Die Sache mit der Baugeschichte
Martin Kieren
Zufällige Tücken mit der
Baugeschichte
oder „Gewalt des Zusammenhangs’”’?
M an nähert sich einem Gegenstand, wie
er einem begegnet. Da sind also schon
einmal zwei, die miteinander zu tun haben.
Und dann ist da noch die Zeit. „Früher“ zu
sagen, fällt oft leicht, weil es einen der Sorge
enthebt, einzugreifen. „Früher“ muß aber
auch Gegenwart heißen, muß die Bereitschaft
einschließen zuzugeben, daß sich die Bedin-
gungen, denen ein zu betrachtender Gegen-
stand entsprang (also einer von früher), sich
nicht verändert haben und sich somit die
Leiden, die mit ihm gewaltsam zusammen-
hängen, nicht nur wiederholen können,
sondern ebenfalls weiterbestehen. Hier sind
also versammelt: der Autor, die Hochbunker
und die Zeit seit ... 1933. (Mit der Zeit tue ich
mich hier an dieser Stelle sehr schwer und
meine eher die Zeit (oder den Begriff von ihr),
die in den „Erfahrungen mit Baugeschichte in
der Bibliothek“ unter dem Stichwort „Wehr-
bau“ sich findet.)
Hand, das Reich als Auftraggeber: versprach
gute Verträge, guten Absatz und den ge-
wünschten Profit. Über die unheilige Rolle der
Industrie ist in mehreren Zusammenhängen
zwar schon geschrieben worden; aber auch
hier .... Natürlich baute man ja auch für den
Schutz der Menschen, wohltätig war man so-
zusagen, Vorreiter des Luftschutzes (siehe
dazu weiter unten die Geschichte des Hans
Schoszberger). Ein weiterer interessanter An-
satzpunkt: was zum rauskriegen.
Die Geschichte mit der Großstadtfeindlich-
keit der Faschisten. Genau! Die wollten doch
immer die Mietskaserne abschaffen, die Groß-
städte auflösen zu nicht genau definierten
Groß-Dörfern in der Nähe - aber strikt ge-
trennt von ihnen - von großen Industrieanla-
gen. Wenn dann also die feindlichen Bom-
ben fielen (in der Literatur zum Luftschutz fin-
den sich bis heute immer nur die Bomben der
vermeintlichen Feinde), war die Trefferquote
viel geringer, der Verlust an Material und
Mensch (was ja dann das gleiche zeitweise
war) konnt auf diese Weise in Grenzen gehal-
ten werden. Auch das wollte man rauskriegen,
beweisen und darstellen: den Zusammenhang
zwischen Luftschutz und Städtebau(theorie).
Das waren dann die ersten Notizen, denen
sich weitere Überlegungen anschlossen. Man
hatte was zu verfolgen. Der Alltag ließ die Ge-
danken an einen solchen zu schreibenden Ar-
tikel nur teilweise aufkommen. Zwar sind Ge-
schichte, Theorie und Kritik der Architektur
mein Metier und von daher sind Berührungs-
punkte, Lektüre und Gespräche auch immer
wieder Anlaß zu Gedanken an die „Hoch-
bunker im Ruhrgebiet“. Jedenfalls sind es
immer Teilbereiche auch der Baugeschichte
und vor allem Methodenfragen, Fragen nach
dem Stellenwert einer Geschichtsdisziplin.
Albert Schulte anrufen. Brauche die Arbeit
und die Fotos. Beim nächsten Dortmund-
Aufenthalt ins Archiv, die Bauämter, Bau-
akten. In die Bibliothek. Zeitschriften, Bü-
cher.
Wann sind diese Bunker eigentlich gebaut
worden? Am Anfang des Krieges? In der
Schlußphase? Wie weit waren bis zu diesem
Zeitpunkt die Kriegsverluste fortgeschritten,
wie weit war es mit der Stadtzerstörung und
der damit einhergehenden Demoralisierung
der Bevölkerung? Welche Reichsverwaltung
hat diese Bunkerbauten gefördert, in diesen
Kriegswirren organisiert? Hat die Stahl-
industrie in Zeiten absoluter Hochrüstung
eigentlich noch Stahl für diese Dimensionen
von Beton-Bewehrungen übrig gehabt? Wie ist
(war) das mit der psychologischen Wirkung?
Dessen Ziel vielmehr. Geben oder gaben
Hochbunker, in die Städte gesetzte Beton-
klötze wehrhaften(?) Aussehens eigentlich das
Gefühl von Sicherheit? Wenn man von einem
gewonnenen Krieg ausging, wie wollte man
diese Betonburgen danach nutzen? Wollte
man überhaupt? Nach Alberts Aussage fiel
oder fällt denen in Münster heut immer noch
nichts ein. Außer: bitte nutzen sie das nicht
politisch, was wir ihnen sagen. Aber das war ja
1974
Anfänge: Was rauskriegen
In Dortmund, an der Fachhochschule noch
studierend, habe ich‘ mit Albert zusammen-
gewohnt. Albert hat damals als Examens-
arbeit 1974 eine Studie über die bestehenden
Hochbunker im Ruhrgebiet geschrieben. Wir
sind sehr viel rumgefahren und haben uns die
Bunker in Wattenscheid, Gelsenkirchen, Wit-
ten, Bochum und anderswo angesehen und
auch fotografiert.
