Militärgeschichte in Schwarzenborn
Schon vor 1900 interessierte sich das Militär
für die Knüllhochflächen. So fanden nach
Aussagen älterer Bürger nicht nur regelmä-
Big Kaisermanöver, sondern auch Artillerie-
schießübungen auf dem Knüll statt. Die er-
sten Verhandlungen über die Errichtung ei-
nes Truppenübungsplatzes begannen 1899;
Stadt und betroffene Landwirte lehnten die-
ses Vorhaben jedoch ab. Dennoch wurde
1905 ein solcher Platz eingerichtet. Wie die-
ses Vorhaben durchgesetzt wurde, ließ sich
nicht mehr rekonstruieren. Nach dem 1.
Weltkrieg diente das Gelände der Reichs-
wehr für Gelände- und Marschübungen, auch
SA und SS trainierten hier. 1935 ging der
Platz an die Wehrmacht. Das zur forcierten
Aufrüstung eingeführte ’Gesetz über die
Landbeschaffung für die Zwecke der Wehr-
macht’, welches noch innerhalb der letzten
vier Vorkriegsjahre Erweiterung der Reichs-
wehrflächen ermöglichte, erbrachte auf
Schwarzenborn angewandt eine Vergröße-
rung der Ubungsflächen auf 1760 ha. Die
Schwarzenbörner Bauern mußten 360 ha z. T.
wertvolles Ackerland und Grünland sowie 80
ha Wald abgeben. Einige verloren so mehr
als 50 % ihres Grundbesitzes und damit ihre
Existenzgrundlage. Sie waren zur Umsied-
lung gezwungen, da am Ort nicht ausreichend
Ersatzland zur Verfügung gestellt werden
konnte. Die anderen betroffenen Betriebe
wurden in Geld entschädigt, das allerdings
erst in der Währungsreform für sie verfügbar
war und dann erheblich weniger wert war
„In dem bis dahin einsamen Knüllstädtchen begann ein Le-
ben und Treiben, wie man es bis dahin nicht kannte. Zahl-
reiche Beamte und Angestellte nahmen Wohnung in der
Stadt. Die Arbeiter und Kleinbauern, die bis dahin mei-
stens arbeitslos waren, fanden gute Arbeits- und Verdienst-
möglichkeiten. Es kam wieder Geld unter die Leute, der
allgemeine Lebensstandard besserte sich wesentlich. Das
äußere Bild des Städtchens wurde freundlicher, die gesamte
Ortslage erhielt eine Kanalisation, die 6 m breite Haupt-
straße bekam auf der Strecke der stärksten Steigung ein
Granitpflaster. Um die extremen Engstellen zu beseitigen
wurden 4 Häuser abgerissen ”*
So lesen sich in einer Schwarzenbörner Jubi-
läumsschrift die Vorteile militärischer Prä-
senz für die Stadt: Modernisierung und Infra:
strukturausbau. Und weiter:
„Die extremen Parteien nach rechts (NSDAP) und nach
links (KPD) hatten zunächst gar keinen Anhang in der eher
konservativ geprägten Bevölkerung. Man darf wohl sagen,
daß der jeweilige Zeitgeist im ländlichen Raum hier im
Knüll doch zeitversetzt zu spüren ist. Erst in der Endphase
des Machtkampfes zwischen ’Braun’ und ’Rot’ nahm man
Partei und besonders die jüngere Generation, in der der na-
tionale Gedanke sehr wach war, glaubte in der NSDAP ei-
ne geistige Heimat zu finden. () Obwohl man in Schwar-
zenborn durch den Übungsplatz Aufrüstung mit eigenen
Augen sah, wer glaubte an das entsetzlichste, was Men
schen initiieren können, den Krieg?””
Während des 2. Weltkrieges wurde der
Ubungsplatz von verschiedenen Bataillonen
frequentiert, in Schwarzenborn und den um-
liegenden Dörfern wurden monatelang Ein-
heiten einquartiert.
Nach 1945 konkurrieren wiederum militä-
rische und zivile Ansprüche um die Hochflä-
chen miteinander. Während die US-Besat-
zungstruppen Interesse an dem Platz für Pan-
zerübungen anmeldeten, wollte die Hessi-
sche Heimat einen Teil der landwirtschaftlich
zu nutzenden Flächen übernehmen, um für
die inzwischen ein Viertel der Wohnbevölke-
rung ausmachenden Flüchtlinge Siedlerstel-
len zu schaffen. Dieser Plan sah auch vor, das
restliche Gebiet an umliegende Gemeinden
und diejenigen Landwirte zu verkaufen, die
bei der Errichtung Land eingebüßt hatten.
Dieses Vorhaben blieb Plan, das Interesse
der Landwirte an der Bewirtschaftung der
Flächen erlahmte, nachdem diese von der
US-Armee durch Übungen stark in Mitlei-
denschaft gezogen worden waren.
