Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

Thomas Schaller 
Rettungsaktion Hohenheimer Straße 
Bürgerinitiative gegen städtische Nahverkehrsplanung in Stuttgart 
1. DER FALL HOHENHEIMER 
STRASSE 
Die Hohenheimer Straße/Neue Wein- 
steige ist eine der Haupteinfallstra- 
ßen Stuttgarts. Tägliche Belastung: 
ca. 36.000 Autos (in beiden Rich- 
tungen). Die Schadstoffkonzentra- 
tion ist mit die höchste von Stutt- 
gart überhaupt — für Stickoxyde 
liegt sie um 264% über dem gesetz- 
lichen Grenzwert; wobei der Grenz- 
wert an sich, z.B. verglichen mit 
dem der USA, sehr kritisch zu beur- 
teilen ist1. Kommentar eines Tier- 
arztes: „Kleine Hunde sterben hier 
nach zwei Jahren an Lungenkrebs.’ 
Ähnlich unmenschlich die Lärm- 
werte: tags 78 dB(A), nachts 
72 dB(A)“. 
Die Straße führt durch ein dicht- 
bewohntes Wohngebiet. Unmittelbar 
an ihr wohnen etwa 3.000 Leute, im 
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direkten Auswirkungsbereich 20.000 
und im weiteren Einflußbereich 
50.000. 
Auf dieser Straße fährt — neben 
den Autos — derzeit noch eine Stra- 
ßenbahn, die Verbindungslinie zwi- 
schen dem City-Talkessel und den 
südöstlichen Vororten auf der Höhe 
(Fildern). Diese Bahn muß mit ca. 
7% Steigung 200 m Höhenunter- 
schied überwinden. Auf ihrer kurvi- 
gen Höhenfahrt bietet sie einmalige 
Aussicht auf den Kessel. Laut städti 
scher Eigenwerbung und Pressezita- 
ten ‚„‚Europas schönste Panorama- 
strecke” 
Die städtische Planung 
Diese Bahn soll weg. Nach langjähri- 
ger Planungsdiskussion beschloß 
der Gemeinderat im März 1977 
einen Stadtbahntunnel für über 
200 Mill. DM. Nach dieser Planung 
verschwindet die Bahn auf der ge- 
samten Strecke von 4,7 km unter 
die Erde — bis auf ein Sieben-Sekun- 
den-Fenster zum Alibi-Schnapp- 
schußblick (Zusatzkosten: 10 Mill. 
DM). Urteil der Frankfurter Rund- 
schau: „Der teuerste Witz Stutt- 
garts”’3, 
Mit dieser städtischen Planung 
wird nicht nur der Öffentliche Nah 
verkehr mit enormen Summen un- 
attraktiver gemacht. Es wird gleich 
zeitig mehr Platz für die Autos ge- 
schaffen. Derzeit blockieren die 
Autos vor allem in Spitzenzeiten 
regelmäßig die Straßenbahn und 
auch umgekehrt. In Zukunft gibt 
es für die Äutos freie Fahrt: Die 
Straße soll als Verlängerung der Bo 
denseeautobahn (A 83) kreuzungs- 
frei (!) den Verkehr bis in die Stutt: 
garter City bringen.Die Fahrspuren 
werden entsprechend ausgebaut: 
durchgehend vier zusätzliche Ein- 
und Abbiegespuren. Die Folge: We- 
sentliche Erhöhung der Kapazität 
für den Individualverkehr, finanziert 
aus Mitteln für den Öffentlichen 
Nahverkehr, der Bevölkerung ange- 
prissen als Förderung des Nahver- 
kehrs 
Bewohner wehren sich 
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Die Bewohner kauften das der Stadt 
nicht ab, Als das Planfeststellungs- 
verfahren aufgrund krasser „‚Form- 
fehler” (zu kurze Ankündigungs- und 
Auslegungszeiten der Unterlagen) 
wiederholt werden mußte, organi- 
sierten Anfang 1978 einige Leute 
(mehrere Anwohner, private Ver- 
kehrsplaner, Jusos) eine Bewohner- 
Versammlung. Eine Bürgerinitiative 
wurde gegründet: ‚,Rettungsaktion 
Hohenheimer Straße’. Man beschloß. 
gegen die ausgelegten städtischen Plä- 
ne formal Einspruch zu erheben. Da- 
zu wurde durch eine großangelegte 
Transparent-Aktion öffentlich auf- 
merksam gemacht. An die hundert 
Transparente mit Sprüchen wie: 
„Macht Wohnen attraktiver — Autos 
einen Stock tiefer’, „‚Wir wollen 
keine Autobahn vor dem Schlafzim- 
Übersichtskarte Stuttgart mit Kennzeichnung der Hohenheimer Straße/Neue Weinsteige 
(Ausschnitt, Maßstab 1:80.000) Quelle: Stadtmessungsamt 
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