dert sowie gefördert.
» Es wird möglichst keine Vollförderung
gewährt, sondern die Eigenmöglichkei-
ten der Bevölkerung werden einkalku-
liert.
Die Förderung ist entweder a) Anreiz;
oder b) Beihilfe, wenn die eigenen
Mittel nicht ausreichen; oder c) Ergän-
zung, wenn Zusatzhilfen notwendig
sind; oder d) Überbrückung; oder e)
Auffangen „unrentierlicher’” Kosten;
oder f) Beitrag; oder g) Finanzierung
von Beratungskosten; oder h) Personal-
kostenfinanzierung.
9 Die Ämter arbeiten mit der Bevölke-
rung, vor Ort und unkonventionell. Sie
besprechen mit Bürgergruppen deren
Möglichkeiten.
Durch Dezentralisierung und reduzierte
Förderung wird eine breiter angelegte
Hilfe zur Selbsthilfe möglich. Folge:
der Verteilungskampf in den Rathäu-
sern wird nicht mehr auf potente Orga-
nisationen konzentriert, sondern brei-
ter — aber auch abgeschwächter. Denn:
nun erhalten sehr viele ihre Chance,
Daß dies in längerfristigen Zeiträumen
geschieht und sich in kleinen Schritten
vollzieht, entlastet die Debatten und
hat die Folge, daß ruhig viele „„begehr-
lich’”” werden können, sogar „‚begehr-
lich’” werden sollen
An dıe Stelle des risikolosen Verwaltens
des Mangels und einiger denkmalhafter,
aber wenig leistungsfähiger großer Insti-
tutionen tritt der Mut zum Experiment
und zum Risiko. Die Risiko-Begrenzung
erfolgt aus der Natur der Projekte:
kleine Maßnahmen lassen sich eher brem-
sen, es wird schneller und auch ständig
durchschaubarer, was ein Windei und
was substantielle Entwicklung ist.
Das parlamentarische Verfahren wird
verändert. Die Bezirksausschüsse sind
nun Arbeitsgremien (nich tmehr bloß
Anhörungsgremien); sie erhalten be-
stimmte Entscheidungskompetenzen
und einen bestimmten Etat. Es gibt
mehr Bezirksausschüsse — wenigstens
für 20.000 Einwohner einen Ausschuß.
Die Bezirksausschüsse haben offene
Projektkommissionen, die die Vorarbeit
leisten.
Die Bevölkerung wird aufgerufen, Be-
reichskomitees zu bilden — für jeden
überschaubaren Block bzw. Siedlung
(d.h. für rund 1000 Menschen). Dadurch
wird einer Majorisierung der Bezirks-
ausschüsse durch aktive Einzelhändler
vorgebeugt, wie sie etwa in den Sanie-
rungsbeiräten, aber auch in vielen
Stadtparlamenten auftritt.
» Die Stadtplanung und Stadtentwicklung
geschieht vor allem in kleinem Maßstab:
im Block- bzw. in der Siedlung.
S-
ALTERNATIVEN DER ÜBERGANG
ZEIT
8
Wir haben keine soziale Kommunalpolitik,
Meist nicht einmal Ansätze dazu, Und wir
werden sie auch auf lange Zeit nicht ha- ®
ben. Ihre Entwicklung ist ein langsamer
Prozeß.
Vermutlich ist sie auch nur erzwingbar
dadurch. daß wir uns selbst nach Art von
Nebenregierungen organisieren. Solange
Verwaltungen und Parlament unfähig sind.
bürgernahe Planungen, d.h. mitbestimmte
Planungen zu machen, müssen wir unsere
eigene Planung aufziehen. Und das selbst
tun, was wir tun können. Ferner: Schritt-
weise der Obrigkeit Verbesserungen ab-
zwingen.
Max Frisch über Politiker:
„Die Berufspolitiker haben nicht
soviel zustande gebracht, daß wir
ihnen viel zutrauen können.”
DURCHSETZUNG
Die Repräsentanten, die die Wahlergebnis-
se und ihre Pfründe großenteils wie mittel-
alterliche Kanoniker verwalten, nehmen
nach aller Erfahrung kein Problem von
sich aus auf. Die Entscheidungsgremien
reagieren nur auf ein langanhaltendes
Maß an Druck aus der Bevölkerung.
Der Widerstand und die Entwicklungs-
kräfte werden nicht von oben hervorge-
rufen oder gefördert, sondern stets von
unten. Oben wird vielmehr in allen Par-
teien die Entmündigung der Bevölkerung
betrieben. Unter dem Stichwort der
„Versorgung“ und der ‚Wohlfahrt‘ wer-
den selbst wichtige soziale Schritte, die
von unten abgerungen wurden, von den
Repräsentanten als eine Art Fürstenge-
schenk in feudaler Tradition präsentiert.
Die Mitsprache und Mitbeteiligung, die
Herausbildung von politisch handelnden
ndividuen und Gruppen wird nicht von
oben betrieben, sondern von unten.
Man darf davon ausgehen, daß die S
Desillusionierung der Bevölkerung über
ihre Obrigkeit und ihre Repräsentanten in- ®
zwischen weit fortgeschritten ist.
