Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

einen Sack Käse zu geben, den er in der 
Stadt verkaufen will. Hayriye erwidert, 
daß sie den Käse selber für den Winter 
brauchten und sie’ ihm im übrigen weder 
Käse noch sonst irgendwas zum Verkauf 
mitgäbe, bevor er ihr nicht etwas Geld 
für Stoffe und Wolle hiergelassen habe. 
Es entwickelt sich ein lautes Streitge- 
spräch, in das sich auch keiner der ande- 
ren einmischt. Rifat gibt ihr schließlich 
Geld und verläßt ohne Käse das Haus, um 
mit dem Minibus in die Kreisstadt zu fah- 
ren. 
Safiye stillt ihren Sohn weiter, erwärmt 
gleichzeitig etwas Sand über dem Feuer, 
schüttet ihn in die Wiege, legt das Kind 
hinein und schnürt es wieder fest ein. 
Leyla wäscht das Frühstücksgeschirr in 
einem Eimer ab und will sich gerade wie- 
der hinsetzen, als ihr Bruder Hüseyin zu 
ihr sagt, daß es Zeit für die Schule sei. Sie 
widerspricht ihm; er aber besteht darauf, 
daß sie sofort geht. Sie streift ihr Schul- 
kleid über und verläßt das Haus. Auch 
Hüseyin geht. 
Während Hayriye die Kissen im Haus 
zusammensucht, um die Bezüge aufzutren- 
nen und zu waschen, gibt sie ihrer Schwie- 
gertochter ständig Anweisungen, wie diese 
sauberzumachen sind. Beide kommentieren 
ununterbrochen ihre Handgriffe, bis Hay- 
riye das Haus verläßt, um Holz zu holen. 
Eine Nachbarin kommt ins Haus, fragt 
Safiye: „Ne ediyorsun, kiz? ” — ‚Was 
tust Du, Mädchen? ” „Ne yapayım? ” 
—,.Was soll ich schon tun? ”, antwortet 
Safiye, „Hic”” — Nichts.’ Die Nachbarin 
zieht ihr das auffällig hochgezogene Kopf 
tuch aus dem Gesicht und macht anzüg- 
liche Bemerkungen über die offenbar aus 
der letzten Nacht stammenden Kratzwun- 
den auf den Wangen. Safiye lächelt verun- 
sichert, zieht das Tuch wieder hoch und 
wechselt das Thema. Als die Nachbarin 
gegangen ist, sieht Safiye durch das Fen- 
ster, daß sich ihr Mann dem Haus nähert. 
Sie beginnt, ein Lied zu singen: 
„Sieh den Mond, sieh die Sterne, 
Sieh das Mädchen. das zum Wasser 
geht. 
Mädchen, wenn du Gott liebst, 
Dreh dich um, schau uns an.” 
Als Hüseyin eintritt, hält sie inne, be- 
schimpft ihn lachend wegen seines zerris- 
senen Hemdes und nestelt umständlich 
daran herum, um zu sehen, ob sie es 
noch nähen kann. Ihre Schwiegermutter 
betritt den Raum, sie lassen sich sofort 
los. Safiye fegt weiter und Hüseyin geht 
in den Stall. Hayriye ist ärgerlich: „Du 
bist faul. Deine Mutter hat Dir wohl 
nicht das Arbeiten beigebracht. Sowie 
ich Dir den Rücken zudrehe, tust Du 
überhaupt nichts mehr.” Safiye schweigt. 
