Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

2. Berlin-Kreuzberg 
= 
Brief eines anatolischen Bauern 
Peter Arnke, Andreas Graeff, Marion Zabre 
(Stud. Projektgruppe, Betreuer: Omar Akbar) 
Türkische Gemeinde 
Kreuzberg 
Ergebnisse eines Studienprojekts. Ein Bericht für das Colloquium 
“Stadtgestalt und kulturelle Identität“. 
ZUR VORGEHENSWEISE DER ARBEIT 
stellten wir eine Verschiebung in der At- 
traktivität eines Raumes und darüber 
hinaus eine andersartige Kommunikation 
® einerseits zwischen dem Straßenpassan 
ten und dem Wirt 
® andererseits zwischen dem Gast und 
dem Wirt fest. 
Mit der Bildung der Projektgruppe verein- 
barten wir als Einstieg in die Thematik, 
Momente durch Zeichnungen, Fotogra- 
fien und Situationsbeschreibungen fest- 
zuhalten, die wir unter die Frage stellten: 
'Was ist eigentlich fremdländisch bzw. 
türkisch in SO 36? ' 
| „Werter Vater, 
zunächst sende ich meine Grüße. Die 
Hände von dir und meiner Mutter küsse| 
ich recht herzlich. Wie geht es dir? 
Geht es dir gut? Ich bete beim Herr- 
gott, daß es dir gutgeht. Mein Vater, 
hier sind sehenswürdige Stätten. Die 
Häuser wie Streichholzschachteln, 
Autos, breite Straßen — unmöglich zu 
verstehen, ohne zu sehen. Alles ist’gut 
bei diesen fremden Leuten, nur bis auf 
eines, daß sie Schweinefleisch essen. 
Vater, ferner liegen hier Schafe, Kühe 
und Schweine auf denselben Weiden. 
Überall Grün. Was mir aber besonders 
mnerkwürdig vorkommt, die hiesigen 
Toiletten. Ich habe mich nicht gewöh- 
nen können. Wenn ich darauf trete, 
geht nicht, wenn ich stehenbleibe, 
ging es auch nicht, wenn man sich 
setzt, paßt auch nicht. Verzeihe mir, 
es gibt hier kein Wasser auf der Toilet- 
te zur Waschung. Sollten wir die Toilet- 
ten aufsuchen, verwandeln wir uns in 
einen Fisch, der aus dem Wasser heraus: 
genommen wurde. Unsere Füße gehen 
dann hintereinander. Vati, glaub mir, 
in Deutschland sind Steine und Boden 
aus Gold. Verkaufe ja nicht den gelben 
Ochsen, um das Dach reparieren zu las- 
sen. In Kürze bekommst du meine 
Überweisung.” 
Von den Besuchen verschiedener Insti- 
tutionen,z.B. der türkischen Arbeiterwohl- 
fahrt, hinterließ der Besuch bei der Auslän- 
derpolizei in uns den tiefsten Eindruck. 
Wir waren befangen: zwar hatten wir von 
der Existenz der Ausländerpolizei gewußt, 
doch hatten wir uns die Abhängigkeiten, 
Daraufhin haben wir Gebietsbegehun- 
gen unternommen und dabei einzelne Si- 
tuationen fotografisch festgehalten: 
® verschiedene Gruppenkonstellationen 
im öffentlichen Straßenraum 
® Geschäftsauslagen von türkischen 
Lebensmittel- und Haushaltswaren- 
läden 
verschiedene türkische Lokalitäten 
Im Gegensatz zu deutschen Restaurants 
und Kneipen haben wir das Phänomen 
beobachten können, daß der Zuberei- 
tungsteil der Speisen nicht einen abge- 
schirmten Bereich im hinteren Teil eines 
Restaurants ausmacht, sondern daß viel- 
mehr sich dieser Zubereitungsbereich in 
einem türkischen Restaurant direkt vorn 
an einem Schaufenster befindet. Der 
Straßenpassant bzw. der Gast sieht von 
außen bereits die Zubereitung der Spei- 
sen und beim Betreten des Lokals hat er 
die Möglichkeit der direkten Auswahl 
aus den stets frisch zubereiteten Speisen. 
Durch diese andere Form der Nutzuna 
An
	        

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