lastung auftreten. Zumindest wird eine
nennenswerte Belastungssteigerung kaum
wahrscheinlich sein. Wo dennoch Eng-
pässe entstehen, müssen wohldosierte
Abhilfemaßnahmen auf die kritischen
Knoten— oder sonstigen Problempunkte
beschränkt werden. Dabei muß darauf
geachtet werden, daß nicht insgesamt
die Attraktivität dieser Straße verbes-
sert wird. Vor allem muß vermieden
werden, daß die Geschwindigkeit die-
ser Straße erhöht wird. Denn bei glei-
cher Verkehrsmenge hat die Geschwin-
digkeit auch auf Hauptverkehrsstraßen
maßgeblichen Einfluß auf die Belästi-
gungen der Anwohner und auf die Si-
cherheit.
HAUPTVERKEHRSSTRASSEN ALS
OBJEKT ECHTER VERKEHRSBERU-
HIGUNG
So verstandene Verkehrsberuhigung kann
sich nicht nur auf gering belastete, quar-
tiersinterne Nebenstraßen (Wohnstraßen)
beschränken, wie das z.Z. in der öffent-
lichen Diskussion zur Verkehrsberuhigung
weithin geschieht. Ihr Anliegen muß auch
und gerade eine Verbesserung der Situa-
tion an Hauptverkehrsstraßen sein. Die
meisten Hauptverkehrsstraßen sind tradi-
tionell wichtige städtebauliche Achsen:
Hier ist die Bebauung besonders dicht,
oft hoch. Solche Hauptverkehrsstraßen
sind oft wichtige Einkaufsstraßen mit
nahezu geschlossener Geschäftsnutzung
im Bereich des Erdgeschosses. Dement-
sprechend sind diese Hauptverkehrsstra-
ßen traditionell wichtige Zielpunkte des
Fußgängerverkehrs und die Hauptfußweg-
achsen mit entsprechend hohen Passan-
tendichten. Die räumliche Orientierung in
der Stadt ist wegen ihrer hervorgehobe-
nen Bedeutung im Straßenraster und we-
gen ihrer durch Dichte und Gestaltung
hervorgehobenen Bebauung überwiegend
an den Hauptverkehrsstraßen festge-
macht. Diese traditionelle Funktion der
Hauptverkehrsstraßen wird seit Jahren
planerisch ruiniert, so daß eine nach der
anderen den „Verkehrstod” stirbt.
Es begann mit der verkehrstechni-
schen Optimierung: Fahrflächen wurden
verbreitert, Straßenbahnen für zusätzli-
che Autospuren geopfert, Bürgersteige
verschmälert, Radwege weggenommen,
Baumreihen abgeholzt. Parken und Hal-
ten wurden stark eingeschränkt, weil
die dem schnellen Verkehrsfluß hinder-
lich waren. Immer mehr Hauptverkehrs-
straßen degenerierten so zu autogerech-
ten Rennstrecken, die oft für 60—80
km/h zugelassen und nicht selten mit
Geschwindigkeiten bis zu 100 km/h be-
fahren werden. Für Fußgänger und Rad-
fahrer wurden ihre klassischen Hauptwege
immer unattraktiver, immer gefährlicher.
Durch ihre rücksichtslose Verkehrsop-
timierung sind viele Hauptverkehrsstra-
ßen einem fortdauernden „‚Erosionspro-
zeß‘ unterworfen. Längst ist die tradi-
tionelle Bevölkerung fortgezogen und
sind gesellschaftliche Randgruppen nach-
gerückt. Längst sind die anspruchsvolle-
ren Geschäfte abgewandert. In die Er-
haltung der Häuser wird kaum noch in-
vestiert, und wenn, allenfalls mit staat-
licher Hilfe in Schallschutzfenster. Was
hilft das schon?
An planerischen Konzepten zur „‚Sa-
nierung” oder „Revitalisierung’” kaputter
Hauptverkehrsstraßen wird kaum gear-
beitet. Selbst da, wo für solche Straßen
Tunnellösungen erwogen werden, wird
stets der unverändert vierspurige Rück-
bau der Fahrbahndecken vorgesehen.
Die Forderung nach einer Verkehrsbe-
ruhigung erweckt bei Verkehrsplanern
staunendes Kopfschütteln. Dabei ist
hier der Problemlösungsdruck am größ-
ten. Und es gibt durchaus Möglichkei-
ten, die auf ähnlichen Grundprinzipien
beruhen wie die Verkehrsberuhigung
von Wohnstraßen.1
Wichtigster Ansatzpunkt ist auch an
Hauptverkehrsstraßen die Verlangsa-
mung. Schneller als 40—50 km/h sollte
auch eine Hauptverkehrsstraße nicht
befahrbar sein. Jedes höhere Tempo hat
in bebauten Gebieten ohnehin nichts zu
suchen. Die beiden ersten 88 der StVO
stützen diese Auffassung bei entsprechen-
der Auslegung deutlich. Denn nur bei
diesem Tempo sind die Gefährdungen
und Belästigungen anderer Verkehrs-
teilnehmer und der Anlieger in vertret-
baren Grenzen zu halten. Alles andere
ist Verkehrsterror! Eine solche Verlang-
samung erlaubt es, die besonders gefähr-
lichen und umweltschädlichen scharfen
Beschleunigungs— und Bremsvorgänge
sowie Überholvorgänge zu vermeiden.
