„Die können nicht des Landes Söhne gelten,
die seine Teufel sind!” — also z. B Juden mit
Eisernem Kreuz.
Nein, die Exzesse der Einsatzgruppen, der
SS, der Wehrmacht im zweiten Weltkrieg
sind keine einmaligen Entgleisungen der
deutschen Geschichte, die aufs Konto von ein
paar verbrecherischen Usurpatoren gehen.
Wir haben das Schlachten — zumindest schon
seit Luthers, gewiß seit Körners Tagen — für
gedichtfähige Taten, für lob- und preiswür-
dig, gehalten.
Welche KZ-Poesie schon zur Hochblüte
der deutschen Dichter und Denker: „Welche
Lust, wenn das Gehirn aus dem gespaltenen
Kopfe am blutgen Schwerte klebt!” Hauptsa-
che, „Gott ist mit uns”! Dann schichten wir,
sternenüberstrahlt, Leichen zu Pyramiden
auf und brennen sie an, daß sie im Schlote
nur so qualmen.
„Wir fühlen tief die Notwendigkeit solcher
Opfer!” — Dieser beständige Tenor von To-
desanzeigen zwischen 1806 und 1945 machte
die einzige Wahrheit vernehmlich, die tat-
sächlich den Toten gilt. Sie brauchte nicht
einmal die kultische Opferhysterie der Müt-
ter und die Verschlagenheit des Vaterstolzes
zu fürchten. Väter, Mütter (die angeblichen
Bewahrerinnen des Lebens), Söhne, und seit
1939 Frauen und Töchter, Opfer und Täter,
Militärs und Zivilisten sahen es als höchste
Erfüllung ihres Lebens an, jene Notwendig-
keit ins Werk zu setzen.
Daß der Tod durch Selbstopfer die Deut-
schen gebildet, darf uns nicht daran hindern,
mit diesen Opfern zu rechten. Verschlagen
oder treu-deutsch — in jedem Fall hat man
darauf spekuliert, daß es allgemein als un-
würdig gilt, über die Toten etwas Wahreres
als bloß Gutes zu sagen. Die Kritik, die Ana-
lyse, der historische Vergleich, das Denken
in Alternativen würden sich also gegenüber
den Selbstopfern ganz ohne äußeren Zwang,
ohne äußere Zensur verbieten. Bisheriger
Höhepunkt dieser Perversion des Würdepa-
thos ist die Mahnung, über die deutschen Ju-
den doch bitte nur noch Liebenswertes zu sa-
gen, da sie ja nun einmal fast alle tot seien,
und über diejenigen, die sie „pflichtgemäß”
getötet hätten, gar nicht erst zu sprechen, da
sonst die bemerkenswerte Widerstandslosig-
keit, ja Bereitschaft zur Sprache kommen
müsse, mit der die Juden sich hätten opfern
lassen.
In unserem Jahrhundert sollte man jeden
Anlaß meiden, bei dem man über die Toten
etwas Gutes zu behaupten hätte — ihr Zu-
stand könnte allzu verlockend erscheinen.
Wer nur dem Toten gewährt, was er dem Le-
benden auf’s Grausamste vorenthält oder
entreißt, überzeugt ohne große Mühe, daß
tot zu sein ein Vorzug ist. Der Tod durch
Selbstopfer war für die Deutschen sehr häufig
der einzige aussichtsreiche Weg in ein erfüll-
tes Leben. Als allgemein menschlich ver-
ständlich könnte man akzeptieren, daß sich
jemand aus Angst vor dem Tode umbringt.
Der Deutsche dagegen (selbst als ein sozial-
demokratischer Bundeskanzler) mockiert
sich höhnisch über derart Menschliches; er
opfert sich aus Liebe zum Leben, weil der
Tod der einzig sichere Garant eines erfüllten
Lebens ist.
Die deutschen Dichter, Denker, Staats-
männer, Künstler und vor allem die deut-
schen Ordinarien malten in so unendlich gro-
ßer Zahl diesen Zustand für die von ihnen als
Selbstopfer so geschätzten Brüder und
Schwestern aus, daß die Aufzählung der Auf-
klärer, der Humanisten und Widerständler
unter Deutschlands Geisteshelden über das
gute Drei-Dutzend kaum hinauskäme (nur
teilweise schwach Gewordene wie Jean Paul
oder Thomas Mann schon mitgerechnet).
Gegen Goethe oder gegen Böll: immer wird
das gleiche vernichtend gemeinte Dictum ge-
schleudert, daß diese Herren doch nur aus
Feigheit klug seien — vielmehr klügelten; nur
aus Egoismus vernünftelten; nur human zu
sein vorgäben aus Mangel an natürlichen In-
stinkten; friedensselig seien durch Verlust ih-
res kreatürlichen Willens zur Macht.