In den fünfziger Jahren sollte zuerst der
Bundesgrenzschutz auf dem Platz unterge-
bracht werden. Als die Bundeswehr aufge-
baut war, bemühte sich die Stadt Schwarzen-
born wie viele Kleinstädte zu dieser Zeit dar-
um, Garnisonsstadt zu werden, und hatte Er-
folg. Heute ist in Schwarzenborn ein Jägerba-
taillon stationiert, viele fremde Truppen
kommen, um u.a. Scharfschießen zu üben.
1980 forderte die Bundeswehr weitere Flä-
chen im Umfang von 300 ha für einen Stand-
ortübungsplatz. Sie bekam ungefähr die Hälf-
te des Gebietes zugestanden. In einem
Schnellverfahren stellt die Stadt Schwarzen-
born 40 ha hochwertigen Stadtwald zur Ver-
fügung, die restlichen 100 ha dürfen — eben-
falls per Gestattungsvertrag — auf Staats-
waldflächen in der Gemarkung Neukirchen
’beübt’ werden. Nun ist fast die Hälfte der
Gemarkung Schwarzenborn und damit über
die Hälfte der stadteigenen Forstfläche sowie
z.T. gutes landwirtschaftliches Kulturland für
’Verteidigungszwecke’ aufgegeben worden.
Militär im Alltag
Die wichtigste Zufahrt zum Truppenübungs-
platz ist die Schwarzenbörner Ortsdurch-
fahrt. Tag für Tag rattern Kolonnen von Mili-
tärfahrzeugen mit überhöhter Geschwindig-
keit, ohrenbetäubendem Lärm und starker
Bodenerschütterung durch den Ort hindurch.
Für Fußgänger ist die Straße dann nicht mehr
passierbar, die Schwarzenbörner sitzen bei
gutem Wetter allerdings gelassen vor ihren
Häusern an der Straße und beschauen das
Spektakel. Das gute Verhältnis der Einwoh-
ner zur Bundeswehr betont der Bürgermei:
ster im Gespräch immer wieder. Häufig wer-
den Patenschaftsveranstaltungen mit‘ der
Bundeswehr organisiert, er selbst benötigt
ein Drittel seiner ehrenamtlichen Dienstzeit
für Bundeswehrangelegenheiten. Die Bun-
deswehr springt auch ein, wenn sie örtliche
Versorgungsengpässe kompensieren helfen
kann: in Schwarzenborn gibt es keine ärztli-
che Versorgung, da kommt die Hilfeleistung
der Bundeswehr bei schweren Unfällen gera-
de recht.
Die Bundeswehr in Schwarzenborn bietet
heute rund 280 zivile Arbeitsplätze und ist
damit einer größten Arbeitgeber im Knüll
überhaupt (Und das in einer Stadt, deren
Bürgermeister keinen Zweifel daran läßt,
daß sie auch dem Bau einer WAA auf ihrem
Gebiet nicht abgeneigt sei.). Die jedoch fast
gleich hohe Zahl der Einpendler nach
Schwarzenborn deutet allerdings darauf hin,
daß die überwiegende Zahl der zivilen Be-
schäftigten aus den umliegenden Orten
kommt, nicht aus Schwarzenborn. Denn an-
dere nennenswerte Betriebe gibt es in der
Stadt nicht.
Nach der Herkunft ihrer zivilen Beschäftig-
ten und der Auftragsvergabe an örtlichen
bzw. regionalen Handel befragt, muß die
Kommandantur erst bei der Wehrbereichs-
verwaltung IV in Wiesbaden um Auskunfts-
erlaubnis ersuchen. Diese wird nach zweimo-
natigem Hin und Her, nachdem die Schwar-
zenbörner Kommandantur die Daten schon
gebrauchsfertig zusammengestellt hat, ohne
Begründung versagt. Aber es ist immerhin zu
erfahren, daß auch bei der Bundeswehr ratio-
nalisiert wird: durch die Einsparung von zivi-
lem Wachpersonal wurden kürzlich 11 Män-
ner arbeitslos.
Ortliches Gewerbe war in gewissem Um-
fang an Baumaßnahmen auf dem Übungs-
platz beteiligt. So eine inzwischen pleite ge-
gangene Baufirma mit 30 Beschäftigten, die
aber, u.a. wegen ihrer geringen Kapazität,
nicht in der Lage war, den Auftrag zu erfül-
len, so daß er an eine auswärtige Firma verge:
ben wurde.
