Erweiterung des Straßenraumes. Auch
wenn kein Mensch auf der Straße läuft,
hat man das Gefühl, unter Menschen, in
gemütlicher Umgebung und geborgen zu
sein.
Auf eine im einzelnen ganz andere
Weise entsteht in den Niederlanden ein
geradezu mittelmeerisches Straßenerleb-
nis: unter vielen Menschen zu sein.
ERKER
(1.11)
Ein Erker stellt eine Vermittlungsstelle
zwischen innen und außen dar: durch
das Herauskragen des Innenraumes in den
Außenraum findet eine gewisse räumli-
che (und plastische) Verschränkung und
Überlagerung statt; der Erker weist auf
den Innenraum hin; über den Erker er-
hält der Innenraum zum Außenraum
einen intensiven Bezug.
Der Erker weckt vielfältige Gedanken-
verbindungen (Assoziationen):
® er ist ein hervorgehobener Punkt
(Akzent),
® ein vorgeschobener Beobachtungspunkt, ®
= der auch das Außenfeld mit Bedeutung
auflädt (sonst würde man es nicht für
beobachtungswürdig halten).
Er weckt das Interesse der Vorbeigehen-
den für die Bewohner (daher wurde er
oft als Statuszeichen mißbraucht).
Man kann sich selbst vorstellen, wie
man den Erker benutzen würde (psy-
chologische Eigenprojektion).
Der Erker ist ein Element, das durch sei-
ne Kleinmaßstäblichkeit zur Identifizie-
rung der Straßen- und Hausbenutzer mit
dem Gebäude beiträgt (siehe: Kleinmaß-
stäblichkeit).
Der Erker ist auch als Möglichkeit nütz-
lich, die Wohnung auf der Windschatten-
seite querzulüften.
Beispiele: Spätmittelalterliche Altstädte, Bürger-
häuser des 19. Jahrhunderts, Arbeiter-Reihen-
häuser in enalischen Industriestädten.
FM
FACHWERK
(1.12)
Das Fachwerk
® macht eine Hauswand kleinmaßstäblich.
® Es zeigt die Konstruktionsweise.
® Es gibt der Wand einen Reichtum an
Details
® und wirkt als Ornament.
Fachwerkkonstruktionen regen die techni-
sche und ornamentale Phantasie an.
SCHMUCK
(1.13)
Eine Fachwerk-Wand ist eine ornamentale
Fassade. Auch Backsteinwände haben orna
mentale Züge.
Gelegentlich findet man Backsteine so-
gar zu ausgeprägten Ornamenten verarbei-
tet (Ziegelornamente, meist in Gesimsen).
Ornamente lassen sich auch nachträglich
auf Fassaden anbringen: durch Bemalung.
Die unterbewußte Wirkung des Schmuk:
kes führt zu einer Art traumhafter, absichts
loser Meditation.
In historischen Bauten wurde Schmuck
häufig zur Darstellung von Reichtum (der
ihn oft erst in größerem Ausmaß ermöglich-
te) oder zur Hervorhebung des Besitzers
verwandt. In der Volksarchitektur diente
er jedoch meist zur Hebung des Wohlbe-
findens der Bewohner und der Öffentlich-
keit und dadurch zur Stärkung des Selbst-
bewußtseins.
Balkone können oft auch nachträg-
lich angebaut werden — zumindest in un-
teren Obergeschossen. Die Rolle des Bal-
kons kann auch der Ausbau eines Flach-
daches zum Dachgarten erfüllen.
Es ist unverständlich, warum Flach-
dächer nicht häufiger genutzt werden.
Ihr Ausbau ist technisch einfach und bil-
lig.
Beispiele: Viele Arbeiterhäuser zeigen oft in vie-
lerlei Gestaltungsformen — meist nachträglich
von eigener Hand angebracht — die Lust am
Schmücken.
BALKON
(1.14)
Wo eine Wohnung keinen unmittelbaren
Freiraum auf der Erde hat, wird als Er-
satz dafür häufig ein Balkon gebaut.
Frühe Spekulationsbauten hatten kei-
ne Balkone. Seit etwa 1960 gehört der Bal-
kon zum Standard einer Wohnung in mehr-
geschossigen Bauten.
Psychologisch erfüllt er das Bedürfnis,
einen Augenblick in den Außenraum tre-
ten zu können:
® Als Flucht vor der Enge des Innen-
raumes,
oder um das Gefühl zu haben, mit der Das Dach hat
Umwelt in Kontakt zu kommen. @ funktionelle Bedeutung als Regen-
Physiologisch braucht der Körper als schutz und Isolierung.
Anregung des Stoffwechsels von Stun- gg Es spielt bei der Maßstäblichkeit eines
de zu Stunde eine Temperaturverän- Gebäudes eine wichtige Rolle.
derung. ® Es ist als Gestaltungselement („Hut
Die Balkone der Sozialwohnungen sind des Hauses’) wirksam und kann — je
zu klein (ca. 3 qm). Wenn der Balkon eine nachdem — eine Spannweite an psycho-
gewisse Entfaltungsmöglichkeit als Bewe- logischen Wirkungen haben
gungsraum (für das Kleinkind im Krabbel- g und bietet eine Art Ornamentierung
alter wie auch für den Erwachsenen) so- (z.B. durch kleinteilige Ziegel).
wie genügend Fläche für mehrere Personen g Die funktionelle Bedeutung des Daches
kann sich erweitern: wenn es betretbar
ist. Dann ist es eine zusätzliche Sze-
nerie
DACHVORSPRUNG
(1.15)
Beispiel: In der erbitterten theoretischen Debat-
te zwischen den sogenannten Konservativen und
den Vertretern des Neuen Bauens spielt die
Dachform seit den Zehner Jahren eine Schlüssel-
rolle. In ihr wird der Konflikt zwischen zwei
unterschiedlichen psychologischen Zielvorstel-
lungen geradezu fetischisiert. Die wirkliche Ebe
ne, die psychologische, wird jedoch nur selten
offengelegt und so gut wie nie an der realen
Bedürfnislage gemessen. Einfache Sachverhalte
wie Geborgenheit oder Offenheit werden ne-
bulös und magisch aufgeladen und dadurch zu
Orthodoxien
ARKADE
(1.17)
Die Arkade ist die wirksamste Form der
Durchbrechung der Wand: Der Außenraum
geht durch die Fassade hindurch. Man
kann in der Öffentlichkeit sozusagen durch
ein Gebäude gehen. Die Öffentlichkeit wird
in das Gebäude eine Schicht weit hereinge-
lassen.
In oberitalienischen Städten durften
Eigentümer über viele Jahrhunderte hin-
weg nur ein Haus bauen, wenn sie der Öf
fentlichkeit einen Teil ihres Grundes zur
Verfügung stellten — in Form eines Arka-
denganges.
Wo diese soziale Form durchgesetzt
wurde, zeigt sie in erster Linie, daß die
Öffentlichkeit sich ihr Recht gesichert
hat — ihr Recht auch an einem privaten
Gebäude.
Die Arkade ist ein wettergeschützter
Weg mit einem Dach, das Regen, Sonne
und meist auch Wind abhält. Der Weg
wird dadurch häufiger, vielfältiger und
angenehmer benutzbar.
Es ist leicht möglich, vor Häuser
zum Sitzen, Essen oder Sonnen im Liege-
stuhl bieten soll, muß er wenigstens 2x4
Meter groß sein (8 am).
AA