chien, so daß sich etwa aus der Umkehrung
der räumlichen Prioritäten per se schon
eine in sozialer Hinsicht alternative Politik
ergeben würde. Ein derartiges — von den
Autoren gewiß nicht intendiertes —Miß-
verständnis müßte durch eine differenzier-
tere Analyse der Form und des sozialen
Inhalts der Funktionalisierung der jeweils
abhängigen durch die dominanten Räume
vermieden werden. Hierbei wären insbe-
sondere die Entwicklung disparitärer Le-
benslagen der Bevölkerung innerhalb der
Kernstädte und in den Randzonen sowie
die großräumigen Disparitäten und Umver-
teilungsprobleme zu berücksichtigen.
® Zerlegt man den Dezentralisier ungsvor-
schlag von Häußermann/Siebel in seine
beiden Komponenten (Akzeptieren des
Trends der Randwanderung auch für die
einkommensschwachen Schichten), so
bleibt hinsichtlich der Mittelschichten un-
klar, wie der nicht weiter in Frage gestellte
Wunsch nach dem eigenen Häuschen (Zer-
siedelung der Landschaft) und das Konzept
der Bildung von relativ verdichteten Subzen-
tren (die doch sicher nicht in der Form des
verdichteten Flachbaus gedacht sind) ver-
einbar sind.
® Was die Dezentralisierung der Unter-
schichten betrifft, so wird durch die
pauschalisierende These von der „Auflö-
sung der Stadt” eine Problematik eskamo-
tiert, die Häußermann/Siebel in den „„The-
sen zur Soziologie der Stadt” (Leviathan
4/78) selbst sehr prononciert hervorgehober
haben: Verstädterung und räumliche Zu-
sammenballung als Chance zum Wider-
stand, zur Kommunikation und zur Aus-
bildung von Klassenbewußtsein — oder
anders: Welche Entwicklungschancen
hat die „kollektive Eigeninitiative” in
Neubaughettos bzw. im Siedlungsbrei?
Nicht zuletzt diese Frage müßte sehr viel
gründlicher untersucht und diskutiert wer-
den, bevor man die — vielfach nachgewie-
Sene — entpolitisierende räumliche Dis-
Persion der Arbeiterschichten an den
städtischen Peripherien zum Kern einer
alternativen Stadtentwicklung machen
sollte.
Diese Kritik beinhaltet durchaus das
Einverständnis mit der Diagnose der ge-
genwärtigen Politik auf kommunaler Ebe-
ne als einer „negativen Umverteilungspoli-
tik” und der Forderung nach einer „‚alter-
nativen, sozialen Stadtentwicklungspoli-
tik”, die sich auf jene konzentriert, „die
einer Verbesserung ihrer Wohnverhältnis-
se am meisten bedürfen.’” Unserer Mei-
nung nach würde ein solches Konzept in
jedem Fall die Priorisierung folgender
Ziele/Forderungen implizieren:
® Konzentration öffentlicher Mittel auf
altstädtische Problemgebiete und
Neubaughettos — auf Gebiete also, die
von der Privatinitiative vernachlässigt
werden;
® Sicherung der unteren Schichten vor
der Vertreibung in den Gebieten, die von
der Privatinitiative erfaßt worden sind.
Für zu kurzschlüssig halten wir je-
doch, zusammengefaßt, das Rezept,
einen bestehenden — u.E. zudem nicht
gänzlich eindeutigen — Trend einfach
verstärken zu wollen und durch die Auf-
forderung an die Administration zu ergän-
zen, auch den einkommensschwachen
Schichten die — in politischer und sozia-
ler Hinsicht evtl. wenig wünschenswerte —
Randwanderung zu ermöglichen. Die hier
zur Debatte stehende Problematik dürfte
kaum durch neue administrative Konzep-
te (was eine Dezentralisierung von oben
bewirkt, haben Perlach und das Märki-
sche Viertel gezeigt) gelöst werden, son-
dern erfordert einen starken politischen
Träger, einem Stichwort, zu dem freilich
auch Häußermann/Siebel kaum mehr als
die Benennung der potentiellen — und in
der BRD bislang übermächtigen — Gegner
eingefallen ist. Natürlich läßt sich ein der-
artiger Träger nicht einfach herbeischwö-
ren. Dennoch scheint uns kein anderer
Weg als der Bezug auf die sicherlich äußerst
heterogenen Diskussionen in Bürgerinitiati-
ven, sog. Alternativbewegungen, bunten/
grünen Listen, Teilen der SPD, Gewerk-
schaften (in die die urbanistische Diskus-
sion allerdings erst noch zu tragen ist) und
sonstigen politischen im kommunalen Be-
reich agierenden Gruppierungen möglich
zu sein. In diesem Sinn kann es sicherlich
nicht schon um die Diskussion in sich ab-
geschlossener Konzepte gehen, sondern
eher um das Anregen und Verbreitern
einer „alternativen Logik” in der Diskus-
sion um sozialorientierte Stadtentwicklung
— ein Sinn, in dem wir den Artikel von
Häußermann/Siebel wie auch unsere The-
sen verstehen wollen.
