Berichte Rezensionen
Die Berliner
Gedenkstätte der
Opfer des 20. Juli
- ästhetisch hingerichtet
Die öffentliche Erinnerung an den Fa-
schismus und seine Opfer konzentriert
sich in West-Berlin auf zwei Lokalitäten:
die eine ist die Hinrichtungsstätte im
Gefängnis Plötzensee — sie wurde als Ge-
denkstätte ausgebaut für alle Opfer des
Faschismus; die andere ist der Bendler-
block in der Stauffenbergstraße, in des-
sen Ehrenhof in der Nacht nach dem ge-
scheiterten Umsturzversuch vom 20. Juli
1944 fünf der dabei führenden Offiziere
erschossen wurden, darunter Stauffen-
berg. Die Gebäude des Bendlerblocks,
damals Oberkommando des Heeres, sind
nahezu unverändert erhalten, eine riesi-
ge steinerne Insel im total zerstörten
Tiergartenviertel. Die Stiftung Preußi-
scher Kulturbesitz, verschiedene Bun-
desinstitutionen, eine Druckerei und
private Wohmieter nutzen ihn heute
und halten ihn lebendig. Der Ehrenhof
wurde 1952/53 zur Gedenkstätte ausge
baut. Das Erschießungsareal wurde zu
einer erhöhten Rasenfläche aufgeschüt-
tet, als einem großen bedeckenden Grab-
hügel. An Kreuzes Stelle steht, auf
einem von den Hinterbliebenen gestifte-
ten Sockel mit großer Inschrift, eine
Jünglingsstatue von Richard SCHEIBE.
Dahinter haben sich ein paar spärliche
Bäume hochgekämpft. Das Ganze ist
wohltuend unoffiziell, durchsichtig auf
die Vergangenheit, die militaristische und
die faschistische und den — nicht nur ar-
cChitektonischen — Zusammenhang zwi-
schen beidem. Vor allem ist Platz für den
Alltag von heute, Arrcit und Besucher-
verkehr, der rotinemäßig in die dürftige
Ausstellung im Obergeschoß flutet, wo
die militärischen Widerständler damals
im Militärapparat saßen.
Das soll nun aber anders werden. Den
IHR TRUGT DIE SCHANDE NICHT
IHR WEHRTET EUCH
IHR GABT DAS GROSSE EWIG WACHE ZEICHEN
DER UMKEHR
OPFERND EUER HEISSES LEBEN
FÜR FREIHEIT RECHT UND FHRE
Hinterbliebenen war seit langem vor al-
lem die Begrünung zu armselig, sie be-
mühten sich um eine gärtnerische Neuge-
staltung. Im Zusammenhang mit Holo-
caust hat aber der Bundesbauminister die
Gelegenheit wahrgenommen, grundsätz-
licher einzugreifen. Ein begrenzter Wett-
bewerb wurde veranstaltet, zu dem vier
Bildhauer und zwei Architekturbüros
{eins aus Berlin, eins aus Hamburg) einge-
laden wurden. Rechtzeitig noch vor dem
diesjährigen Heranrücken des Gedenkta-
ges hat das Preisgericht getagt und den
Entwurf des Düsseldorfer Bildhauers
Erich Reusch zur Realisierung empfoh-
len, mit einigen zusätzlichen Auflagen.
Eine Stunde, bevor die Hinterbliebenen
der Männer des 20. Juli zur Feierstunde
im Ehrenhof eintrafen, stellte der Bundes-
minister auf einer Pressekonferenz das
Verfahren und die Ergebnisse vor. Der
Vorsitzende des Preisgerichts, Prof. OHL-
WEIN von der HdK Berlin, begründete
die Entscheidung der Juroren für den
Entwurf von REUSCH damit, daß er
— ich zitiere aus dem Ergebnisprotokoll
der Jurysitzung vom 17. Juli — „in seiner
Zurückhaltung und disziplinierter Formu-
lierung — sowie auch der Einbindung der
Figur von Richard Scheibe — der Lösung
der gestellten Aufgabe am nächsten”
komme,
Also ein Minimalkonsens, die kleinste
Lösung? Wenn das so wäre — und auf
den ersten Blick scheint es so zu sein —,
wäre das sehr schön, zumal ja auch die
in der Jury vertretenen Angehörigen
der Männer des 20. Juli gerade den spe-
ziellen Charakter dieser Gedenkstätte
— gegenüber dem Anspruch von Plötzen-
see — gewahrt wissen wollten. Aber so
ist es nicht. Ich habe mir, während sich
alles um den Preisträger scharte, alle
sechs Arbeiten genau angesehen und kann
mein Mißvergnügen der getroffenen Ent-
scheidung gegenüber nun nicht mehr ver-
hehlen. Der ausgewählte Entwurf sieht
vor, daß die erhöhte Rasenplatte besei-
tigt wird, Statt dessen soll die Erschie-
Bungsfläche mit quadratischen Granit-
platten gedeckt werden, die sich, vonein-
ander durch einen schmalen Kiesstreifen
getrennt, zu einer Art Schachbrett zusam:
menschließen. Schon diese disziplinierte
Fläche macht mich stutzig — hat nicht
einst Albert SPEER den Platz vor dem
Schauspielhaus auf dem Gendarmenmarkt
so gepflastert? Aber das geht in der glei-
chen Richtung weiter. Genau in der Mittel-
achse des Ehrenhofs, der Einfahrt gegen-
über, steht auf dem letzten Feld des mitt-
leren Plattenstreifens die Jünglingsstatue
SCHEIBES. Ebenerdig, vom Sockel
heruntergeholt, ist sie nicht, wie das
Preisgericht meint, entmonumentalisiert,
sondern gerade jetzt erst Teil einer auf
vertraute Weise unter die Haut gehenden
Inszenierung (damals, in SPEERS Nürn-
berger oder Münchener Entwürfen, stand
Hitler an dieser Stelle). Ihr gegenüber,
Begrenzung des Schachbretts zum Ein-
gang zu, soll — Mauer, Erschießungskom-
mando oder Gerichtspodium — eine dop-
pelte Bronzewand von geringer Höhe ste-
hen. Die Erschießungssituation ist da —
aber als szenisches Arrangement, das den
ästhetischen Zusammenhang des Faschis-
mus nicht durchbricht, sondern eher re-
produziert. Nur abstrakte Gewalt und
der einzelne als Opfer, das ist Verdunke-
lung des Gewesenen und nicht Erinne-
rung und Gedenken. Jetzt wird auch un-
übersehbar werden, daß SCHEIBES
Jüngling gerade jenen Typ des arischen
Jünglings verkörpert, den wir auch von
KOLBE und BREKER haben und der
den Hof der Reichskanzlei kaum hätte
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