Ich bin im Ruhrgebiet groß geworden, ha-
be 20 Jahre dort gelebt. Aufgefallen sind mir
diese Klötze überall, wo sie standen: bemalt,
beklebt, überwuchert und ein betonenes Le-
ben fristend und wartend, daß sich irgend-
wann jemand in der Oberfinanz-Direktion in
Münster ihrer erinnert. Als Bundesvermögen
werden sie von den Bundesvermögensämtern
verwaltet, diese wiederum unterstehen erstge-
nannter Direktion in Münster. Dort ist man in
der Hauptsache katholisch und nicht an
Bunkern interessiert. Diese Erfahrung hat Al-
bert bei den Recherchen gemacht und auch
aufgeschrieben, als Einleitung oder Vorwort
sozusagen zur Examens-Arbeit. Wenn man
eine solche Arbeit schreibt oder sonstige For-
schungsergebnisse veröffentlicht, Artikel
schreibt, tut man das. Man legitimiert Idee,
Vorgehen, Konzept, man legt, teils entschul-
digend, teils rechtfertigend also dar, wie man
das rausgekriegt hat, was da jetzt folgt. Eine
Frage taucht auf, die schon während einiger
Gespräche über Bunker immer wieder gestellt
wurde; nämlich die nach dem Grund, warum
denn die Bunker als Hochbunker gebaut
wurden und nicht etwa als Schutzräume unter
der Erde angelegt wurden. Bomben kamen
doch von oben und kommen es auch
weiterhin. Warum also hat man 20-30 Meter
hohe Betonklötze in die Städte, die Land-
schaft gebaut? Das interessierte, das wollte
man rauskriegen.
Beton- und Stahlindustrie. Na klar! Deren
Interesse war klar darzulegen: soviel Baustoffe
wie möglich zu verkaufen. Die öffentliche
„Hochbunker im Ruhrgebiet“. Albert schickt
mir die Arbeit zu und die dazugehörigen Fo-
tos, ca. 450, aufgenommen im Großraum
Ruhrgebiet im Frühjahr 1974. Abzüge, Kon-
takte, Negative. In der Arbeit selbst: Kar-
tierungen der Obiekte:
Herne 7 Hochbunker
Witten 3 Hochbunker
Herten 3 Hochbunker
Recklinghausen 5 Hochbunker
Wanne Eickel 5 Hochbunker
Hamm 11 Hochbunker
Wattenscheid 4 Hochbunker
Castrop-Rauxel 4 Hochbunker
Bochum 10 Hochbunker
Dortmund 10 Hochbunker
Ergibt 62 Hochbunker. Immerhin. Sie sollten
sich doch irgendwie ordnen lassen. Eine
Typologie vielleicht:
®
®
®
Größe. Formale Ausbildungen. Aufnah-
mekapazität.
Standorte: Wohngebiet. Verdichtetes
Stadtgebiet. Industriegebiet. Land.
Bauzeit: wann, wie, Ausstattung.
(In Berlin werden gegenwärtig auch Bunker
angelegt; auch sog. atomsichere. Einer steht
z.B. in der Pallasstraße und ist für die Sena-
toren. Die Pallasstraße ist in Schöneberg. In
Schöneberg ist auch das Rathaus. Ein ande-
rer z.B. am Ku-Damm in der Nähe der großen
Banken und Versicherungen. Im U-Bhf. einer
Strecke z.B., welche an Hertleins Siemens-
Bauten vorbeiführt, ist auch ein atomsicherer
Bunker untergebracht. Der Bhf. liegt direkt
vor diesem Baudenkmal (? was ist das) aus den
20er Jahren, in denen die Herren der 80er
Jahre ihre elektronischen, mikroprozessori-
schen Entscheidungen treffen über die An-
wendung auch von todsicheren Waffen: ge-
steuert von Siemens-Computern, versteht
sich).
Da lauern schöne Zusammenhänge, denke
ich. Dieser Gebäudetyp ist gar nicht so un-
interessant. Mitten in der Stadt. Jeder sieht
sie, kann sie sehen, wahrnehmen.
Hoch. Wehrtürme, glatt, mit der Struktur der
Holzverschalung noch versehen, Schießschar-
ten, auskragendes Dach.
Mittel. 3-4 geschossig, runder Torbogen als
Einfahrt, Schießscharten, (nachträglich) grö-
ßere Fenster mit Sprossen, Putzbewurf, be-
malt, auskragendes Gesims, flaches Sattel-
dach.