatinitiative erfaßt worden sind. 
Für zu kurzschlüssig halten wir je- 
doch, zusammengefaßt, das Rezept, 
einen bestehenden — u.E. zudem nicht 
gänzlich eindeutigen — Trend einfach 
verstärken zu wollen und durch die Auf- 
forderung an die Administration zu ergän- 
zen, auch den einkommensschwachen 
Schichten die — in politischer und sozia- 
ler Hinsicht evtl. wenig wünschenswerte — 
Randwanderung zu ermöglichen. Die hier 
zur Debatte stehende Problematik dürfte 
kaum durch neue administrative Konzep- 
te (was eine Dezentralisierung von oben 
bewirkt, haben Perlach und das Märki- 
sche Viertel gezeigt) gelöst werden, son- 
dern erfordert einen starken politischen 
Träger, einem Stichwort, zu dem freilich 
auch Häußermann/Siebel kaum mehr als 
die Benennung der potentiellen — und in 
der BRD bislang übermächtigen — Gegner 
eingefallen ist. Natürlich läßt sich ein der- 
artiger Träger nicht einfach herbeischwö- 
ren. Dennoch scheint uns kein anderer 
Weg als der Bezug auf die sicherlich äußerst 
heterogenen Diskussionen in Bürgerinitiati- 
ven, sog. Alternativbewegungen, bunten/ 
grünen Listen, Teilen der SPD, Gewerk- 
schaften (in die die urbanistische Diskus- 
sion allerdings erst noch zu tragen ist) und 
sonstigen politischen im kommunalen Be- 
reich agierenden Gruppierungen möglich 
zu sein. In diesem Sinn kann es sicherlich 
nicht schon um die Diskussion in sich ab- 
geschlossener Konzepte gehen, sondern 
eher um das Anregen und Verbreitern 
einer „alternativen Logik” in der Diskus- 
sion um sozialorientierte Stadtentwicklung 
— ein Sinn, in dem wir den Artikel von 
Häußermann/Siebel wie auch unsere The- 
sen verstehen wollen. 
Werner Durth, Manfred Teschner 
Dezentralisierung - (immer) eine soziale 
Alternative? 
OO toren haben Recht: Die Formel (472/480). Was sich u.E. hingegen beob- 
sienicht. rise Der Stadt‘ bleibt leer, wenn achten läßt, ist eine Hierarchisierung inner- 
ben A s neu und präzise beschrie- städtischer Wohnquartiere mit wachsen- 
Zweifel, daß En (471). Wir haben jedoch dem Gefälle zwischen den erwähnten 
des sozia) aß ihre vorgelegte Beschreibung „kleinen ghettoartigen Inseln der Armut”, 
Ses.di räumlichen Umschichtungsprozes- einer größeren Zahl baulich-räumlich, wie 
esem Anspruch genüat. sozial recht heterogener „Unterschicht”- 
Quartiere und einigen wenigen (schon von 
Lage und Baustruktur) privilegierten und 
sozial homogeneren „bürgerlichen”” Vier- 
teln. Unberücksichtigt bleiben bei der 
Darstellung von H./S. außerdem die für 
innerstädtische Wohnquartiere charakteri- 
stischen internen sozialen Polarisierungen 
zwischen zwangsseßhaften, immobilen 
Bewohnergruppen und hochmobiler Über- 
gangsbevölkerung, zwischen „deklassier- 
ten” deutschen und „unterschichtenden” 
ausländischen Arbeitern u.a.m. Die Rede 
vom Sammelbecken „einer armen Rand- 
gruppenbevölkerung”’ (472) suggeriert das 
Bild einer sozial homogenen Innenstadt- 
bevölkerung, das der Konzentration von 
„Ökonomisch und politisch aktiven Mit- 
tel- und Oberschichten mit stärker kon- 
servativ geprägten Verhaltensmustern” 
im Umland einfach gegenübergestellt 
wird, 
Dieses vereinfachende Bild der Wand- 
lungen städtischer Sozialstrukturen re- 
sultiert aus der Verwendung grobschläch- 
tiger sozialstruktureller Kategorien und 
undefinierter Klassenbegriffe, Dieses 
Bild erscheint uns problematisch und po- 
litisch folgenreich, weil es den Blick ver- 
stellt für eine realistische Einschätzung 
des politischen und sozialen Handlungs- 
potentials der nach sozialen Lagen und 
sozialkulturellen Lebensstilen höchst he- 
terogenen Bewohnergruppen in den 
Kernstädten der Ballungsräume. Über- 
schätzt werden bei einer Fixierung auf 
dieses Zerrbild städtischer Sozialstruk- 
turen die Bedingungen der Möglichkeit 
kollektiver, solidarischer Aktion; fatal 
unterschätzt werden hingegen die ver- 
schiedenen Formen sozialer und politi- 
scher Partikularisierung. Es verwundert 
daher nicht, daß die Autoren die Frage 
nach den politisch-gesellschaftlichen Trä- 
gern ihrer Alternativvorschläge nicht 
anders zu beantworten wissen als mit 
dem nebulösen Hinweis auf den „Kassen- 
Standpunkt” aller (!) politischen Parteien, 
der sich unter dem Druck der ‚sich ab- 
zeichnenden Konflikte im Gefolge der 
(Wachstums-) Krise der Städte’ offenba- 
ren soll (483). 
Anhand eines kruden Zweiklassen- 
schemas (‚‚Randgruppenbevölkerung‘ ge- 
gen „Mittel- und Oberschichten”‘), das in 
der Argumentation immer wieder durch- 
scheint und in der Polarisierung Kernstadt/ 
Umland über Gebietskategorien gleichsam 
verräumlicht wird, lassen sich auch die 
Verteilungseffekte der gegenwärtig ver- 
folgten Maßnahmen zur Stadterneuerung 
nicht präzis erfassen. 
2. H./S. operieren nicht nur mit einem 
ungenügenden begrifflichen Instrumen- 
tarium zur Analyse städtischer Sozialstruk: 
turen und bleiben daher diffus in der Cha- 
rakterisierung sozialstruktureller Wand- 
lungen; darüber hinaus vermitteln sie auch 
kein historisch angemessenes und theore- 
tisch fundiertes Bild der tatsächlich zu 
beobachtenden Wandlungen im Subur- 
banisierungsprozeß und der ihm zugrunde- 
liegenden ökonomischen, politischen und 
technologischen Veränderungen. Die Hin- 
weise, das „Problem der Abwanderung 
ist nicht neu” und „auch die damit ver- 
bundene soziale Segregation ist keines- 
wegs ein neues Phänomen” (474), ver- 
nachlässigen die für eine alternative Stadt- 
entwicklungspolitik immens wichtige 
Aufgabe, die gesellschaftlichen Rahmen- 
bedingungen und räumlich relevanten 
Entwicklunastendenzen historisch zu spe- 
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