der Weg zueinander ist dort heute Schwe-
rer und seltener als früher.
Schließlich hat das Auto und eine auf es
abgestellte Planung zu Maßstabsvergröße-
rungen und Standortbedingungen geführt,
die heute vielfach weite Wege erzwingen,
oft genug dann Wege mit dem Auto:
® drive-in Verbrauchermärkte ersetzten
den wohnungsnahen Lebensmittella-
den
drive-in Schulzentren ersetzten die
wohnungsnahe Schule
drive-in Freizeitparks ersetzten die
wohnungsnahe städtische und Stadt-
rand-Erholung
® drive-in Verwaltungspaläste ersetzten
die bürgernahe Verwaltung.
Trotz dieser Entwicklung ist es heute
durchaus nicht so, daß etwa schon die
Mehrzahl aller Bürger am Stadtrand oder
im Umland wohnen. Immer noch wohnt
ein Großteil der Stadtbevölkerung in der
Nähe der Innenstädte in den hochverdich-
teten Altbaugebieten. Daher auch der
hohe Anteil der kurzen Wege im Stadt-
verkehr.
In Frankfurt leben beispielsweise noch
22% der Einwohner in den City-Randge-
bieten, in Düsseldorf 20% und in Bonn
ebenfalls 20%. In Bonn werden im Um-
kreis von 2 km um die Zentren bereits
43% aller Bewohner erreicht. In Frank-
furt im Umkreis von 5 km 53%, in Düssel
dorf 54%. Die Vorstellung ist also völlig
falsch, daß heute fast jedermann vom
Stadtrand oder aus dem Umland (natür-
lich mit dem Auto) täglich auf langen
Wegen in die Stadt müsse.24
6. Das gegenwärtige Straßennetz
Angeblich ist unser Stadtstraßennetz völ-
lig überlastet. Es heißt: ‘was fehlt, sind
Straßen’, gemeint sind damit oft genug
Schnellstraßen und Stadtautobahnen.
Aber:
2 auch heute bleiben in den Städten
Überlastungserscheinungen auf we-
nige Tagesstunden beschränkt (7—9
h und 16—18 h). Die Zeit der Stau-
ungen ist in der Regel noch kürzer,
nämlich morgens und abends jeweils
ca. 30—45 min.25
Überlastungen bleiben auf wenige
Straßen beschränkt. Denn nur 15%
des Stadtstraßennetzes haben ganz-
tägig eine hohe Verkehrsdichte
(über 8000 Kfz/12 Std.). Weitere 20%
des Stadtstraßennetzes haben mittle-
re Belastungen (über 3000 Kfz/12
Std.). Alle übrigen 65% haben geringe
Belastungen (unter 3000 Kfz/12 Std.),
die Hälfte davon sogar unter 1000 Kfz/
12 Std.26
Gemessen an diesen Belastungen sind ein
Großteil der Stadtstraßen überdimensio-
niert, ihre Fahrbahnzahl und Fahrbahn-
breite ist für Verkehrsmengen ausgelegt,
die dort bei weitem nicht erreicht wer-
den. Solche Überdimensionierungen
kosten unnütz viel Geld, verführen zur
Raserei und ruinieren das Straßenbild.
Während also für den Autoverkehr zu
viele Flächen da sind, fehlen dem Fuß-
gängerverkehr und Radfahrverkehr erheb
liche Flächen. Es heißt zwar seit einiger
Zeit schon wieder, mit den ca. 450
Fußgängerzonen sei schon viel zu viel
für Fußgänger getan worden, aber
® Fußgängerzonen sind bisher noch
sehr klein und meistens auf die City
beschränkt.
® Fußgängerzonen machen bislang nur
etwa 0,2 bis 0,5% der städtischen Ver-
kehrsflächen aus. Sie sind damit ledig-
lich eine Art Reservat für Fußgänger
und helfen den Fußgängern im übri-
gen Stadtgebiet überhaupt nicht. Dort
sind sie weiterhin vielfältig behindert
und gefährdet und müssen mit den
kümmerlichen Restflächen des über-
dimensionierten Straßenbaus Vorlieb
nehmen. 27
Am schlimmsten benachteiligt sind die
Radfahrer, für die heute überhaupt kein
brauchbares Wegenetz mehr besteht.
Denn
® die wenigen vorhandenen innerstädti-
schen Radwege sind entweder in deso-
latem Zustand oder von Autos be-
parkt oder setzen sich nur aus kurzen
Stückchen zusammen,
die wenigen neugeschaffenen Radwege
liegen meist am Stadtrand und in den
Erholungsgebieten (im Wald), also dort
wo auch ohne Radwege das Radfahren
gut möglich ist.28
7. Auswirkungen einseitiger Verkehrspla-
nung auf die Sicherheit
Es heißt oft, gerade weil unsere Straßen
so schön breit und großzügig ausgebaut
sind, wären sie so sicher. Das Gegenteil
ist der Fall.
® nirgends gibt es je km Stadtstraße und
Fahrleistung und je Einwohner mehr
Unfälle als im deutschen Stadtverkehr.
