Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

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offiziellen Stadtformen, je nach sozialer 
Lage in einer bescheidenen niedlichen 
Kleinstadtillusion oder in einem auf 
Oberklasse pochenden Villenambiente. 
Die Stadt differenzierte sich eben, jeder 
Haustyp und jedes Stadtbild fanden 
ihren besonderen sozialen Platz. Archi- 
tekten und Spekulanten wußten, was sie 
dem jeweiligen Ort schuldig waren - das 
machte Ende des 19. Jahrhunderts die 
Einheit des Stadtbilds aus, die Städtisch- 
heit von Häusern, den Zusammenhang 
von Haus und Bild im Einzelfall und im 
Stadtganzen. Grundsätzlich war - die 
Zechensiedlungen bewiesen es - Hausbau 
auch ohne Stadt möglich. Der Stadt- 
bezug als Funktionsbündel wie als 
Ästhetik war eine Frage der lokalen 
Umstände und der sozialen Ansprüche. 
An diesem Punkt der Willkür und 
Zerstreuung trat die „Neue Stadt“ auf, 
die Vorstellung einer totalen Stadtord- 
nung ohne individuellen Hausbau, ohne 
individuelle Ansprüche, ganz makellose 
Gerechtigkeit funktionaler Flächen- und 
Massenzuweisungen. Sie ist nie recht 
gebaut worden, und so kennen wir nur 
halbe, stümperhafte oder siedlungsmäßig 
bescheidene Versionen und eine wenig 
erfreuliche Nachgeschichte der Idee, die 
moderne New Town ohne Industrie, aber 
mit Millionen isolierter Wohnzimmer 
und Badestuben, mit Hochhaustürmen 
und Wohnhäusern für 5000 Menschen. 
Das Thema Haus in der Stadt schien für 
alle Zeiten erledigt. Wo es noch Häuser 
gab, war der Abriß im Gange oder 
vorhersehbar. Überall fraßen sich die 
Bagger in die Städte hinein. Die 
englischen Arbeiterterrassen verschwan- 
den ebenso wie die zugehörigen alten 
Innenstädte. Banken, Kaufhäuser, Büro- 
hochhäuser traten die Nachfolge letzterer 
an, alles Großbaustellen, wo man sich 
mit der Vokabel Hausbau nur lächerlich 
gemacht hätte. In Berlin war im übrigen 
sogar errechnet, wann etwa das letzte 
Arbeiterhaus abgerissen sein würde; aber 
die Sanierung marschierte überall, früher 
oder später, schneller oder langsamer, ob 
Paris, Manchester, Wien, Kopenhagen, 
Brüssel, Nürnberg oder Amsterdam. 
Aber auch den bürgerlichen Villen ging 
es an den Kragen, sie wurden mit den 
gleichen Methoden geknackt wie die 
großen Mietshäuser der Arbeiterviertel, 
die Gärten und Parks mit Zeilenbauten 
zugebaut, eine allgemeine Abrechnung 
mit dem 19. Jahrhundert schien im 
Gange. 
Inzwischen ist das Modell in der Krise. 
Es wäre eine Illusion, an ein Verebben 
der Umwälzungflut zu glauben. Der 
materielle Austausch der Städte geht 
weiter, aber in merkbar subtileren 
Formen. Der Glaube an die großen 
Wohnmaschinen und an die architek- 
tonischen Großformen (Toulouse - 
Mirail, Amsterdam - Bijlmermeer, 
Grigny - La Grande Borne bei Paris, 
Hamburg - Steilshoop etc.) ist gebro- 
chen. Wo, wie in Paris, das Bevölke- 
rungswachstum weitergeht und ein 
Nachlassen des ökonomischen Drucks 
noch nicht fühlbar ist, da werden die 
gewohnten Quantitäten weiter gebaut, 
aber mit einer neuen Ästhetik. Man kann 
in Paris diesen Wechsel im Sanierungs- 
gebiet südlich der Place d’Italie ver- 
folgen: hatte man zuvor an der Rue 
Tolbiac Wohntürme auf die leergeräum- 
ten Parzellen und Hinterhöfe gesetzt, so 
wird in der Rue des Hautes Formes mit 
historischen Stadtsymbolen in n-facher 
Vergrößerung reagiert (der Name der 
Straße ist alt. aber die neuen Formen 
hängen, ihn wörtlich nehmend, in der Tat 
sehr hoch). In den BRD-Städten scheint 
sich dagegen eine echte Herabstufung 
von Massen und Tempo einzuspielen. An 
der Erbarmungslosigkeit des Vernich- 
tungskampfes gegen die alte Bausub- 
stanz, gegen den historischen Häuser- 
bau, die Stadt individualisierter Inter- 
essen, ändert das alles wenig. Unter dem 
Titel Stadtreparatur geht es gerade den 
individualisierten, den diskontinuier- 
lichen Situationen zu Leibe, den unge- 
ordneten Höfen, halben Ecken, informell 
genutzten Lücken. Die Schließung der 
Blockränder stellt, zusammen mit Ver- 
einheitlichung des Eigentums, eine 
durchlaufende Einheit her, wo die 
erhaltenen Altbauten kaum mehr als 
Farbvarianten innerhalb der Blockan- 
lage darstellen, um so eindrucksvoller, 
wenn sämtliche Seitenflügel, nach hinten 
hinaus abgesägt, Quergebäude, Gewer- 
bebauten und Remisen abgerissen sind. 
