Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

ausgrenzbaren Teilbereichs mit eigener 
Lesart. Die späteren staatlichen Sied- 
lungsunternehmen (z.B. die preußischen 
Gärtner- und Weberkolonien Friedrichs 
II.) gingen dagegen aufs Land oder 
verzichteten auf die Siedlungsform zu- 
gunsten der offiziellen Formen der Stadt- 
erweiterung (so die vielen Hugenotten- 
städte). Eine erstaunliche Ausnähme 
davon bildet der Nyboder in Kopenha- 
gen, eine Siedlung für die Seestreitkräfte 
mitten im Stadterweiterungsgebiet öst- 
lich der mittelalterlichen Altstadt, die 
Christian IV. nach einem halb am 
Militärlager, halb am Bauerngehöft 
orientierten Plan anlegen ließ, der bis 
heute sozial funktioniert und zu einem 
Grunddatum der dänischen Wohnungs- 
architektur geworden ist; auch hier ein 
bewußter Bruch im Erscheinungskanon 
der Stadt (obwohl dieser Kanon über- 
haupt erst das Werk Christians war), der 
gezielte politische Gründe und soziale 
Grundlagen hatte. 
Diese beachtliche Unsicherheit hin- 
sichtlich des Zusammenhangs von Haus- 
bau und Stadtbau betrifft also bereits die 
klassischen Epochen der Stadtentwick- 
lung und der Stadtbaukunst (historisch 
erst das eine, Mittelalter, dann das 
andere, frühe Neuzeit). Von daher ist 
vom 19. Jahrhundert, dem Jahrhundert 
der bürgerlichen Gesellschaft, nicht zu 
erwarten, daß es da zu Ssolideren 
Beziehungen geführt hätte, endlich hin zu 
jenem Stadthaus, mit dem heute so gerne 
argumentiert wird und das es doch histo- 
risch höchstens als Sondertyp demokra- 
tischer Verhältnisse (England) ‘oder 
patriarchalisch geprägter Stadtrepubli- 
ken (Bremen) gegeben hat. Statt der 
Fuggerschen Klientel oder der Seesölda- 
ten Christians IV. gab es inzwischen eine 
ganze Klasse, die im wesentlichen vom 
Lande kam, auf städtisches Ambiente 
keineswegs scharf war, und von der 
niemand wußte, wohin sie städtebaulich 
eigentlich gehörte. Zunächst verkrochen 
sie sich noch in Keller, Dachböden, 
Katen und Buden. Dann wurden sie zu 
zahlreich, unter sich zu differenziert und 
zu selbstbewußt, um sich damit zu 
begnügen. Was dann entstand, ist schwer 
unter einen wirklichen Stadtbegriff zu 
bringen. Die entmischten Arbeitervier- 
tel Berlins, die Werkssiedlungen des 
Ruhrgebiets, die spekulativen Arbeiter- 
viertel von Paris (XIIlieme und 
XIVieme), der Londoner Nordosten und 
Süden (Hackney einerseits, Fulham 
andererseits), all das ist gleichzeitig. Die 
jeweilige Antwort auf die Frage, wie die 
Arbeiterbevölkerung zu hausen und in 
die Stadt einzubauen sei, bezieht sich auf 
die jeweilige lokale Vorgeschichte. Wie 
sich die Industriesiedlungen des Ruhr- 
gebiets und die Londoner Arbeiter- 
terrassen nur oberflächlich ähneln, so die 
Mietskasernen von Wien - Ottakring, 
Paris - Montparnasse, Kopenhagen - 
Nörrebro, Turin - Barriera di Milano 
oder Berlin - Wedding. Man kann, wenn 
man die Ebenen der Vergleichbarkeit 
genau genug definiert, Beziehungen 
herstellen, aber daraus keinen Typ des 
städtischen Arbeiterwohnhauses synthe- 
tisieren. 
Gleichzeitig mit dieser Anpassung der 
Arbeiter an die bürgerliche Stadt lief 
unter Bürgern der entgegengesetzte Pro- 
zeß. Die Bürger wollten hinaus aufs 
Land, und wenn nicht wirklich weg von 
der Stadt, dann wenigstens so weit nach 
draußen, daß sie bei bequemer Vorort- 
bahnverbindung „im Grünen“ wohnen 
konnten, in offenen Vierteln, in weniger 
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Arbeiter-Quartier 
‚er Hannov. Maschinenbau-Actien 
vorm. Georg Etesterfl in Lin4* 
1.2.3. Nyboder Kopenhagen 
Pläne 1631—39, 1649 
4.5. Berlin, ’Stadthaus’ Wilhelmstr. 136, Planusschnitt Südl. Friedrichstadt 
6.7. Arbeitermietshausbau, Hannover-Linden 
70
	        

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