Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

ren die Werbeargumente für das dort ge- 
plante Atomkraftwerk. In Neckarwest- 
heim zeigt sich indes, daß durch Kraft- 
werkansiedlung die Bäume auch nicht in 
den Himmel wachsen. Dabei sei hier nur 
am Rande erwähnt, daß im Zuge der Bera- 
tungen über das sogenannte Steuerände- 
rungsgesetz wieder sehr laut über die völli- 
ge Abschaffung der Gewerbesteuer nachge- 
dacht wurde. 
Ohnehin müssen die Gemeinden eine 
Gewerbesteuerumlage abführen, bisher je 
nach Hebesatz rund 40% der Bruttosteuer- 
einnahmen, ab 1979 rund 25%. Außerdem: 
solange Neckarwestheim steuerschwach 
war, bekam die Gemeinde erhebliche 
Schlüsselzuweisungen über den kommuna- 
len Finanzausgleich, 1973 waren das 
214 DM je Einwohner. Mit steigender 
Steuerkraft sinken automatisch die Zu- 
weisungen, 1978 bekam die Gemeinde 
überhaupt keine mehr (s. Schaubild 2). 
Der Neckarwestheimer Bürgermeister rech- 
net vor, da- von 100 DM Gewerbesteuer 
mehr nach Abzug aller Umlagen und ent- 
fallenden staatlichen Transfers gerade 10 
bis 12 DM im Gemeindesäckel bleiben. Al 
lerdings wußte er auch Abhilfe: der Hebe- 
satz wurde um 50 Punkte (!) erhöht. Die 
daraus resultierenden Mehreinnahmen blei- 
ben dann netto in der Gemeinde. 
Die Gewerbesteuer hat noch einen Pfer- 
defuß. Die GKN-Gesellschaft verkauft ih- 
ren Atomstrom an ihre Muttergesellschaf- 
ten zum Selbstkostenpreis, ohne Gewinn. 
Deshalb wird nur Steuer nach dem Gewer- 
bekapital fällig. Dieses Kapital wird Jahr 
um Jahr abgeschrieben, nach dem Höhe- 
punkt 1977 nehmen die Gewerbesteuer- 
einnahmen also kontinuierlich wieder ab. 
Bei der Grundsteuer geht Neckarwestheim 
ohnehin — entaegen den Hoffnungen — 
Gesamteinnahmen je Einwohner 1970 
und 1977 für ausgewählte Gemeinden 
um den Standort Neckarwestheim 
Gemeinde Einwohner Einnahmen/EW 
1970 1977 
DM DM 
Beilstein 4.110 
Bönnigheim 6.187 
Erligheim 1.714 
Gemmrigheim 3.387 
Großbottwar 6.423 
Hessigheim 1.761 
Ilsfeld 5.884 
Kuchheim 4.215 
Lauffen a.N. 8.799 
Mundelsheim 2.561 
Neckarwestheim 1.934 
Talheim 3.267 
Walheim 2.784 
Durchschnitt 
895 2.412 
816 1.473 
911 1.970 
554 3.113 
719 2.699 
499 1.423 
770 1.797 
593 1.234 
761 1.645 
607 2.138 
421 4.759 
685 1.746 
745 1.945 
716 2.046 
fast leer aus: auf der Gemeindemarkung 
liegen nur steuertechnisch uninteressante 
Anlagenteile. 
Auch zur Arbeitsplatzsicherung am Ort 
liefert das GKN keinen augenfälligen Bei- 
trag. Zwar arbeiteten bis zu 1.000 Leute 
auf der Baustelle, die meisten kamen je- 
doch von außerhalb. Lediglich eine kleiner 
Hotelbetrieb entstand als Folgeeffekt im 
Ort. Auch von den 200 Beschäftigten im 
Fertiggestellten Kraftwerk kamen vor al- 
lem die qualifizierten Arbeitskräfte von 
außerhalb. Die Zugezogenen verteilen sich 
auf mehrere Gemeinden, bei dem nach 
dem Wohnortprinzip verteilten Gemeinde- 
anteil an der Einkommensteuer entwickelt 
sich Neckarwestheim deshalb auch nur 
durchschnittlich (s. Schaubild 3). 
Unterm Strich bleibt dennoch eine be- 
trächtliche Steigerung der gemeindlichen 
Investitionskraft von rund 300.000 DM 
im Jahr vor GKN auf rund einer Million 
heute. Das erlaubte eine zügige Auswei- 
sung von Baugebieten — vor allem für 
Pendler nach Heilbronn — und den Aus- 
bau der Infrastruktur. Gleich 1974 wurde 
im Vorgriff auf die erwarteten Einnahmen 
eine respektable Stadthalle erbaut. 
Auf ihr infrastrukturelles Schmuck- 
stück werden die Neckarwestheimer aller- 
dings wohl verzichten müssen. Als Morgen- 
gabe für ihr Einverständnis mit dem Bau 
eines zweiten Reaktorblocks hatten sie 
sich ein kombiniertes Frei- und Hallenbad 
gewünscht: das Wasser durch Reaktorab- 
wärme auf behagliche 30—35° erwärmt. 
Aber die Idylle am Kühlturm hat vorläu- 
fig keine Realisierungschance. Nicht nur 
im Ballungsraum Mittlerer Neckar glaubt 
man spätestens seit Harrisburg nicht meh‘ 
an die heile Welt der „‚sauberen’” Atom- 
energie. 
Friedemann Gschwind/Dietrich Henckel 
Schaubild 1: Gewerbesteuer je Einwohner 
1970 bis 19771) 
1) Für die in der Übersicht: Gesamteinnahmen 
aufgeführten Gemeinden 
Schaubild 2: Schlüsselzuweisungen nach 
mengelnder Steuerkraft je Einwohner 
(einschl. 20 DM Kopfzuweisung) 1970 
bis: 19771). 
' 1 
Beilstein 
a 
Ss 
WE 
Neckarw 
17742 
M/I 
= 
N 
Durchschnitt von 
Neskarwestheim 
und 12 umliegenden 
Gemeinden 
b 
Ur 
Schaubild 3: Gemeindeanteil ar: der 
Einkommensteuer je Einwohner 1970 
bis 19771) 
M/E 
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