meln als auch symmetrische — das Mer-
haba — ausgetauscht werden.
Wenn der Gast das Haus betritt, wer-
den die Grenzen, die zwischen dem In-
nen und Außen gezogen sind, im Haus
selber wieder errichtet. Je fremder der
Gast, desto höher ist der Rang, der ihm
eingeräumt wird, desto rigider wird aber
auch die Grenze im Haus gezogen. Am
deutlichsten ist dies am Essen beobacht-
bar. Der Fremde wird ausschließlich im
„oda” empfangen, dem öffentlichen,
männlichen Teil des Hauses. Er bekommt
die Frauen, die sich in die Küche, den
weiblichen Teil, zurückziehen und dort
das Essen zubereiten, kaum zu Gesicht.
Allenfalls wird er kurz von der Frau des
Haushaltsvorstandes begrüßt, undenkbar
aber ist, daß er die jungen Frauen, die
Töchter und Schwiegertöchter sieht oder
gar mit ihnen spricht. Wenn die Frauen
mit dem Bereiten des Essens fertig sind,
bringen sie es nur bis zur Schwelle des
Gastzimmers, dort nimmt es der Sohn in
Empfang. Ebenso wie die Grenzen der
Bereiche von Mann und Frau akzentuiert
werden, wird der Unterschied von Vater
und Sohn betont. Es ist ungehörig, für
den Sohn zu sprechen, wenn der Gast an-
wesend ist, er gehorcht schweigend den
Befehlen des Vaters. Wenn ein Fremder
das Haus betritt, betont die Familie also
die Unterschiede zwischen den Geschlech
tern und Generationen, betont, daß die
Beziehungen in ihr von Achtung (saygi)
und Scham (utanc) bestimmt sind. Sie
stellt sich — auch hier wird die Metapher
gebraucht — als ‚„‚saubere”’ Familie dar, in
der jeder seinen Bereich kennt, die Un-
terschiede zwischen den Positionen nicht
verwischt sind. Je fremder der Gast ist,
desto notwendiger sind, wie wir gehört
haben, Reinigungsrituale, desto notwen-
diger ist auch die Wahrung der Grenze
im Haus.
Es war aufschlußreich zu beobachten,
wie sich im Verlauf meines fünfmonati-
gen Aufenthalts im Dorf der Status des
völlig Fremden verlor. Mit der Zeit wurde
der bevorzugte Platz in der Ecke des Di-
van anderen eingeräumt, denen er nach
Alter und Rang mehr zustand. Gleich-
zeitig wurden die Grenzen im Haus des
Gastgebers weniger betont. Die Frauen
kamen ins Zimmer, stellten selber das
Essen ab. Ältere Frauen gesellten sich ge-
legentlich zu den Unterhaltungen, wenn
sie auch immer noch außerhalb des Krei-
ses der Männer saßen. Schließlich wurde
ich sogar wie ein Verwandter in der Kü-
che empfangen, der Domäne der Frau.
Je vertrauter der Gast, desto weniger
bedrohlich ist sein Überschreiten der
Grenzen, desto weniger bedarf es auch
der Wiedererrichtung der Grenzen inner-
halb des Hauses.
In dem Referat versuchte ich zu zei-
gen, wie in einem alltäglichen Ritual die
Grenzen zwischen Außen und Innen,
dem Bereich der Gemeinde und dem des
Hauses, der Familie, besonders der Frau
ausgedrückt, damit aber immer wieder
bestätigt und neu errichtet werden. Im
Ritual wird dargestellt, daß der Raum
des Hauses ein eigenständiger Bereich ist,
In dem spezifische Regeln gelten. Im
städtischen Kontext erhalten die Rituale
mit der Aufhebung der rigiden Trennung
von Innen und Außen den Charakter des
Beliebigen. Man wird aufgefordert, die
Schuhe anzubehalten, die asymmetrischen
Begrüßungsformeln gelten als bäuerlich
und antiquiert, sie werden durch symme-
trische ersetzt. Innerhalb des Hauses ver-
wischen sich die Grenzen von Küche
und Gastzimmer.
3) DOUGLAS, M., Pur ity ... a.a.0.5. 7 ff.
4) Wiederholt begründeten die Bauern die
Gastfreundschaft mıt dem zekat, dem ri-
tuell! vorgeschriebenen Jahresalmosen, also
einer religiösen Pflicht. PITT—-RIVERS, J.
"The fate of Shechem or The Politics of Sex,
Essays in the Anthropology of the Mediterra
nean’, Cambridge 1977, S. 99 ff. diskutiert
ausführlich den Zusammenhang von Gast-
Freundschaft und Sakralem.
PITT-RIVERS, J., The Fate ..., a.a.0. S.102
Vgl.: SAHLINS, M.D., ’On the Sociology
of Primitive Exchange’, in: BANTON, M.
(Hrsg.), ’/The Relevance of Models for Social
Anthropology,‘ ASA Monograph 1, London
1965.
Vgl. auch BOURDIEUS Analysen zum
‚Spiel von Herausforderungen und Erwide-
rung von Herausforderung‘ in: BOURDIEU,
P., ’Entwurf einer Theorie der Praxis’, Ffm
1976, 5. 15 ff. wie auch seiner Untersuchung
des „symbolischen Kapıtals’’ ebda, S. 335 ff.