Man erreicht so jene mittlere Anonymi- 
tät, die auch der Neubau inzwischen 
wieder eingeholt hat, wenn eine groß- 
förmige Wohnanlage der besseren An- 
eignung durch die Bewohner wegen 
segmentiert und verschiedenen Archi- 
tekturbüros zur Bearbeitung überlassen 
wird. 
Diese mittlere Anonymität ist nicht an 
sich bedeutsam. Sie ist wichtig als 
Reaktion - auf etwas, was innerhalb der 
Großanlagen heutiger Bauträger, es seien 
nun private Spekulanten oder öffent- 
liche bzw. öffentlich rechtliche Woh- 
nungsbaugesellschaften, gar nicht zu- 
reichend ausgedrückt werden kann. Man 
möchte eigentlich wieder Häuser bauen, 
nur, die selbstgesetzten Bedingungen 
sind eben nicht so. Zum Hausbau gehört 
ein Subjekt, das sich dieses Haus baut. 
Ein Investor, der noch während des Baus 
die einzelnen Wohnungen an Wohnungs- 
eigentümer verkauft, eine Baugesell- 
schaft, die eine ganze Blockkante auf 
einmal bebaut und Einzelhäuser nur 
entlang Brandschutzabschnitten und mit 
wechselnden Anstrichen o.ä. ausweist, 
stehen von ihrer Struktur her dem 
Hausbauwunsch im Wege. Sie sind daher 
auf Vermittlungsideologien angewiesen. 
Eine dieser Vermittlungsideologien ist 
das Konzept der Stadtreparatur bzw. der 
die Stadt reparierenden Stadtbaukunst. 
Dahinter steckt die Hoffnung, eine dem 
gewohnten Investitionsvolumen entspre- 
chende städtebauliche Einheit zu finden, 
eine theoretische und ästhetische Recht- 
fertigung des vereinheitlichten Blocks: 
ein Mittleres zwischen Stadt und einzel- 
nem Haus, eine konzeptuelle Basis für die 
mittlere Anonymität reindividualisieren- 
der Großbauten, es seinun ein Kaufhaus 
in Celle oder ein Berliner Wohnblock. 
Die zweite Vermittlungsideologie‘ ist 
wesentlich spröder, daher bei den Trä- 
gern glatt ungeliebt, ohne deshalb 
aufzuhören, eine im augenblicklichen 
Stadtentwicklungsprozeß _unentbehr- 
liche Figur zu sein: das Konzept der 
behutsamen Erneuerung. Dieses Kon- 
zept richtet sich an die traditionellen 
Träger, die alten, seit je im Sanierungs- 
geschäft tätigen Wohnungsbaugesell- 
schaften und -genossenschaften und 
versucht, diesen ergrauten Trägern ein 
soziales Blockmodell nahezubringen: 
eine sozialplanerische Vermittlung zwi- 
schen Stadt und Einzelhaus, eine in ihrer 
architektonischen Instrumentalisierung 
- und das heißt in der Regel: Asthetisie- 
rung - konzeptionelle Basis für die 
mittlere Anonymität des sanierten Alt- 
baus
	        

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