Werner Durth, Manfred Teschner
Dezentralisierung - (immer) eine soziale
Alternative?
OO toren haben Recht: Die Formel (472/480). Was sich u.E. hingegen beob-
sienicht. rise Der Stadt‘ bleibt leer, wenn achten läßt, ist eine Hierarchisierung inner-
ben A s neu und präzise beschrie- städtischer Wohnquartiere mit wachsen-
Zweifel, daß En (471). Wir haben jedoch dem Gefälle zwischen den erwähnten
des sozia) aß ihre vorgelegte Beschreibung „kleinen ghettoartigen Inseln der Armut”,
Ses.di räumlichen Umschichtungsprozes- einer größeren Zahl baulich-räumlich, wie
esem Anspruch genüat. sozial recht heterogener „Unterschicht”-
Quartiere und einigen wenigen (schon von
Lage und Baustruktur) privilegierten und
sozial homogeneren „bürgerlichen”” Vier-
teln. Unberücksichtigt bleiben bei der
Darstellung von H./S. außerdem die für
innerstädtische Wohnquartiere charakteri-
stischen internen sozialen Polarisierungen
zwischen zwangsseßhaften, immobilen
Bewohnergruppen und hochmobiler Über-
gangsbevölkerung, zwischen „deklassier-
ten” deutschen und „unterschichtenden”
ausländischen Arbeitern u.a.m. Die Rede
vom Sammelbecken „einer armen Rand-
gruppenbevölkerung”’ (472) suggeriert das
Bild einer sozial homogenen Innenstadt-
bevölkerung, das der Konzentration von
„Ökonomisch und politisch aktiven Mit-
tel- und Oberschichten mit stärker kon-
servativ geprägten Verhaltensmustern”
im Umland einfach gegenübergestellt
wird,
Dieses vereinfachende Bild der Wand-
lungen städtischer Sozialstrukturen re-
sultiert aus der Verwendung grobschläch-
tiger sozialstruktureller Kategorien und
undefinierter Klassenbegriffe, Dieses
Bild erscheint uns problematisch und po-
litisch folgenreich, weil es den Blick ver-
stellt für eine realistische Einschätzung
des politischen und sozialen Handlungs-
potentials der nach sozialen Lagen und
sozialkulturellen Lebensstilen höchst he-
terogenen Bewohnergruppen in den
Kernstädten der Ballungsräume. Über-
schätzt werden bei einer Fixierung auf
dieses Zerrbild städtischer Sozialstruk-
turen die Bedingungen der Möglichkeit
kollektiver, solidarischer Aktion; fatal
unterschätzt werden hingegen die ver-
schiedenen Formen sozialer und politi-
scher Partikularisierung. Es verwundert
daher nicht, daß die Autoren die Frage
nach den politisch-gesellschaftlichen Trä-
gern ihrer Alternativvorschläge nicht
anders zu beantworten wissen als mit
dem nebulösen Hinweis auf den „Kassen-
Standpunkt” aller (!) politischen Parteien,
der sich unter dem Druck der ‚sich ab-
zeichnenden Konflikte im Gefolge der
(Wachstums-) Krise der Städte’ offenba-
ren soll (483).
Anhand eines kruden Zweiklassen-
schemas (‚‚Randgruppenbevölkerung‘ ge-
gen „Mittel- und Oberschichten”‘), das in
der Argumentation immer wieder durch-
scheint und in der Polarisierung Kernstadt/
Umland über Gebietskategorien gleichsam
verräumlicht wird, lassen sich auch die
Verteilungseffekte der gegenwärtig ver-
folgten Maßnahmen zur Stadterneuerung
nicht präzis erfassen.
2. H./S. operieren nicht nur mit einem
ungenügenden begrifflichen Instrumen-
tarium zur Analyse städtischer Sozialstruk:
turen und bleiben daher diffus in der Cha-
rakterisierung sozialstruktureller Wand-
lungen; darüber hinaus vermitteln sie auch
kein historisch angemessenes und theore-
tisch fundiertes Bild der tatsächlich zu
beobachtenden Wandlungen im Subur-
banisierungsprozeß und der ihm zugrunde-
liegenden ökonomischen, politischen und
technologischen Veränderungen. Die Hin-
weise, das „Problem der Abwanderung
ist nicht neu” und „auch die damit ver-
bundene soziale Segregation ist keines-
wegs ein neues Phänomen” (474), ver-
nachlässigen die für eine alternative Stadt-
entwicklungspolitik immens wichtige
Aufgabe, die gesellschaftlichen Rahmen-
bedingungen und räumlich relevanten
Entwicklunastendenzen historisch zu spe-
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