Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

mit unseren Verkehrsspielregeln nicht 
mehr zurechtkommen; sie stellen 70% 
der Fußgängertoten. 
Politiker und Verkehrsexperten rea- 
gieren eher hilflos: Die mangelnde Aus- 
sagekraft der erst 1975 für die Bundes- 
länder vereinheitlichten Statistik über 
die Kinderverkehrsunfälle ließe keine 
qualifizierten Aussagen über die Unfall 
ursachen zu. Darüber hinaus wird die 
Vergleichbarkeit der bundesdeutschen 
Unfallzahlen mit den ausländischen in 
Frage gestellt. Zwar gibt es unter den 
Ländern Unterschiede z.B. in der Frage, 
ab wann ein Kind zu den Verkehrsop- 
fern zu rechnen ist, jedoch würde eine 
internationale Angleichung nur geringfü- 
gige Veränderungen in den „unteren 
Rängen‘ zur Folge haben. Die Bundes- 
republik dürfte weiterhin unter den Län- 
dern mit ähnlich starker Verkehrsdichte 
den Spitzenplatz einnehmen. 
Maßnahmen zur Verminderung der 
Kinderverkehrsunfälle zielen vorwiegend 
darauf ab, das „vermeidbare Fehlverhal- 
ten" der Kinder durch Verkehrserzie- 
hung zu beseitigen: Verkehrserziehung 
als Überlebenstraining, als Anpassung 
des kindlichen Verhaltens an das Ver- 
kehrsgeschehen. Noch immer werden 
entwick lungspsychologisch fundierte 
empirische Untersuchungen nicht ausrei- 
chend berücksichtigt, die deutlich ma- 
chen, daß Kinder wegen ihres körperli- 
chen, psychischen und kognitiven Ent- 
wicklungsstandes nicht beliebig ‚auto- 
verkehrsgerecht‘’ erziehbar sind.? Auf 
die Grenzen der Verkehrserziehung ver- 
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Bei Straßenverkehrsunfällen 1976 als Fuß- 
zänger oder Radfahrer verunglückte Kinder 
im Alter unter 15 Jahren (bezogen auf 
100.000 Kinder dieser Altersgruppe) 
Quelle: Zahlen nach Angabe des Statistischen 
Bundesamtes vom 20.8.1978 
weist auch das Programm der Nationa- 
len Kommission zum Jahr des Kindes 
1979. 
„Das relative Übergewicht der Kin- 
derverkehrserziehung hat zu einer Ver- 
nachlässigung der Verkehrserziehung 
aller anderen Verkehrsteilnehmer und 
zur Vernachlässigung von Maßnahmen 
zu kindgerechter Wohn—-Umwelt— und 
Verkehrsplanung geführt.” 
Wie eng der Zusammenhang zwischen 
Wohn— und Spielbedingungen und dem 
Unfallrisiko für Kinder ist, wird aus ei- 
ner kürzlich veröffentlichten Untersu- 
chung deutlich: 
In den Wohnvierteln, in denen der 
Anteil der Arbeiter über dem Durch- 
schnitt liegt und die Wohn— und Spiel- 
bedingungen vergleichsweise schlecht 
sind. wurde eine Überrepräsentation an 
Kinderverkehrsunfällen festgestel!t; 60 
v.H. der Unfälle konzentrieren sich auf 
9 der 54 Wohnbezirke. Mindestens Drei- 
viertel aller verunglückten Kinder hatten 
keine Möglichkeit, im direkten Umkreis 
ihrer Wohnung zu spielen. Die Tatsa- 
chen, daß Kinder mehrheitlich selbst in 
der jüngsten Altersgruppe „auf der Stra- 
Re’ und nicht auf Kinderspielplätzen 
spielen und daß die meisten Unfälle 
beim Spielen in der Nähe der Wohnung 
stattfinden? machen deutlich, wie wich- 
tig Eingriffe in das Verkehrsgeschehen 
zur Verbesserung der Verkehrssicher- 
heit und der Wohnumweltbedingungen 
sind. Folgerung: das Kinderspiel ist be- 
hutsam in den wohnungsnahen Straßen- 
raum zu integrieren, die Verkehrsum- 
welt hat sich dem kindlichen Leistungs- 
vermögen anzupassen®6, 
Welche Änderungen im Verkehrsge- 
schehen müssen durchgesetzt werden? 
Vor allem sind hier bauliche Maßnah- 
men zu nennen, die auf eine Verringe- 
rung der Fahrgeschwindigkeit und der 
Fahrzeugdichten abzielen. Die Tatsachen, 
daß die Kollosionsgeschwindigkeit mit 
dem Kfz bei einem Drittel aller verun- 
glückten Fußgänger größer als 50 km/h 
ist und daß die Aufprallwucht bei 50 
km/h einem Fall aus 10 m Höhe gleich- 
kommt, macht den Zusammenhang zwi- 
schen Fahrgeschindigkeit und Sicher- 
heit evident. Mit sinkender Geschwin- 
digkeit wachsen die Chancen für unfall- 
verhindernde Brems—- und Ausweich- 
reaktionen und damit für eine Verringe- 
rung des Verletzunags— und Tötungsrisi- 
Foto: Wolfgang Krolow. Aus dem Fotoband „Kinder in Kreuzberg” 
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