Trotzdem oder gerade deshalb ist bei
diesem Tempo ein gleichmäßiger Ver-
kehrsfluß möglich, mit weit weniger
Störfällen und entsprechenden Verkehrs-
zusammenbrüchen wie bisher.
Diese Verlangsamung eröffnet völlig
neue Chancen: aus überdimensionier-
ten Schnellfahrspuren können sparsam
dimensionierte Langsamfahrspuren wer-
den. Statt 3,50 oder mehr nun also
2.20—2.50. Das macht je nach Art der
Hauptverkehrsstraßen 4—6 m neu ge-
wonnene Fläche, die dem Bürgersteig
zugeschlagen werden kann und seine auf-
enthaltsfreundliche Gestaltung erlaubt,
mit Straßengrün, mit Bäumen etc. Aus
einer öden Asphaltwüste kann so z.B.
wieder eine Allee oder ein Boulevard
werden: Straßentypen der klassischen
Straßenbaukunst.
Um die Verlangsamung weiter zu för-
‘dern, sind zusätzliche Maßnahmen denk-
bar. Das geht los bei der Schaltung der
Ampeln auf eine entsprechend verlang-
samte grüne Welle. Das geht weiter mit
der Führung der Fahrspuren, die ggf.
durch sog. „Serpentinen”’ oder „Ver-
schwenkungen”’ zusätzliche Tempo—
Bremsen erhalten können. Schließlich
bleiben noch die sog. optischen Brem-
sen durch entsprechende Quermarkierung
der Fahrbahnen. Dennoch: Am wichtig-
sten bleibt jedoch die Verschmälerung!
Die Überquerung solcher verlangsam-
ter und verschmälerter Hauptverkehrs-
straßen kann wieder an sehr viel mehr
Stellen möglich werden. Ob hierbei
stets gesicherte Überwege erforderlich
sind, hängt von den Verkehrsmengen
ab
Überhaupt sind die Verkehrsmengen
der entscheidende Faktor für die ver-
kehrsberuhigungsmöglichkeiten von
Hauptverkehrsstraßen. Wenig Probleme
machen die Fälle, wo es neben ausge-
prägten Verkehrsspitzen in der rush—
hour. längere verkehrsärmere Zeiten
gibt. Hier kann man mit der Umgestal-
tung sogar noch einen Schritt weiter ge-
hen, durch das Konzept der „elastischen
Straße’. Dies sieht die Unterscheidung
einer Regelfahrspur und einer Sonder-
fahrspur vor. Die Regelfahrspur ist spar-
sam dimensioniert für den Tempobereich
40—50 km/h, aber in der Fahrbahndecke
konventionell ausgeführt und dadurch
eindeutig als Autofahrfläche gewidmet.
Die Sonderfahrspur dagegen ist so gestal-
tet, daß sie in der verkehrsärmeren Zeit
gleichzeitig als Halte—, Liefer—- und
Aufenthaltsbereich benutzt werden
kann. Dies wird am besten durch eine
besondere Plattierung oder Färbung
und noch schmalere Abmessung des be-
fahrbaren Bereichs verdeutlicht. Während
der verkehrsärmeren Zeit fließt der Ver-
kehr weitgehend auf der Regelfahrspur.
Die Sonderfahrspur hat dann den Charak:
ter einer befahrbaren Teilfußgängerzone.
In der Spitzenstunde kann, wenn die Re-
gelfahrspur nicht ausreicht, die Sonder-
fahrspur mitbenutzt werden, natürlich
nur langsam befahren. Ihre Funktion
wechselt dann vorübergehend. Das ist in
etwa vergleichbar der Situation mancher
Fußgängerzonen in der Lieferzeit, wenn
ja unter Umständen die zahlreichen Lie-
ferfahrzeuge vorübergehend aus dem Geh-
bereich einen Fahrbereich machen.
Durch das Konzept der elastischen
Straße wird der Mißstand beseitigt, daß
man Straßen stets auf die Spitzenstun-
den dimensioniert und in den verkehrs-
ärmeren Zeiten dann mehr oder weniger
„brach liegende”, für Aufenthalt und
Nichtmotorisierte nicht benutzbare, öde
Asphaltflächen hat, über die hin und wlie-
der ein Auto rast.
Die Einsatzgrenzen der elastischen
Straße sind dort, wo ganztägig sehr hohe
Verkehrsdichten vorliegen. Hier kann
aber wenigstens durch die Verlangsa-
mung und die damit mögliche Ver-
schmälerung eine Verbesserung erzislt
werden.
Daß dieses Konzept nicht utopisch
ist, beweisen erste Ansätze aus Den
Haag und Rotterdam, wo einige Haupt-
verkehrsstraßen deutlich verschmälert
wurden. Und daß recht große Verkehrs-
Mengen auch auf Langsam— oder Son-
derfahrspuren abgewickelt werden kön-
nen, ist — abgesehen vom bereits er-
wähnten Lieferverkehr in Fußgängerzo-
nen — auch in weiteren Beispielen be-
wiesen. Die aufgepflasterte Lister Meile
in Hannover etwa kann sich in ihrer
Verkehrsspitze sicher mit den Belastun-
gen mancher Richtungsfahrspur einer
Hauptverkehrsstraße messen. Und in
Siegen wurde es vorübergehend notwen-
dig, eine stark befahrene Verkehrsstra-
ße wegen einer Baumaßnahme durch
die Fußgängerzone umzuleiten: Siehe
da, das klappte. Warum also nicht aus
dieser Notlösuna eine Tugend machen?
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