Das Unfallrisiko ist bei uns für Kinder
2,3mal höher als in USA und 5,2mal
höher als in Schweden. 29
In den letzten 25 Jahren verunglück-
ten in Deutschland 1,36 Mio Kinder
im Verkehr, davon starben 36.000 so-
fort, 20.000 später an den Unfallfol-
gen. Jährlich kommen 66.800 Kinder-
unfälle hinzu, darunter 26.000 schwe-
re und 1.400 tödliche.30
Jährlich ereignen sich ca. 380.000 Un-
fälle mit Personenschaden, bei denen
ca. 530.000 Menschen verletzt und
ca. 25.000 direkt oder indirekt (späte-
rer Tod an Unfallfolgen) getötet wer-
den.31
Unfallopfer sind vor allem Fußgänger
und Radfahrer und hier wieder vorwie-
gend Kinder und Alte.
In der Regel denkt man — auch bei der
Polizei und in der Planung — Kinder- und
Fußgängerunfälle passierten an typischen
Gefahrenpunkten., Durch ein paar Sicher-
heitsmaßnahmen und ein bißchen Ver-
kehrserziehung sei das Problem zu lösen.
Schuld seien sowieso meist die Opfer, die
sich nicht verkehrsgerecht verhielten.
Das Gegenteil ist richtig:
e 80% aller Kinderunfälle und 60% aller
Unfälle mit erwachsenen Fußgängern/
Radfahrern passieren nicht an typi-
schen Gefahrenstellen, sondern sind
unregelmäßig über das Straßennetz
verstreut, wobei gerade in den Wohn-
gebieten, bezogen auf die Verkehrsdich-
te, das höchste Unfallrisiko besteht.32
Hauptunfallursache ist nicht das Fehl-
verhalten der Opfer, sondern die über-
höhte Geschwindigkeit der Autos.
Denn: 90% aller Autofahrer kalkulie-
ren Kinder und ihr spezielles Verhalten
nicht in ihrer Fahrweise ein. In Wohn-
straßen fahren 50% aller Autofahrer
schneller als 50 km/h, obwohl schon
30 km/h oft zu schnell wäre.33
Bei 50 km/h ist das Kollisionsrisiko 2,4
mal höher als bei Tempo 30. Das T6ö-
tungsrisiko für Fußgänger beträgt bei
Tempo 30 nur 15% im Fall einer Kolli-
sion mit einem Auto, bei Tempo 50 da:
gegen bereits 60% und bei Tempo 80
bereits 100%.34
8. Auswirkungen einseitiger Verkehrspla-
nung auf die Stadtentwicklung
Überdimensionierung von Straßen, über-
höhte Fahrgeschwindigkeiten und unan-
gemessen hohe Autobenutzung mangels
fehlender Alternativen haben die Städte
sehr negativ betroffen, nicht nur im
Sicherheitsbereich, sondern auch durch
® Zerstörung der traditionellen Stadt-
und Straßengestalt (überbreite Stra-
ßBenschneisen, Parkhausklötze etc.)
Zerstörung vieler Frei- und Grünflä-
chen (abgeholzte Alleen, in Parkplät:
ze umgewandelte Markt- u.a. Plätze
sowie Grünanlagen)
® Ausbreitung eines unangenehmen
Lärm- und Abgas’teppichs’.
Spürbar wurden diese Folgewirkungen
vor allem im sog. Wohnumfeld, dessen
Qualität seit etwa 1960 ständig gesunken
ist. Wegen der schlimmen Verkehrsfol-
gen im Wohnumfeld sind
® Seit 1965 etwa jährlich zwischen 5
und 10 Einwohner je 1000 E aus den
Großstädten ins Umland abgewandert,
in 9 Jahren aus Frankfurt beispiels-
weise 102.000, aus Hamburg 120.000.35
Hauptabwanderungsgrund sind Verkehrs-
lärm, fehlende Freiflächen und Ver-
kehrsgefährdungen sowie die verödete
Stadtgestalt.36
Da der Verkehr jede öffentliche Kommuni-
kation von der Straße verdrängt hat und
der Aufenthalt auf der Straße nur noch
für Verkehr, nicht mehr aber für Spiel,
Bummel, Plausch etc. möglich ist, ist eine
weitere Folge
® der Verlust an örtlicher Bindung (Be-
heimatung) und sozialem Engagement
@ die geringe soziale Kontrolle im öffent:
lichen Raum, die den verschiedenen
Formen von Straßenvandalismus und
Kriminalität Vorschub leistet.37
9. Zur Lernfähigkeit der Bürger, Planer,
Politiker und ‘Autovertreter’
Planer entschuldigen die abgelaufene Ent-
wicklung gern mit dem Hinweis, der Bür-
ger habe es so gewollt. Für heute aber
gilt: der Bürger will nicht mehr die ‘auto-
freundliche’ Stadt. Denn
®e 72% aller Bundesbürger waren 1977
dafür, daß Urnweltschutz und Stadt-
und Wohnqualität Vorrang vor den
Belangen des Autoverkehrs erhält.
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