Anmerkungen
1) Diese Begrüßung wird auch dann vollzogen
wenn Gastgeber und Gast sich schon außer
halb des Hauses getroffen und gemeinsam
das Haus betreten haben.
Vgl.: DOUGLAS, M., ”Purity and Danger
An analysis of the concepts of pollution
and taboo’, London 1966, S. 2.
7)
Andrea Petersen
Mögliche Auswirkungen
der Migration
Ich möchte noch einige Vermutungen
darüber anfügen, in welcher Weise sich
die sozialen Beziehungen und die Arbeits-
situation türkischer Frauen im Verlauf
der Emigration verändern könnten.
* Türkische Bäuerinnen verbringen in
der Regel ihr ganzes Leben in ein und
demselben Dorf und innerhalb dieses
Dorfes vor allem in zwei Häusern, dem
ihrer Eltern und dem ihres Mannes. Dem
entsprechend ist die Zahl der Personen,
mit denen sie ein Leben lang fast jeden
Tag umgehen, begrenzt. Die wenigen
Männer, zu denen sie Beziehungen ha-
ben, sind ihr Ehemann, Verwandte oder
Angehörige desselben Haushaltes. Der
Kreis von Frauen, mit denen sie arbeiten
und reden, ist etwas größer; er umfaßt
außer den Angehörigen ihres Haushaltes
die Frauen in der Nachbarschaft. Mit
der Heirat wird die Frau in den Haushalt
ihres Mannes aufgenommen. Ihre Bezie-
hungen erleben damit eine grundsätzli-
che Umgestaltung. Sie verläßt den Kreis
ihres Elternhauses und wird im Kreis der
Frauen des neuen Haushaltes aufge-
nommen.
In der BRD verändert sich die Situa-
tion. Hier leben die Frauen meist nur
mit ihrem Mann und ihren Kindern, von
denen einige oft in der Türkei bei Ver-
wandten zurückbleiben oder nur kürzere
Zeit hier mit ihren Eltern verbringen.
Die Kontakte zu der weiteren Verwandt-
schaft und den ehemaligen Nachbarin-
nen sind unterbrochen. Die Vielzahl der
von Frauen verrichteten häuslichen Ar-
beiten reduziert sich, da Lebensmittel
und Kleidung gekauft werden und Strom
und fließend Wasser die Hausarbeit er-
leichtern. Zudem verringert sich die Zahl
der Personen, die zu versorgen sind. Die
verbliebenen Hausarbeiten werden von
den Frauen meist einzeln, d.h. nicht mehr
im Zusammenhang mit anderen Frauen
verrichtet. Dabei könnte die Befreiung
yon einer Vielzahl oft sehr mühseliger Ar-
beiten durchaus entlastend sein, ginge sie
nicht mit einer Entleerung des Hauses von
vielfältigen und differenzierten sozialen
Beziehungen einher.
Im Bereich außerhalb des Hauses sind
die Veränderungen noch entscheidender.
Gab es im Dorf in der Öffentlichkeit Orte,
die den Frauen vorbehalten oder wenig-
stens zugänglich waren, so beginnt hier die
Öffentlichkeit — und damit die Sphäre der
Männer — bereits an der Wohnungstür. Da
es hier keine Geschlechtertrennung gibt
und damit in der Öffentlichkeit keine ge-
trennten Räume vorgesehen sind, sind die
Frauen viel mehr als in der Türkei ans
Haus gebunden, wenn sie die Grenze zu
fremden Männern aufrecht erhalten wol-
len. Auch die Arbeit außerhalb des Hau-
ses bietet kaum Möglichkeiten zu Kontak
ten. Nur in seltenen Fällen können am
Arbeitsplatz oder auf dem Weg dorthin
dauerhafte Beziehungen zu anderen türki
schen Frauen angeknüpft werden. Aber
selbst in diesen Fällen ist es kaum mög-
lich, daß die Frauen einander besuchen.
Gewichtiger als die großen räumlichen
Entfernungen zwischen den Wohnungen
und die wenige Zeit, die den Frauen auf-
grund der Doppelbelastung bleibt, dürfte
sein, daß sie — anders als die Männer —
nicht allein fremde Familien besuchen
können, da sie leicht in den Ruf der Un-
ehrenhaftiakeit kämen.
Der untrennbare Zusammenhang von
Arbeit und Interaktion im anatolischen
Dorf ist in Deutschland aufgehoben. Die
Arbeitsbedingungen in der Fabrik oder
an anderen Arbeitsplätzen schließen eine
Kommunikation weitgehend aus, und die
Hausarbeit wird isoliert verrichtet. Neben
den Kindern bleibt für die Frauen oft
nur der Ehemann als Gesprächspartner
und Bezugsperson. Damit werden die
Beziehungen zu ihm zunehmend wichtig.
Die eingeschränkte Kommunikation mit
anderen Frauen mag ein wesentlicher Aus-
löser von Heimweh und psvchischen Stö-
rungen sein.