raum sichtbar miteinander verzahnen.
Die Bedeutung dieses privaten Stra-
ßenbereichs ist daran erkennbar, daß
auf ihn in den Altstadtgebieten an-
scheinend niemals verzichtet wurde,
auch wenn dadurch die Anlage eines
Fußweges nicht möglich war. (Abb. 40)
Wahrscheinlich diente er früher dem Be-
und Entladen und wie z.T. heute noch
der Warenpräsentation. (Abb. 41) Nur
in den neuerlich an die geschäftliche
Entwicklung angepaßten Straßen fin-
det man den bei uns üblichen Stra-
Benquerschnitt mit Fußwegen bis an
die Häuserfronten.
Das heißt jedoch nicht, daß der Fuß-
gänger in den anderen Straßen be-
nachteiligt oder sogar verdrängt wird.
Allgemein ist die Entflechtung des
Verkehrs mit den fatalen Folgen ei-
ner überzogenen Selbstsicherheit der
Verkehrsteilnehmer in der Delfter
Innenstadt trotz (oder wegen? ) der
Enge der Straßen nicht so weit vor-
angetrieben worden wie in vergleich-
baren Städten der Bundesrepublik.
In dieser Situation sind die Kraftfah-
rer durch die Vielzahl von Radfah-
rern und Fußgängern daran gewöhnt,
man kann auch sagen gezwungen, auf
langsamere Verkehrsteilnehmer Rück-
sicht zu nehmen.
Hinzu kommt, daß die Kraftfahrer,
wie oben schon erwähnt, auf bauli-
che Widrigkeiten, die erhöhte Auf-
merksamkeit und reduzierte Fahrge-
schwindigkeit erfordern, auf den
innerstädtischen Straßen eingestellt
sind: insbesondere die Buckel der
Grachtenbrücken stellen die Delfter
Schwellen in ihrer Behinderung weit
in den Schatten. Zusätzlich fordern
neben dem ebenfalls schon genann-
ten kleinwelligen Pflaster unvermute-
te Richtungsvorsätze und engste Ra-
dien einiges vom Autofahrer. (Abb. 42)
In der Innenstadt kann man auch sehen,
daß Schwellen und andere für uns
ungewöhnliche Informationen allein
durch die Pflasterung bestimmt schon
seit den 60er Jahren gezielt zur Ver-
kehrsbeeinflussung eingesetzt worden
sind. (Abb. 43)
Man muß wohl auch sehen, daß
Delft auch für Holland eine Son-
dersituation darstellt, wo eine
durch die große Technische Hoch-
schule anscheinend recht spezifi-
sche Sozialstruktur den Nährboden
für besondere städtebauliche Lösun-
gen bildet.
Als 9. Punkt muß schließlich auch
die allgemeine politische Kultur in Hol-
land als eine wesentliche Voraussetzung
für städtebauliche Leistungen, die die
Mitwirkung der Bewohner unabdingbar
für ihr Gelingen erfordern, genannt wer-
den. Nur scheinbar harmlos enthalten
die Maßnahmen zur Verkehrsberuhi-
gung brisanten politischen Sprengstoff
— interpretieren sie doch den Straßen-
raum neu in Richtung mehr Quartier-
Öffentlichkeit.
_ Soll das nun heißen (entgegen aller
bisherigen Euphorie): Delfter Modell
— schön und aut. aber nicht übertrag-
bar auf unsere Verhältnisse, weil die 10-
kalen, historischen und politischen Vor-
aussetzungen fehlen?
Nein:
Wenn man in den Altbauquartieren von
Delft die Straßen sieht, die noch nicht
umgebaut sind, bietet sich oft ein ähn-
liches Bild wie bei uns in vergleichba-
ren Vierteln: (Abb. 44)
® schnurgerader Fahrbahnverlauf,
® auf einer oder auch auf beiden Sei-
ten die Reihen parkender Autos in
Längsaufstellung.
voneinander durch den Fahrbahn-
graben getrennte schmale Fußwege
auf beiden Straßenseiten.
Ganz so ungebrochen, wie ich es
dargestellt habe, kann die Entwicklung
auch hier nicht gewesen sein. Es han-
delt sich wohl zumindest um ein ausge-
sprochenes Wiederentdecken nicht nur
der gestalterischen, sondern auch der
funktionalen Qualitäten der Altstadt.
Ohne eine von Durchstehvermögen ge-
tragene zielstrebige politische Kleinar-
beit inklusive kräftigem Druck von un-
ten wird es auch in Delft nicht möglich
gewesen sein, in einem solchen Umfang
aus solchen Straßen Paradiese zu ma-
chen — anfangs sogar ohne rechtliche
Absicherung — und diese Arbeit zügig
fortzusetzen. (Abb. 45) Deshalb meine
ich, daß Delft für uns durchaus Modellcha-
rakter haben kann. Meine Ausführungen
sollten jedoch zeigen, daß es bei uns noch
viel größerer politischer Anstrengungen
zur Realisierung einer flächendeckenden
Verkehrsberuhigung nach dem Prinzip
der Mischung der Verkehrsarten bedarf,
da hier die historisch bedingten gewohn-
heitlichen Voraussetzungen und Anknüp
fungspunkte weniger gegeben sind als in
Delft (wenn sie überhaupt vorhanden
sind).
Meine Ausführungen sollten dabei
auch zeigen, daß wir bei der Verkehrs-
beruhigung unserer Wohnbauquartiere
z.B. aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg
entsprechend ihrer vollkommenen An-
dersartigkeit (Abb. 46) zu ganz anderen
Lösungen als in Delft kommen müssen —
eigentlich eine Selbstverständlichkeit, auf
die hinzuweisen sich erübrigen müßte. Stu:
dentenentwürfe z.B. zeigen jedoch, daß
dem nicht so ist. Das Beispiel Delft
scheint oft zu einem Musterkatalog zu
degenerieren, statt Ansporn zu sein für
eigene, die jeweilige Situation berück-
sichtigende Überlegungen zur Verbesse-
rung der Qualität des öffentlichen Rau-
mes in unseren Wohnquartieren.
Mein Fazit:
Verkehrsberuhigung als Sanierungsmaß-
nahme ja (selbstverständlich die situa-
tionsspezifische Lösung), aber nicht als
das neue Allheilmittel, sondern ge-
zielt einsetzen dort, wo
8 städtebauliche und
® soziale
Strukturen noch relativ intakt sind (was
immer man darunter verstehen mag),
wo jedoch
2 Impulse im öffentlichen Raum not-
wendig sind, um
® eine Revitalisierung des. Baubestan-
des einzuleiten oder zu stützen.
iS
Abb. _
° A%
fi
A
As
37