Etwas später geht sie mit einer Wanne 
voller Wäsche zum Brunnen, wo sich meh 
rere Frauen aus der Nachbarschaft einge- 
funden haben, um Geschirr, Kleidung, 
Wolle und ihre Kinder zu waschen oder 
Wasser zu holen. Ein paar jüngere Mäd- 
chen haben sich mit ihrer Handarbeit 
In die Nähe gesetzt, kommentieren ge- 
genseitig die Güte und Fortschritte ihrer 
Häkelarbeiten oder mischen sich in die 
Gespräche der verheirateten Frauen ein, 
die sich um die neusten Dorfereianisse 
drehen: wer wann wohin gegangen ist, 
daß eine Kuh gestorben ist, eine Verlo- 
bung gescheitert. Die Frauen erzählen 
sich und den neu Eintreffenden immer 
wieder, daß ein Mädchen den vom Vater 
ausgewählten Mann abgelehnt habe, da 
er zu häßlich sei. Eine verheiratete Frau 
ärgert eines der anwesenden Mädchen 
mit der Bemerkung, daß sie nun wohl den 
häßlichen Mann heiraten müsse. Die An- 
gesprochene reagiert sehr empfindlich, 
antwortet laut und gereizt, daß sie von 
Heiratsplänen nichts hören wolle und ver- 
'aßt schließlich wütend unter Gelächter 
und weiteren Anspielungen den Ort. Die 
Frauen kommentieren ihr Verhalten 
mit den Worten: „Utaniyor” — „Sie ist 
schamhaft.” 
Safiye ist fast zwei Stunden mit dem 
Waschen beschäftigt, geht dann zurück 
ins Haus und berichtet ihrer Schwieger- 
mutter über die Ereignisse am Brunnen, 
während diese ihr Anweisungen zum An- 
setzen des Brotteigs gibt. Leyla kehrt aus 
der Schule zurück und geht ihrer Mutter 
beim Kochen zur Hand. Auch Hüseyin 
kommt mit seinem Freund Ale, dem Bru- 
der seine: Frau ins Haus, Safiye begrüßt 
ihren Bruder erfreut und erkundigt sich 
während des Essens, das alle gemeinsam 
in der Küche einnehmen, eingehend nach 
dem Befinden ihrer Eltern und Geschwi- 
ster, die sie schon seit zwei Monaten 
nicht mehr gesehen hat: „„Annem gil 
nasil? ” — „Wie geht es der Familie mei- 
ner Mutter? — Was machen sie? Sind 
sie gesund? Haben sie schon Gemüse für 
den Winter eingemacht? ” Ihr Bruder ant- 
wortet kurz und uninteressiert und fährt 
fort, sich mit Hüseyin über die noch an- 
stehenden Ausbesserungen im Stall zu un- 
terhalten. Safiye und Hayriye wollen 
gleich nach dem Essen ins Backhaus ge- 
hen und beauftragen Leyla damit, den 
Männern Tee zu kochen, auf ihren klei- 
nen Neffen aufzupassen und später noch 
etwas Holz ins Backhaus zu bringen. Sie 
binden ihre Kopftücher fest und machen 
sich auf den Weg. Schon von weitem h6- 
ren sie die lauten Stimmen der Frauen im 
Backhaus, werden beim Eintreten von 
allen begrüßt und Hayriye mischt sich so- 
fort in den Streit um die Reihenfolge beim 
Backen ein, als sie sieht, daß zwei andere 
Frauen auch gerade gekommen sind. Nach 
einigem Hin und Her steht die Reihenfol- 
ge fest. Hayriye erzählt von dem Streit 
mit ihrem Mann, der sich in die Haus- 
haltsangelegenheiten eingemischt habe, 
andere berichten über ihre Krankheiten, 
die gescheiterte Verlobung wird wieder 
aufgegriffen. Während des Redens for- 
men Hayriye und Safiye in zwei Arbeits- 
gängen den Teig zu kleinen Fladen, wo- 
bei die Schwiegertochter die anstrengen- 
dere und unangenehmere Aufgabe über- 
nimmt. Nach einer Stunde kommt Leyla 
mit Safiyes Sohn, der von den Frauen be- 
gutachtet, für dick — und also für gesund- 
befunden wird. Leyla übernimmt für kur- 
ze Zeit Safiyes Aufgaben, damit diese ih- 
ren Sohn stillen kann. Eine Frau berich- 
tet, daß am Vortag das Gerücht umging, 
daß ein sünnetci (ein Mann, der die Be- 
schneidungen vornimmt) im Dorf gewesen 
sei. woraufhin die kleinen Jungen sich 
aus Angst versteckt oder geweint hätten. 