Aus Umfragen am Ort ergab sich, daß Ein-
zelhandel und Gaststätten nur in ganz mini:
malem Umfang von der Stationierung profi-
tieren, da die Güterbeschaffung zumeist zen-
tral geregelt ist und das Auftragsvolumen die
Kapazitäten der kleinen lokalen Betriebe so-
wieso übersteigt. Die Wehrpflichtigen als
Konsumentengruppe vor Ort fahren übers
Wochenende in ihre Heimatgemeinden, dek-
ken dort ihren Bedarf für die Woche. Die
dauerhaft Beschäftigten konsumieren eben-
falls vorzugsweise am Wohnort, in diesem
Fall im benachbarten Kneipp- und Luftkurort
Neukirchen.
Dieser ist infrastrukturell gut ausgestattet,
in allem besser als Schwarzenborn. Neukir-
chen verfügt über einen Anschluß ans Bahn-
netz und liegt direkt an einer breit ausgebau-
ten Bundesstraße. In Neukirchen spielt der
Fremdenverkehr eine wichtige Rolle mit stei-
gender Tendenz, entsprechend attraktiv ist
das Konsum- und Kulturangebot. Diese Um-
stände erklären hinreichend das Siedlungs-
verhalten der Bundeswehrbeschäftigten, die
einen nicht geringen Teil der neuen und
neueren Wohnbaugebiete in Neukirchen be-
anspruchen. Die damit verbundenen kom-
munalen Einnahmen, die sich einst Schwar-
zenborn von der Stationierung erhoffte, flie-
ßen nun nach Neukirchen.
Stand Schwarzenborn Anfang der 50er
Jahre noch an der Spitze der Fremdenver-
kehrsorte im Knüll, stagnieren heute Ange-
bot und Nachfrage. Die entscheidende Ursa-
che dafür stellt nach einhelliger Meinung von
Bürgermeister, Standortverwaltung und be-
fragten Bürgern die Beeinträchtigung von
Ort und Landschaft durch den Truppenü-
bungsplatz dar. Wer möchte schon in seinen
Ferien dem dauernden Anblick und Lärm
von Militärfahrzeugen ausgesetzt sein und in
der eigentlich ’freien’ Landschaft des nur
durch Hinweisschilder gekennzeichneten rie-
sigen Ubungsgebietes sein Leben aufs Spiel
setzen, weil er nicht weiß, daß bei aufgezoge-
nen roten Ballons scharf geschossen wird?
Dieser Nutzungskonflikt wird letztlich undra-
matisch und per Fußabstimmung ausgetra-
gen, aber es gibt auch offene Konflikte, wie
um den Schwarzenbörner Knüllteich, an dem
sich kommunale Planungshoheit in Garni-
sonsgemeinden als Farce erweist. Der Knüll-
teich liegt auch auf dem Gelände der Bundes-
wehr, doch dürfen sich hier gleichfalls Zivil-
personen aufhalten, sofern die Belange des
Militärs nicht beeinträchtigt werden. Da der
Teich wegen eben dieser eingeschränkten zi-
vilen Nutzbarkeit nicht in das Fremdenver-
kehrskonzept der Stadt eingehen durfte,
plante diese auf geeignetem Gelände einen
neuen Teich. Diesem Konzept widersprach
die Standortverwaltung erfolgreich und hatte
auch das Recht auf ihrer Seite, denn der pro-
jektierte Teich lag im Schutzbereich um die
UÜbungsflächen und unterliegt von daher
gleichfalls Restriktionen, was zivile Nutzun-
gen angeht.
So scheint sich der Einsatz der Stadt
Schwarzenborn unter dem Strich nicht für sie
auszuzahlen: die landwirtschaftliche Nutzung
als traditioneller Erwerbszweig ist durch die
Ausdehnung des _Truppenübungsplatzes
stark beschränkt, die einzige momentan er-
kennbare Entwicklungsperspektive Frem-
denverkehr wird jeden Tag buchstäblich ’ver-
schossen’
Anmerkungen:
1) Herbert Schwedt: Wenn das Vertrauen in die Zukunft
verschwindet, in: Das Ende des alten Dorfes?, Der Bür-
ger im Staat, hrsg. von der Landeszentrale f. Pol. bil-
dung Baden-Württemberg, Heft 1/1980, S. 15
Standortübungsplätze stehen nur den dort stationierten
Truppenteilen zur Verfügung, während die größeren
Truppenübungsplätze — z.T. Dis zu 600 qkm groß — zu-
sätzlich von standortfremden bundesdeutschen und alli-
ierten Truppen gegen Entgeld genutzt werden können.
‚, Klaus Ottomeyer: Militarisierung der Subjekte und des
Alltagslebens, in: Das Argument Nr. 132/1982, S. 255
4 Hans Möller: Meine Stadt’am Knüll, hrsg. von der Stadt
Schwarzenborn anläßlich der 650-Jahr-Feier, Schwar-
zenborn 1979, S. 92
5) ebda.. S. 99
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