Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

Lärmschutz oder Ruheschutz 
Beitrag aus der Nullnummer der Zeitschrift „Wechselwirkung“ 
Laut reagierte die Fachwelt der Lärmschützer, als sie die Ver- 
öffentlichung (1) einer massiven Kritik an den bisherigen Me- 
thoden der Lärmmessung gewahrte. Gerald Fleischer stellt 
sich in seinem Artikel auf den Standpunkt des vom Lärm Be- 
troffenen und entdeckt dabei offensichtliche Unzulänglich- 
keiten in dem Standard der Lärmmessung, dem energieäqui- 
valenten Dauerschallpegel. Er postuliert ein Bedürfnis nach 
Ruhe, das jeder Mensch habe, betrachtet Lärm als eine 
Störung dieser Ruhe. So kommt er zu einem neuen Verständ- 
nis des »Ruheschutzes« im Gegensatz zu den bisherigen, offi- 
ziellen Konzeption des »Lärmschutzes«, der sich eher an der 
menschlichen Schmerzschwelle für Lärm orientiert. 
Fleischer stellt im einzelnen fest: 
|. Das bisherige Lärmmeßverfahren, das eine zeitliche Mitte- 
lung der logarithmischen Schallintensität verwendet, kann 
nicht unterscheiden zwischen den zwei folgenden Lärmsi- 
tuationen: a) ein D-Zug pro Stunde mit einem Spitzen- 
pegel von 95 dB(A); b) 2.000 Pkw pro Stunde mit Stadtge- 
schwindigkeit: In beiden Fällen ergibt sich der gleiche 
»Dauerschallpegel« von 65 dB(A). Im ersten Fall herrscht 
jedoch zu 97 % der Zeit Ruhe, im zweiten zu keiner Zeit, 
was weitaus unangenehmer sein dürfte. 
2. Durch die Verwendung einer logarithmischen Pegeldar- 
stellung wird der Mittelwert von Einzelereignissen wie 
etwa dem D-Zug, nicht von anderen Dauerschallquellen 
beeinflußt, wenn diese 10 oder mehr dB(A) darunterlie- 
gen. D. h., daß nach offizieller Lärmmeßmethode nicht zu 
unterscheiden ist, ob nun jede Stunde ein D-Zug fährt oder 
zusätzlich noch 200 Pkw’s pro Stunde, die allein einen 
Dauerpegel von 51 dB(A) erzeugen. 
3. Das menschliche Ohr reagiert nicht proportional zur ge- 
messenen logarithmischen Schallintensität, sondern zum 
logarithmischen Schalldruck, was der Quadratwurzel der 
Intensität entspricht, wie man spätestens seit 1960 weiß (2). 
Deshalb bewertet das Mitte lungsverfahren die Spitzenpe- 
gelstärker als das Ohr. 
G. Fleischer gibt zu den Punkten 1 und 2 ein Verfahren an, 
wie das dargestellte Dilemma einfach zu beseitigen wäre. Er 
fordert die Angabe von Ruhezeiten in Prozent neben der An- 
gabe des Dauerschallpegels und argumentiert sehr schlüssig, 
daß der Durchscnittsverbraucher von »Ruhe« mit dem 
Dauerschallpegel in dB(A) ohnehin nichts anfangen könnte, 
aus der Angabe der Ruhezeiten aber die leichtverständliche 
Information über die relativen Zeiten von Ruhe entnehmen 
könnte. 
Der Punkt 3 wird von dem Artikel nicht weiter diskutiert, 
obwohl er möglicherweise einige interessante Aspekte bein- 
haltet. 
Es bleibt abzuwarten und zu hoffen, daß Gerald Fleischers 
mutige Erkenntnisse in Zukunft vom »Lärmschutz« berück- 
sichtigt werden und nicht gegen ihn verwandt werden, indem 
man ihm mehr »Ruhe« beschert als ihm lieb ist. 
E, Elliot 
(1) Gerald Fleischer, Argumente für die Berücksichtigung der Ruhe in der 
Lärmbekämpfung, Kampf dem Lärm 25, 69-74 (1978) 
(2) Bekesy, G.v.: Experiments in Hearing, p.745, New York-Toronto- 
London. MacGraw-Hill Co. 1960 
WECHSELWIRKUNG 
Zeitschrift 
für 
TECHNIK NATURWISSENSCHAFT 
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WECHSELWIRKUNG erscheint vierteljährlich 
und berichtet über 
- politische Aktivitäten im 
naturwissenschaftlich-technischen Be- 
reich 
soziale Auseinandersetzungen und ge- 
werkschaftliche Arbeit 
Analysen der sozialen, politischen und 
ökonomischen Funktion von Wissen- 
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stischen Ländern und der Dritten Welt. 
Themen der Nullnummer: Soziale Auswir- 
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