Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

Jasper Holfmann, Clod Zillich 
Schinkel-Cafe 
Entwurf für den Gipfel eines Müllbergs - ein negativ-positives Monument 
DER ORT: 
Endmoränenrücken (höchste natürliche 
Erhebung Berlins, 78 m ü.N.N.) zwischen 
den Urstromtalniederungen Spree und 
Tegeler Flies. Findlinge, Pfuhle ... 
/m Norden: Berlins ältester Teil, Lübars, 
das einzige noch funktionierende Anger- 
Dorf im Westberliner Stadtgebiet. Gegrün- 
det um 1200. Umgeben vom Naturschutz- 
gebiet Tegeler Fließ. 
Im Süd/Westen: Berlins jüngster und mas- 
sivster Teil, das Märkische Viertel mit 
ca. 55.000 Einw. 1967. 
Im Nord/Westen: Kleinsiedlungen Quick- 
born, Selbstbausiedlungen aus den 30er 
Jahren; die Häuser fast zugewachsen vom 
selbstangelegten Grün. 
Im Osten: DDR-Hoheitsgebiet, weite Na- 
turlandschaft, von der Mauer zerschnitten; 
Unter den Füßen: Neben dem Teufelsberg 
(Trümmerschutt der Kriegszerstörungen, 
89 m ü.N.N.) der höchste künstliche Berg 
Berlins (Müllkippe, 1952—67 in Betrieb, 
Deponie der 1. Aufbauphase, 85 m 
ü.N.N.). Großartiger Aussichtspunkt mit 
weitem Rundumblick über den Natur- 
Raum im NO und den Stadt-Raum im 
SW. 
Daraus leiten sich verschiedene Bedeu- 
tungsebenen ab: 
Oo die geologisch-ökologische, 
Oo die siedlungsgeschichtliche, 
Oo die stadtentwicklungsplanerische, 
oO die politische, 
o die kulturgeschichtliche ... 
und damit nicht zuletzt die tou:istische. 
PLANUNGSABSICHTEN: 
Das BA Reinickendorf sieht die Umwand- 
lung der Müllkippe in einen „Freizeitpark 
Lübars’”’ vor. Die Konsistenz des Ortes soll 
durch Image-Wechsel zu Natur verschleiert 
werden. Fortan wird von „‚Gipfelplateau”” 
gesprochen (Assoziationen sollen dessen 
Untergrund, das gewachsene Felsmassiv, 
beschwören), auf dem zukünftig eine 
„Gipfelhütte”” (Namensgebungen des BA) 
den entkräfteten Bezwinger mit Berliner 
Kind! erwartet. 
Was kümmert’s das BA, daß dieser Berg 
für die Bewohner der Region, die mit 
ihm gelebt haben oder mit ihm großgewor- 
den sind, immer die Müllkippe bleiben 
wird. 
IDEEN-TEST: 
Aussichtspunkte ähnlicher Bedeutungs- 
dichte wie die Müllkippe hat Berlin nur 
wenige: Tefelsberg (Monte Klamott), 
Kreuzberg, Grunewald-Turm, Siegessäule. 
Alle haben prägende Wahrzeichenfunk- 
tion. 
Dieser Vergleich legt nahe, daß das ge- 
plante Restaurant jenseits seiner Service- 
Funktion ein hohes Maß an visuell-symbo- 
lischer Prägnanz besitzen sollte, das den 
Dimensionen des Ortes gerecht wird: als 
o Wechsel des Aggregatzustandes der im- 
materiellen Bedeutungen zu materiel- 
len Formen 
Oo konzeptuelle Übersetzung der Symbol- 
ebenen in ein Bauwerk 
Oo versteinerte Kulturgeschichte 
Oo zu Masse verdichtete Stadtgeschichte. 
Im brain-storming werden Ideen gesammelt 
und getestet, erst durch uns selbst, dann 
in Diskussionen mit Bewohnern der Re- 
gion. (Flugzeugwrack als Cafe, Landschaft- 
licher Holzbau, Riesen-TV, Science-fiction 
Gebilde, ...). Die Entscheidung wird, ge- 
tragen von den befragten Bewohnern, zu- 
gunsten des Bildes einer fiktiven archeolo- 
gischen Grabungsstätte gefällt: Das Kapi- 
1“
	        

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