Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

Berichte Rezensionen 
Die Berliner 
Gedenkstätte der 
Opfer des 20. Juli 
- ästhetisch hingerichtet 
Die öffentliche Erinnerung an den Fa- 
schismus und seine Opfer konzentriert 
sich in West-Berlin auf zwei Lokalitäten: 
die eine ist die Hinrichtungsstätte im 
Gefängnis Plötzensee — sie wurde als Ge- 
denkstätte ausgebaut für alle Opfer des 
Faschismus; die andere ist der Bendler- 
block in der Stauffenbergstraße, in des- 
sen Ehrenhof in der Nacht nach dem ge- 
scheiterten Umsturzversuch vom 20. Juli 
1944 fünf der dabei führenden Offiziere 
erschossen wurden, darunter Stauffen- 
berg. Die Gebäude des Bendlerblocks, 
damals Oberkommando des Heeres, sind 
nahezu unverändert erhalten, eine riesi- 
ge steinerne Insel im total zerstörten 
Tiergartenviertel. Die Stiftung Preußi- 
scher Kulturbesitz, verschiedene Bun- 
desinstitutionen, eine Druckerei und 
private Wohmieter nutzen ihn heute 
und halten ihn lebendig. Der Ehrenhof 
wurde 1952/53 zur Gedenkstätte ausge 
baut. Das Erschießungsareal wurde zu 
einer erhöhten Rasenfläche aufgeschüt- 
tet, als einem großen bedeckenden Grab- 
hügel. An Kreuzes Stelle steht, auf 
einem von den Hinterbliebenen gestifte- 
ten Sockel mit großer Inschrift, eine 
Jünglingsstatue von Richard SCHEIBE. 
Dahinter haben sich ein paar spärliche 
Bäume hochgekämpft. Das Ganze ist 
wohltuend unoffiziell, durchsichtig auf 
die Vergangenheit, die militaristische und 
die faschistische und den — nicht nur ar- 
cChitektonischen — Zusammenhang zwi- 
schen beidem. Vor allem ist Platz für den 
Alltag von heute, Arrcit und Besucher- 
verkehr, der rotinemäßig in die dürftige 
Ausstellung im Obergeschoß flutet, wo 
die militärischen Widerständler damals 
im Militärapparat saßen. 
Das soll nun aber anders werden. Den 
IHR TRUGT DIE SCHANDE NICHT 
IHR WEHRTET EUCH 
IHR GABT DAS GROSSE EWIG WACHE ZEICHEN 
DER UMKEHR 
OPFERND EUER HEISSES LEBEN 
FÜR FREIHEIT RECHT UND FHRE 
Hinterbliebenen war seit langem vor al- 
lem die Begrünung zu armselig, sie be- 
mühten sich um eine gärtnerische Neuge- 
staltung. Im Zusammenhang mit Holo- 
caust hat aber der Bundesbauminister die 
Gelegenheit wahrgenommen, grundsätz- 
licher einzugreifen. Ein begrenzter Wett- 
bewerb wurde veranstaltet, zu dem vier 
Bildhauer und zwei Architekturbüros 
{eins aus Berlin, eins aus Hamburg) einge- 
laden wurden. Rechtzeitig noch vor dem 
diesjährigen Heranrücken des Gedenkta- 
ges hat das Preisgericht getagt und den 
Entwurf des Düsseldorfer Bildhauers 
Erich Reusch zur Realisierung empfoh- 
len, mit einigen zusätzlichen Auflagen. 
Eine Stunde, bevor die Hinterbliebenen 
der Männer des 20. Juli zur Feierstunde 
im Ehrenhof eintrafen, stellte der Bundes- 
minister auf einer Pressekonferenz das 
Verfahren und die Ergebnisse vor. Der 
Vorsitzende des Preisgerichts, Prof. OHL- 
WEIN von der HdK Berlin, begründete 
die Entscheidung der Juroren für den 
Entwurf von REUSCH damit, daß er 
— ich zitiere aus dem Ergebnisprotokoll 
der Jurysitzung vom 17. Juli — „in seiner 
Zurückhaltung und disziplinierter Formu- 
lierung — sowie auch der Einbindung der 
Figur von Richard Scheibe — der Lösung 
der gestellten Aufgabe am nächsten” 
komme, 
Also ein Minimalkonsens, die kleinste 
Lösung? Wenn das so wäre — und auf 
den ersten Blick scheint es so zu sein —, 
wäre das sehr schön, zumal ja auch die 
in der Jury vertretenen Angehörigen 
der Männer des 20. Juli gerade den spe- 
ziellen Charakter dieser Gedenkstätte 
— gegenüber dem Anspruch von Plötzen- 
see — gewahrt wissen wollten. Aber so 
ist es nicht. Ich habe mir, während sich 
alles um den Preisträger scharte, alle 
sechs Arbeiten genau angesehen und kann 
mein Mißvergnügen der getroffenen Ent- 
scheidung gegenüber nun nicht mehr ver- 
hehlen. Der ausgewählte Entwurf sieht 
vor, daß die erhöhte Rasenplatte besei- 
tigt wird, Statt dessen soll die Erschie- 
Bungsfläche mit quadratischen Granit- 
platten gedeckt werden, die sich, vonein- 
ander durch einen schmalen Kiesstreifen 
getrennt, zu einer Art Schachbrett zusam: 
menschließen. Schon diese disziplinierte 
Fläche macht mich stutzig — hat nicht 
einst Albert SPEER den Platz vor dem 
Schauspielhaus auf dem Gendarmenmarkt 
so gepflastert? Aber das geht in der glei- 
chen Richtung weiter. Genau in der Mittel- 
achse des Ehrenhofs, der Einfahrt gegen- 
über, steht auf dem letzten Feld des mitt- 
leren Plattenstreifens die Jünglingsstatue 
SCHEIBES. Ebenerdig, vom Sockel 
heruntergeholt, ist sie nicht, wie das 
Preisgericht meint, entmonumentalisiert, 
sondern gerade jetzt erst Teil einer auf 
vertraute Weise unter die Haut gehenden 
Inszenierung (damals, in SPEERS Nürn- 
berger oder Münchener Entwürfen, stand 
Hitler an dieser Stelle). Ihr gegenüber, 
Begrenzung des Schachbretts zum Ein- 
gang zu, soll — Mauer, Erschießungskom- 
mando oder Gerichtspodium — eine dop- 
pelte Bronzewand von geringer Höhe ste- 
hen. Die Erschießungssituation ist da — 
aber als szenisches Arrangement, das den 
ästhetischen Zusammenhang des Faschis- 
mus nicht durchbricht, sondern eher re- 
produziert. Nur abstrakte Gewalt und 
der einzelne als Opfer, das ist Verdunke- 
lung des Gewesenen und nicht Erinne- 
rung und Gedenken. Jetzt wird auch un- 
übersehbar werden, daß SCHEIBES 
Jüngling gerade jenen Typ des arischen 
Jünglings verkörpert, den wir auch von 
KOLBE und BREKER haben und der 
den Hof der Reichskanzlei kaum hätte 
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