len Priorität äußert: Im Rahmen der
Durchsetzung der von der PCI mitgetra-
genen Austerity-Politik auch auf kommu-
naler Ebene (Aufgabe der Politik des de-
ficit spending) tritt die bisher dominieren-
de „Politik des öffentlichen Konsums”
(forcierter Ausbau von sozialen Dienst-
leistungen) gegenüber der Politik der
Wirtschaftsförderung im engeren Sinne
in den Hintergrund. Rationalisierung
der Dienstleistungen, Erhöhung der Ta-
rife und Konzentration der Mittel auf
„Investitionen zur Unterstützung der
produktiven Sektoren” sind die Folge.
Damit verändert sich auch die allgemei-
ne Funktion der Organe der Quartiers-
demokratie: „Bestand diese Funktion
bisher in erster Linie in Planung, Verwal-
tung und Ausbau der Dienstleistungsein-
richtung, so wird den Quartiersinstitu-
tionen jetzt von der Verwaltung die Auf-
gabe der Durchsetzung der Sparmaßnah-
men auf Quartiersebene zugewiesen.”
In dieser Situation brechen auch in der
Musterstadt italienischer Ruhe und Ord-
nung neue Konfliktfronten auf. „Der
"Dissens’ der marginalisierten Gruppen
(insbesondere der Studenten) formiert
sich als gesellschaftliche Bewegung‘ —
eine Bewegung, die allgemeinpolitisch
eine weitere, höchst ambivalente Pro-
filierung der PCI als „„staatstragender”
Partei zur Folge hat und die der Stadt-
planung neue Aufgaben aufzwingt
(Linderung der Wohnungsnot der Stu-
denten).
Damit ist schon ein dritter, wichti-
ger Punkt angedeutet: die Einordnung
der kommunalen Planungsdebatte in
die nationale Reformkontroverse. So
wird z.B. die kompromißhafte Anwen-
dung der Enteignungsmöglichkeiten des
‚„‚legge sulla casa‘ in Bologna nur verständ:
lich, wenn der Entstehungsprozeß dieser
Reform auf nationaler Ebene in die Ana-
Iyse mit einbezogen ist: als widersprüch-
liche Antwort auf die vor allem in den
Großstädten des Nordens (und kaum in
Bologna) geführten Stadtkämpfe erfor-
dert dieses Gesetz auch in seiner Anwen-
dung einen Grad an Basismobilisierung,
der in Bologna von vornherein nicht
gegeben war und hier von der PCI auch
nicht gefördert wurde.
Die Arbeit von T. Harlander geht
ebenfalls mehrstufig vor: Zunächst wird
= für den deutschen Leser unerläßlich —
die ungleiche räumliche und wirtschaft-
liche Entwicklung Italiens seit dem II.
Weltkrieg aufgearbeitet, wobei über bloße
Deskription hinaus vor allem die dualis-
Mus- und arbeitsmarkttheoretischen Er-
klärungsansätze sowie die Diskussion der
konfliktuellen Folgen dieser Prozesse im
Vordergrund stehen. Auf dieser Basis kön-
nen sodann die großen Wirtschafts- und
Planungsdebatten der 50er und 60er Jah-
re verfolgt werden. Interessant für die
hiesige Diskussion um Investitionslenkung
dürften hier insbesondere die — faktisch
vergeblichen — Versuche sein, die ökono-
Misch und politisch relativ sehr gewichti-
gen „Staatsindustrien‘” zu verantwortungs-
vollen Trägern eines rationalisierenden
Eingriffs in die gravierenden räumlich
Und wirtschaftlich Ungleichgewichte zu
machen.
Schließlich ist eine ausführliche Unter-
suchung der politischen Abivalenz der
italienischen Regionalismusdebatte vor-
geschaltet, die im Ergebnis 1970 zur
lange verzögerten Einrichtung der schon
in der Verfassung vorgesehenen Regio-
nen führte — eine Reform, die erst 1978
mit einem umstrittenen, kompromißhaf-
ten Gesetz vorläufig abgeschlossen wer-
den konnte. Die Frage nach den Mög-
lichkeiten einer „Demokratisierung
durch Dezentralisierung”, einer tiefgrei-
fenden Erneuerung des zentralistischen
Staatsapparates von unten erweist sich
dabei nicht nur angesichts des allgemei-
nen Erstarkens regionalistischer Bewe-
gungen in den meisten westeuropäischen
Ländern von grundlegender Bedeutung,
sondern als schlechthin konstitutiv für
den durch die PCI vertretenen, wesent-
lich auf die Institutionen bezogenen
„‚italienischen Weg zum Sozialismus”.
Im italienischen Beispiel zeigt sich,
bezogen auf die dortige Problematik,
welche Gefahren vom „‚strukturellen
Konservatismus” der Institutionen für
die Einheit und den Fortschritt der so-
zialen Bewegung ausgehen, wenn diese
Institutionen ihren politischen Gehalt
nicht aus der organischen Verbindung
mit der sozialen Basis gewinnen, son-
dern — wie im politischen Klima des
„Compromesso storico”” — mehr und
mehr zum taktisch bestimmten Verhand-
lungsgegenstand der „‚großen Politik”
werden.
