Heiner Monheim
Verkehrsberuhigung durch Stadtschnellstraßen?
Anmerkungen zu einem aktuellen Mißverständnis
TAI
m
„STRASSE UND AUTOBAHN” nennt das: „Maximaler Schutz einer Wohnzelle für etwa 5.000 Einwohner vor nachteiligen Umwelteinwirkungen,
die vom Kraftverkehr ausgehen. Die abschirmende Randbebauung enthält Arbeitsstätten, Geschäfte und Stellplätze.” Tatsächlich ist das kompletter
Stadtumbau und damit Stadtzerstörung en gros.
Die Monofunktionalisierung innerstädti-
scher Hauptachsen zu reinen Transport-
strängen für den Kraftfahrzeugverkehr
hätte unabsehbare Folgen für die Stadt-
struktur: Die Hauptverkehrsstraßen wö-
ren endgültig als Erlebnisbereiche und
Versorgungsschwerpunkte verloren; die
Erfahrbarkeit und Ablesbarkeit gesamt-
städtischer Zusammenhänge und die
räumliche Orientierung innerhalb der
Stadt würde zunehmend unmöglich.
Die Stadt würde in privilegierte verkehrs-
arme und belastete verkehrsreiche Gebie-
te segmentiert. Genau diese Entwicklung
gilt es zu verhindern: Verkehrsberuhi-
gung auch von städtischen Hauptver-
kehrsstraßen und Rückbau bei Überka-
pazitäten müssen integrale Bestandteile
einer neuen Stadtverkehrspolitik wer-
den.
VERKEHRSBERUHIGUNG ALS ALI-
BI FÜR NEUE STADTSCHNELLSTRA-
SSEN
Seit das Thema Verkehrsberuhigung sich
bei Stadtplanern und Kommunalpoliti-
kern einer wachsenden Beliebtheit er-
freut, haben es auch die Schnellstraßen-
bauer für sich entdeckt. Sie propagieren
ihre kommunalpolitisch ungeliebten, von
Bürgerinitiativen heftig bekämpften
Stadtautobahn—Projekte neuerdings un-
ter dem Motto Verkehrsberuhigung.
Bekannte Beispiele hierfür sind die
Stadtautobahnplanungen in Berlin,
Frankfurt, Köln. Hannover und Ham-
burg. Aber auch in fast allen änderen
Großstädten gibt es ähnliche Fälle, wo
der Bau neuer, leistungsfähiger Schnell-
straßen oder die Erweiterung bestehen-
der Hauptverkehrsstraßen als „Verkehrs-
beruhigung‘” oder „Beitrag zur Ver-
kehrsberuhigung‘‘ oder „Voraussetzung
zur Verkehrsberuhigung” etikettiert
wird, Es gibt geradezu groteske Beispie-
le hierfür, etwa, wenn in Berlin oder
Frankfurt letzte Alleen abgeholzt wer-
den; oder wenn dort wie anderswo
Bürgersteige um die Hälfte gekappt wer-
den. Oder wenn in vielen Städten Stadt-
straßen für Tempo 70 oder gar 80 frei-
gegeben werden. Das alles als Beitrag
zur Verkehrsberuhigung!
Da ist also Verkehrsberuhigung nicht
etwa die von vielen erhoffte Trendwen-
de der Verkehrsplanung, die Rückkehr
zu maßvollen, Ökologischen, stadterhal-
tenden Planungsprinzipien. Vielmehr
verbirgt sich bei den Stadtautobahnen
unter dem Etikett Verkehrsberuhigung
die unverfrorene Fortsetzung des her-
kömmlichen, rein autoorientierten Stra-
Benbau—Perfektionismus. Und weil Au-
tobahnen an sich nicht mehr „WM sind,
wird das alles nur mühsam verbrämt
durch ein neues Etikett, ein neues
Schlagwort. Die ernsthaften Befürwor-
ter der Verkehrsberuhigung wollen eine
völlig neue Verkehrsplanung, einen
grundsätzlich veränderten Straßenbau.
Da sollen Fußgänger und Radfahrer
wieder zu ihrem Recht kommen, auf
attraktiven Wegen, die in erster Linie
für ihre Bedürfnisse gestaltet sind. Da
sollen Busse und Bahnen eigene, bevor:
rechtigte Trassen erhalten. Da soll der
Autoverkehr insgesamt „‚domestiziert””
werden, in erster Linie durch Verlang-
samung auf ein erträgliches Tempo; ein
Tempo, das den Autoverkehr möglichst
ungefährlich, umweltschonend, flächen-
und energiesparend macht. Hierfür sol-
len die Verkehrsflächen für das Auto
möglichst sparsamı bemessen und so ge-
staltet sein, daß eine defensive, verhal-
tene Fahrweise und eine rationale, die
eigenen Füße, das Fahrrad und Busse
und Bahnen nicht ignorierende Verkehrs-
mittelwahl gefördert wird. Da soll also
alles in allem endlich eine Basis für die
friedliche Koexistenz der Verkehrsarten
gefunden werden, statt des bisher all-
täglichen Verkehrsterrors.
Wenig von alledem findet sich bei
den Stadtautobahnbauern. Da muß es
weiterhin möglichst schnell, auf mög-
lichst breiten Pisten kreuz und quer
durch die Städte gehen, wie gehabt. Nur
noch etwas perfekter und gebündelter.
Schon in der Nachkriegszeit, als begon-
nen wurde, amerikanischen Autover-
kehrs—Perfektionismus eilig auf deut-
sche Städte zu übertragen, geschah dies
stets mit dem Argument der Bündelung!
Und so bündeln sie heute noch. Nur
noch etwas rücksichtsloser, noch etwas
stadtzerstörender. Wohin die Reise ge-
hen soll, ist erst kürzlich in einer Prin-
zipskizze in „Straße und Autobahn”
(Heft 11, 1978 Seite 491) in aller
1
10