Sie mündet keineswegs überall in Re-
signation; vielmehr sind wichtige Bürger-
bewegungen in vielen Bereichen in Gang
gekommen. In den letzten zehn Jahren
wurde von einer zunehmenden Zahl von
Menschen, die sich nicht mehr dem feu-
dalen Paternalismus der Konservativen
wie auch der häufig korrumpierten Füh-
rungen der Arbeiterbewegung überließen,
wichtige Lernschritte in Praxis und Theo-
rie gemacht.
Spontan und selbstorganisiert entstan-
den Gruppen, suchten und fanden unter-
einander Verbindungen, lernten, ihr
Schicksal nicht mehr als naturwüchsig
hinzunehmen oder gegen eine ‚„,Panne”
zu lamentieren, sondern die ökonomi-
schen, politischen und sozialen Verhält-
nisse zu durchschauen.
Handlungskonzept:
® Bildet kleine Projektgruppen. Ein ein-
zelner kann bereits eine Gruppe sein.
Besser: zwei bis drei.
Sind es mehr Leute, sollten sie sich
unbedingt in mehrere kleine Projekt-
gruppen aufteilen.
Es empfiehlt sich als Arbeitsgemein-
schaft, d.h. unhierarchisch und unbüro-
kratisch zusammenzuarbeiten.
Die Projektgruppe macht einen groben
Straßenplan für ihren Block, ihre Sied-
lung oder ihr Quartier.
Durch Ortsbegehung stellt sie fest, wel-
che Straßen für die Durchfahrt von
Autos unumgänglich sind.
Dann untersucht sie, welche Straßen
Sackgassen werden können.
Und: in welchen der Verkehr verlang-
samt werden muß.
Ferner: wo Autos durch Schräg- oder
Senkrecht-Parken gesammelt und da-
durch freie Flächen gewonnen werden
können.
Sie stellt den groben Straßenplan mit
den Eintragungen in gut erkennbarer
Form, aber nicht perfekt gezeichnet
‘kein großer Arbeitsaufwand) an be-
stimmten Stellen des Viertels aus
(Straße, vor Eckkneipen, in Kneipen,
in Schulen) — rund 4 Wochen.
Dabei sammelt die Projektgruppe wei-
tere Anregungen, trägt sie ein
und verbessert den Plan.
Sie sammelt beim Ausstellen Unter-
schriften. Te
Dann macht sie eine Bürgerversamm-
lung und lädt dazu ein: die Stadtrats-
mitglieder des Viertels, die Stadtverwal
tung, vor allem den Planungsdezernen-
ten und die Leute von der Straßenver-
kehrsbehörde sowie vom Ordnungsamt,
ferner Vertreter der Parteien, Vertreter
von Institutionen (Lehrer, Pfarrer, Ge-
werkschaftsfunktionare u.a.) sowie die
Presse.
Eine Resolution fordert die Straßenver-
kehrsbehörde auf, konkrete Maßnahmen
bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu
ergreifen.
Die Projektgruppe stellt konkrete Anträ-
ge an die Verwaltung oder an das Parla-
ment.
Sie arbeitet mit der Verwaltung gemein-
sam Maßnahmen aus.
Sie setzt so lange mit Aktionen (Infor-
mationsstände, Flugblätter, Presse-Kon-
ferenzen, Anrufe bei Abgeordneten und
Verwaltung, Kinder-Demonstrationen
vor dem Rathaus und in Ausschuß-
und Ratssitzungen u.a.) nach, bis erheb-
liche Verbesserungen erzielt sind.
Literatur:
— Roland GÜNTE R/Janne GÜNTER, Bürgerini-
tiativen: Bauwelt 49/1971.
— Heinz GROSSMANN (Herausgeber), Bürgerini-
tiativen, Schritte zur Veränderung. (Fischer)
Frankfurt 1971.
Brigitte HÖBEL/Ulrich SEIBERT, Bürgerini-
tiativen und Gemeinwesenarbeit, (Juventa)
München 1973.
Willi BUTZ u.a., Bürger initiativ, (DVA) Stutt-
gart 1974.
Hanspeter KNIPSCH/Friedhelm NICKOLMANN,
Die Chance der Bürgerinitiativen. (Hammer)
Wuppertal 1976.
Ralf DIETER, Dietmar REINBORN, Thomas
SCHALLER, Bürger planen Verkehrsberuhi-
gung selbst. Wie die Bürgerinitiative „‚Verkehrs-
entlastung Stuttgart-Mitte/Süd’’ Planen von
unten machte: ARCH+, 31/1976, S. 33/37
(konkrete Aktionen).
Lore DITZEN, Institutionalisierte Anwaltspla-
nung in Holland, ‚„‚Inspraak’’ bei der Stadterneue-
rung — das niederländische Beispiel: ARCH+
29/1976, S. 17/19.
Roland GÜNTER/Rolf HASSE, Handbuch für
Bürgerinitiativen, (USA) Westberlin 1976 (u.a.
Mustersatzung zur Eintragung als Verein,
Argumentationstechniken der Gegenwehr).
Jörg BOSTRÖM/Roland GÜNTER (Heraus-
geber), Arbeiterinitiativen, (VSA) Westber-
lin 1976 (u.a. Schulung in mehreren Bereichen
z.B. Öffentlichkeitsarbeit).
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