Bezogen auf die hiesige Regionalde-
batte wird aber auch deutlich, wie ganz
anders die Komplexe „‚Politik- und Ver
waltungsreform”’/Veränderung der all-
gemeinen Wirtschaftspolitik/Regional-
politik miteinander verknüpft werden
können. Erst die Regionalisierung als
wichtigste Strukturveränderung des
italienischen Staates der Nachkriegszeit
schuf die Voraussetzungen für den auch
in Italien herausragenden Versuch in
der Region Emilia-Romagna, eine um-
fassende sozialorientierte Steuerung
der sozialen, wirtschaftlichen und räum-
lichen Entwicklung einzuleiten.
Die Analyse dieses Experiments, sei-
ner Voraussetzungen (die Stellung der
Emilia-Romagna als „periphere Region”)
der nach und nach entwickelten Pro-
grammatik, der Restriktionen (antiregio-
nalistische Politik des Zentralstaats,
Wirtschafts- und Finanzkrise etc.), der
In strumente (von besonderem Interesse
hier die Rolle der Genossenschaften),
der politischen Implikationen und bis-
herigen Ergebnisse macht den zweiten
Hauptteil der Arbeit aus. Ähnlich wie
im Fall Bologna wirkt sich auch hier
der Übergang der PCI auf nationaler
Ebene 1975/76 zur Unterstützung und
Propagierung einer primär wirtschafts-
und produktivitätsorientierten Austerity:
Politik aus: sie forciert eine Wende der
regionalen Politik, in der das Ziel einer
weiteren Ausweitung der sozialen Dienst-
leistungen bzw. des sogenannten „,sozia-
len Konsums” mehr und mehr zugunsten
einer rigiden Spar- und Opferpolitik zu-
rücktritt.
Ebenso wie die entsprechende Diskus-
sion der Bologneser urbanistischen Re-
formkonzepte bei H. Bodenschatz scheint
mir dieser Teil für eine gerade erst begin-
nende Debatte über wirtschafts- und so-
zialpolitische Alternativen in der BRD
wichtig. Hier wird die Möglichkeit zur
Auseinandersetzung mit einem politisch
konsistent formulierten Reformprogramm
geboten, das in seiner Komplexität weit
über die bei uns zu findende zaghafte und
allzu häufig abstrakte ‚Suche nach Alter-
nativen” hinausgeht. Hier stehen die Am-
bivalenzen, Widersprüchlichkeiten und
Restriktionen einer derartigen Program-
matik nicht (allein) als akademisch-wis-
senschaftliche zur Diskussion, sondern
als konkreter Ausdruck von Kräfteverhält-
nsisen und politischen Prozessen.
Insgesamt sind die beiden sich ergän-
zenden (zusammen als eine Art Kompen-
dium der italienischen Planung auf zen-
tralstaatlicher, regionaler und kommu-
naler Ebene verwendbaren) Arbeiten der
großen Zahl der „„Bologna-Wallfahrer”
(oder „Bologna-Skeptiker”) und darüber
hinaus denjenigen sehr zu empfehlen,
die begonnen haben, sich intensiver mit
der urbanistischen und Planungsdiskus-
sion im europäischen Ausland zu befas-
sen. Aber auch als ein konkreter Beitrag
zur Diskussion um Programmatik und
Praxis der italienischen Variante des Eu-
rokommunismus, die hier anhand eines
wichtigen politischen Praxisbereichs dis
kutiert wird, haben beide Bücher einen
eigenständigen Wert.
Einer weiteren Verbreitung wird frei-
lich wieder der — auch angesichts des
Umfangs von jeweils ca. 300 Seiten —
hohe Preis von DM 36,—-— pro Band ent-
gegenstehen — ein Problem, das zu ei-
nem Stereotyp in der Rezension wenig
auflagenstarker Bücher werden dürfte.
Adalbert Evers
NEUERSCHEINUNG
„... und vor allen Dingen, dat is’
wahr!” Eindrücke und Erfahrun-
gen aus der Filmarbeit mit alten
Menschen im Ruhrgebiet. Duis-
burg 1979, 144 S., 97 Abb.,
DM 8,—.
Eine Filmreihe der Volkshochschule
Duisburg schuf eine ungewöhnliche
Möglichkeit, alte Menschen nach Le-
bens- und Arbeitsbedingungen, ihrem
Alltag, vor 20, 30 oder gar 40 Jahren
zu fragen. Historische Filme aus der
Retrospektive „Das Ruhrgebiet im
Film”, 1978 bei den Kurzfilmtagen in
Oberhausen erstmals vorgestellt, boten
den Besuchern der Veranstaltung in
fünf Duisburger Altentagesstätten An-
knüpfungspunkte, um aus eigenem Er-
leben über die vergangenen Jahrzehnte
zu berichten. In ihren Erinnerungen
wird gelebte persönliche Geschichte le-
bendig — immer auch ein Stück Ge-
schichte von Stadt und Region. Solche
Geschichte(n) des Alltags im Ruhrge-
biet dokumentiert dieser Band.
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