Die Frauen lachten darüber und erzählen, 
wie sich ihre eigenen Söhne angestellt ha- 
ben. Safiye streichelt beim Stillen ihrem 
Sohn den Penis und sagt zu ihm, daß er 
auch noch drankomme. 
In dem Moment betritt eine Frau mit 
ihrem Mann das Backhaus. Sofort wird 
das Thema gewechselt. Eine junge Frau, 
deren Mann mit dem Hereingekommenen 
verwandt ist, sagt nichts mehr, andere 
ziehen ihre Kopftücher ein bißchen mehr 
ins Gesicht sprechen aber weiter, stellen 
ihm ein paar Fragen über seine Familie 
und geben ihm zwei frische Brote mit, 
als er schnell wieder geht. 
Es sind drei Stunden vergangen, als 
Hayriye, Safiye und Leyla schließlich das 
Backhaus verlassen. Vor ihrem Haus be- 
gegnen sie Hüseyin, der das Vieh in den 
Stall treibt. Safiye geht mit ihm, um die 
Kühe zu melken, während Hayriye und 
Leyla sich auf den Weg zum Garten ma- 
chen, um Zwiebeln und Gurken für das 
Abendessen zu holen. Als sie zurückkom- 
men, beginnt Hayriye mit dem Kochen; 
Leyla setzt sich mit ihrem Häkelzeug zu 
den Nachbarmädchen vor’s Haus, bis sie 
bei Einbruch der Dunkelheit mit Safiye 
zum Brunnen geht, wo sie sich Gesicht, 
Hände, Füße und Strümpfe waschen, be- 
vor sie gemeinsam ins Haus gehen. Hayri- 
ye fragt die beiden und den kurz darauf 
eintretenden Hüseyin, ob der Minibus aus 
der Stadt schon gekommen sei. Da er noch 
nicht da ist, warten sie noch eine Weile 
mit dem Essen auf Rifat, beginnen aber 
schließlich doch ohne ihn. Während des 
Essens hören sie das sich nähernde Auto. 
Leyla sieht durch’s Fenster, daß Rifat 
nicht allein auf das Haus zukommt, son- 
dern einen männlichen Besucher mit- 
bringt. Alle drei Frauen stehen auf, ma- 
chen Licht im Gästezimmer, räumen 
herumliegende Wäschestücke unter den 
Diwan., Hayriye fordert Safiye auf, für 
die Männer Eier zu braten. Als diese das 
Haus betreten, geht Hüseyin gleich mit 
ihnen ins Gästezimmer, Rifat befiehlt 
Hayriye, Essen zu bringen. Diese trägt 
erst ein Tuch, den Tisch und Besteck, 
anschließend das Essen für die drei Män- 
ner in den Raum und setzt sich etwas ent- 
fernt von ihnen auf den Divan. Sie beob- 
achtet die Männer genau, richtet auch 
das Wort an den Gast und sorgt dafür, 
daß sie genug essen. Anschließend serviert 
sie den Tee, den Safiye gekocht hat, und 
trinkt auch ein Glas, nachdem ihr Mann 
sie dazu aufgefordert hat. 
Als der Gast nach einer Stunde gegan- 
gen ist, kommen auch Leyla und Safiye 
in das Zimmer. Hayriye näht und unter- 
hält sich mit Rifat, Leyla und Hüseyin 
nehmen teil an dem Gespräch, während 
Safiye nur selten und leise mit Leyla 
flüstert und sich ansonsten auf ihre Hand- 
arbeit konzentriert. Wenn ihr Schwieger- 
vater das Wort an sie richtet, antwortet 
sie ihm mit Handzeichen. Hayriye hat 
das Kleid zu Ende genäht und sagt Leyla, 
sie solle die Betten herrichten. Safiye und 
Hüseyin verlassen den Raum. Sie schlafen 
mit dem kleinen Sohn im Nebenzimmer, 
während Leyla im selben Zimmer mit 
ihren Eltern übernachtet. 
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