Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

Deutlichkeit demonstriert worden. 
Die Stadt wird vollends zerteilt (di- 
vide et impera) in „‚Verkehrsgebiete‘‘ 
und ‚„Aufenthaltsgebiete’. Die Aufent- 
haltsgebiete sind Inseln oder Ghettos, 
jeweils eingeschnürt von gigantischen 
Stadtautobahnen (a la Los Angeles). 
Voraussetzung ist der totale Stadtum- 
bau, die totale Zerstörung traditionel- 
ler Stadtstrukturen. Man bedenke bei- 
spielsweise nur, daß heute noch gut 
40 % aller Bürger in den Städten an 
Hauptverkehrsstraßen wohnen. Sie 
müßten alle den Segnungen der totalen 
Verkehrsplanung weichen. Die tradi- 
tionelle Hauptverkehrsstraße mit ihrer 
Funktion als wichtige Geschäftsstraße, 
als städtebauliche Dominante, an der 
sich die räumliche Orientierung der 
Stadtbewohner festmacht, wäre tot. 
Fazit: Der totale Automaßstab, symbo- 
lisiert durch überdimensionierte Stadt- 
autobahnen, hat sich endgültig durch- 
gesetzt. Er wird zum grundsätzlichen 
Gestaltungsprinzip unserer Städte. 
DIE ARGUMENTE DER „BÜNDELER” 
Die Logik der Bündeler ist wie gesagt 
nicht neu: Wie seit 20 Jahren werden 
dem Autofahrer attraktivere, schnellere, 
breitere Straßen angeboten. Dies ge- 
schieht durch den Bau nuer Trassen oder 
durch den Ausbau bestehender. Dadurch 
soll das sonstige Straßennetz entlastet 
werden. Dabei gibt es zwei Varianten. 
Die häufigere ist die Entlastung der quar- 
tiersinternen Nebenstraßen durch den 
weiteren Ausbau der tangierenden Haupt- 
verkehrsstraßen. Wo ohnehin schon zig— 
tausend Autos am Tage führen, mache 
eine zusätzliche Belastung kaum mehr 
etwas aus. Wo aber nur wenige hundert 
pro Stunde führen, sei es wichtig, die 
Verkehrsmenge weiter zu reduzieren. 
Denn der Verkehr auf den Hauptver- 
kehrsstraßen sei der sicherste und vor 
allem der (relativ) Lärmoptimalste. Na- 
türlich müßten für die zusätzlichen Ver- 
kehrsmengen die tangierenden Hauptver- 
kehrsstraßen entsprechend schnellstra- 
Benartig ausgebaut werden. 
Die andere auf besondere Problemzo- 
nen beschränkte Bündelungs—- Variante 
ist die Entlastung bestehender Hauptver- 
kehrsstraßen, wenn diese angeblich bis 
an die Grenze der Kapazität überlastet 
seien. In der Regel werden dann völlig 
neue, leistungsfähige Schnellstraßen — 
neuerdings häufig in Tieflage — vorge- 
schlagen, meist autobahnmäßig ausgebaut 
und mit Anschluß an das Fernstraßen- 
netz. In beiden Fällen wird unterstellt, 
daß das neue Verkehrsangebot die Auto- 
fahrer von ihren herkömmlichen Wegen 
‚„‚weglocke‘” oder ‚„‚wegsauge”’, so daß es 
dort zu einer spürbaren Verkehrsminde- 
rung komme. Das sei dann die sog. Ver- 
kehrsberuhigung. 
GEGENARGUMENTE ZUR ÜBLICHEN 
BÜNDELUNGSSTRATEGIE 
Daß diese in zwei Jahrzehnten Straßen- 
planungen immer wieder neu aufgewärm- 
te Bündelungasstrategie heute noch Sinn 
hat und wirksam ist, muß ernsthaft be- 
zweifelt werden. Denn in den Groß- 
städten ist der Verkehr ohnehin schon 
weitgehend gebündelt: 70 bis 80 % der 
Autofahrleistung im Stadtverkehr wer- 
den auf Hauptverkehrsstraßen erbracht 
(das war übrigens schon früher so, da es 
stets eine ausgeprägte Netzhierarchie 
gab). Das Phänomen des sog. Schleich- 
verkehrs besteht zwar trotzdem an vie- 
len Stellen, doch erreicht der Schleich- 
verkehr nur auf wenigen, bevorzugten 
Schleichwegen quantitativ bedeutsame 
Größenordnungen. Generall kann der 
Schleichverkehr durch restriktive Ver- 
kehrsberuhigungsmaßnahmen (verlangsa 
menden Straßenumbau, Netzunterbre- 
chung) weit einfacher und wirkungsvol- 
'\er bekämpft werden, als durch das An- 
gebot neuer oder verbreiteter (Schnell) - 
straßen. Die Erfahrungen im Umfeld 
neuer Stadtschnellstraßen zeigen: Der 
Entlastungseffekt ist angesichts dieser 
Ausgangsbedingung meist geringer als 
erwartet. Oft verschwindet er — sofern 
er überhaupt eintritt — nach kurzer 
Zeit wieder. Zudem beschränkt er sich 
auf nur wenige Parallelstraßen in direk- 
ter Nachbarschaft der neuen bzw. ausge- 
bauten Entlastungsstrecken. Dem stehen 
auf den Querstraßen erhebliche Ver- 
kehrszunahmen gegenüber. 
Dagegen ist der verkehrsweckende 
Effekt eines systematischen Ausbaus 
der Hauptverkehrsstraßen ganz erheb- 
lich. Die schneller gemachten Straßen- 
verbindungen ermöglichen für viele 
Verkehrszwecke mit dem Auto spürba- 
re Reisezeitverbesserungen. Das moti- 
viert zu verstärktem Umsteigen von 
Bussen und Bahnen und von nichtmo- 
torisierten Verkehrsmitteln auf das pri- 
vate Auto. Hinzu kommt, daß man, 
wenn es schneller geht, auch häufiger 
mit dem Auto in die neu oder besser 
erschlossenen Gebiete fährt. Und die 
neuen Schnellstraßen sind massiver 
Standortanreiz für stark autoorientierte, 
verkehrsstarke Einrichtungen, z.B. Ver- 
brauchermärkte. So kommt es zu einer 
verstärkten Umorientierung des Ein- 
kaufs— und Freizeitverhaltens (... raus 
aus dem Quartier, hin in entferntere 
Gebiete ...). 
Vor allem, wenn durch neue Stadtau 
tobahnen ggf. auch noch mit Anschluß 
an das Fernstraßennetz, die Autobenut- 
zung für Pendler attraktiver gemacht 
wird, ist schnell mit weiteren Autover- 
kehrsbelastungen zu rechnen (... Wo 
man Tauben (Autos) füttert, kommen 
immer mehr Tauben ...). Diese neuen 
Verkehrsmengen werden schließlich in 
ihrer Feinverteilung auch das Nebenstra- 
ßennetz zusätzlich belasten. Bestes In- 
diz für diesen Mechanismus ist die lang- 
fristige Entwicklung der Straßen im 
Umfeld neuer Stadtschnellstraßen der 
60er und frühen 70er Jahre. Dem Aus- 
bau der Schnellstraßen folgte dort häu- 
fig der Ausbau der Zubringerstraßen. 
In einer nächsten Straßenbauwelle folgt 
dann schließlich der Ausbau der anschlie- 
ßBenden Verkehrs— und Sammelstraßen. 
Selbst die angeblich entlasteten Paral- 
lelstraßen wurden häufig weiter ausge- 
baut. Nichts also von der Reduzierung 
der Autoverkehrsflächen in den angeb- 
lich entlasteten Straßen. Statt dessen 
flächendeckender Straßenausbau. Noch 
gibt es in Deutschland keinen Fall, wo 
eine Schnellstraße tatsächlich mit ver- 
kehrsberuhigenden Maßnahmen (Lang- 
samfahrstrecken, Engpässe, Mischflä- 
chen, Schwellen etc.) in den benachbar- 
ten Quartieren begleitet wurde. Am En- 
de gab es immer mehr Autoverkehrsflä- 
chen als vorher. Und folglich auch bald 
mehr Autoverkehr. 
Und nicht nur mehr, sondern auch 
schnelleren. Autobahnverwöhnten, hek- 
tischen, aggressiven Autoverkehr mit 
höchster Umweltbelastung und größtem 
Sicherheitsrisiko. Das gesamte Umfeld 
der Schnellstraßen wurde von der dort 
freigegebenen Raserei infiziert. Vor al- 
lem auf den Zubringerstraßen und de- 
ren Querverbindungen fühlen sich die 
Autofahrer entweder noch halb auf 
der Autobahn oder schon fast auf der 
Autobahn. Das wird dann schließlich 
auch noch amtlich toleriert durch Schil 
der für Tempo 60 oder 70. Wie gesagt: 
„Verkehrsberuhigung”’ 
VERKEHRSBÜNDELUNG IM RAH- 
MEN ECHTER VERKEHRSBERUHI- 
GUNG . 
Wenn Verkehrsbündelung überhaupt 
vorgenommen werden soll, dann kann 
dies vor dem Hintergrund ernsthafter 
Verkehrsberuhigungsstrategien nur 
durch Verringerung der Verkehrsflächen 
geschehen. Also: Schleichwege werden 
durch verkehrsberuhigten Straßenum- 
bau oder durch Netzunterbrechung er- 
schwert oder unterbunden. Oder: Wo 
bisher 5 Hauptverkehrsstraßen parallel 
verliefen, werden 3 davon verkehrsbe- 
ruhigt umgebaut, so daß nur noch 2 
Hauptverkehrsstraßen übrigblieben. Hier 
ist die Entlastung nicht Ergebnis vager 
Hoffnungen und wird nicht um den 
Preis zusätzlicher Autoattraktivität er- 
kauft, sondern hier wird bewußt eine 
Eindämmung des Autoverkehrs durch 
Reduzierung der Verkehrsflächen ange: 
strebt. Und die Reihenfolge ist eindeu- 
tig so, daß gezielte Verkehrsrestriktio- 
nen und Verkehrsberuhigungsmaßnah- 
men mit entsprechenden Anreizen zum 
Umsteigen auf Bus, Bahn, Fahrrad und 
eigene Füße am Anfang stehen. Die Re- 
striktion ist nicht Selbstzweck — als 
Schikane — sondern Voraussetzung, um 
mehr Flächen für Fußgänger, Radfahrer, 
Busse und Bahnen zu gewinnen. Ob im 
Gefolge solcher Maßnahmen an bestimır 
ten Stellen auch weitere Straßenausbau- 
ten für den Autoverkehr nötig sind, ist 
jeweils im Einzelfall und nach längerer 
Laufzeit der Verkehrsberuhigung zu 
entscheiden. Denn schließlich sind ja 
im Bereich der Kurz- und Mittelstrek- 
ken—Autofahrten deutliche Verkehrs- 
abnahmen zu erwarten, durch Umstei- 
gen auf Bus, Rad und Füße. Diese kön- 
nen bis zu einem Drittel der vorherigen 
Belastungen ausmachen. Selbst auf den 
tangierenden Hauptverkehrsstraßen kann 
dadurch u.U. nachher eine geringere Be- 
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