Selbstverständlich hat es in dieser durchge-
henden, reichen und fast ausnahmslosen
Selbsthuldigung aller deutschen Stände (Arz-
te und Richter vorweg) und aller Ränge (Ar-
beiter der Faust und Arbeiter der Stirn) im-
mer wieder Höhepunkte des Deutschseins,
also der Todessehnsucht und des Todeskultes
gegeben. Den bisher nachhaltigsten und
Jüngsten versuchen wir gerade aus gegebenen
Anlässen feiernd zu vergegenwärtigen; zum
einen begann vor 50 Jahren der letzte Akt der
deutschen Geschichte, zum anderen verlangt
man uns gegenwärtig ganz ungeniert ab,
Rollentexte dieses Dramas mitzusprechen.
die uns merkwürdig bekannt vorkommen.
Ob da heutige Autoren bei Hitler oder Bis-
marck oder Körner abgeschrieben haben —
oder ob nur das Ende aller Dramen stets das
gleiche ist? Deshalb zunächst ein Hinweis auf
eine besonders schöne Abschreibvorlage,
und dann ein Blick auf die gegenwärtig vor-
gelegten Exposes für den Schluß des letzten
Aktes unserer Geschichte.
Die Abschreibvorlage
Bei aller gebotenen Zurückhaltung läßt sich
behaupten, daß der totale NS-Staat nichts an-
deres als eine besonders vollständige, gerade-
zu minutiöse Verwirklichung der zuvor von
Künstlern und Wissenschaftlern aller Sparten
ausgedachten Konstrukte des Deutschseins
gewesen ist. Verwirklichte Literatur, sozusa-
gen. Von Hitler ist überliefert, daß er mit
glaubhaftem Unverständnis gefragt habe,
warum eigentlich alle die großen Geister
plötzlich von seinem Handeln unangenehm
überrascht zu sein behaupteten — jetzt, da er,
Hitler, genau das ausführe, was sie immer
schon in ihrem Dichten und Trachten“ so
selbstherrlich gedacht und bebildert hätten.
Hitler hatte insoweit ganz recht! Alle Pro-
grammatiken der Nazis stammen bis ins ein-
zelne aus deutschen Universitäten, Ateliers.
Dachkammern und aus deutschen Festspiel-
häusern. Zum Teil wurden sie seit gut 100
Jahren unbeanstandet — höchstens Diskus-
sionen auslösend — aufgeführt, ausgestellt
und disputiert. Um daraus etwas wahrhaft
Deutsches und damit auf der Welt Einmali-
ges zu machen, fehlte bis dahin nur jemand.
der mächtig genug war, diese Spekulationen,
Fiktionen, diese Märchen und Philosophien
ganz eindeutig zu verstehen und mit ihnen
endlich ernst zu machen — also über sie nicht
nur zu reden, sondern nach ihren Vorgaben
auch zu handeln. Das taten die Nazis und
scheinen darin selbst für den Bundesrepubli-
kaner das Beispiel glaubhafter Politiker.
Für diese Vorbildlichkeit der Nazis ein
auch hier wiederum harmloses Beispiel der
Maxime „Gesagt - getan”.
Es besteht kein Zweifel, daß Hitler die gro-
ßen Kultfeiern des Regimes als unmittelbare
Umsetzungen Wagner’scher Weihefestspiele
in gesellschaftliche Realität verstand.
Er träumte nicht nur wie jeder sensible und
begabte Jüngling davon, an die Stelle der ge-
schauspielerten Imperatoren echte Herrscher
zu setzen, die ein Schauspiel geben; statt ei-
nes ’Häufleins dilettantischer Statisten und
Choristen abertausende wirklicher Menschen
agieren zu lassen; statt phantastischer Büh-
nenkostüme echte Uniformen, statt gemim-
ter Toter echte Leichen, statt der Auffüh-
rungszeit die Realzeit einzusetzen.
Er träumte nicht nur davon, sondern ver-
wirklichte seinen Traum; eine Absicht,. die
dem Volke einleuchtete, weil es ja auch das
individuelle Leben als zielstrebige, entbeh-
rungsreiche Verwirklichung des Traums vom
Glück versteht. Vergeblich hatten Fontane,
einer jener wenigen Humanisten, dem Deut-
schen bedeutet; „Wenn du die Sehnsucht
hast, so hast Du alles”. Das Volk und seine
Führer kannten nur zu gut die Sehnsucht;
aber sie wurde ihnen erst als Handlungsanlei-
tung für ihre Erfüllung verbindlich.
Bis in die Kriegszeit hinein nahm Hitler an
den Bayreuther Festspielen teil. „Immer,
wenn in Bayreuth die Götterburg unter musi-
kalischem Aufruhr brennend in sich zusam-
menstürzte, ergriff Hitler im Dunkel der Lo-
ge die Hand der neben ihm sitzenden Frau
Winnifred und verabreichte ihr bewegt einen
Handkuß”, schreibt Fest unter Berufung auf
Speer. Hitler bekannte, daß Richard Wagner
der einzige Vorgänger gewesen sei, den er
akzeptieren könne. Auf den Reichsparteita-
gen in Nürnberg wurden die versammelten
Funktionäre sogar per Erlaß zur Teilnahme
an den Aufführungen von Wagners „Meister-
singern” verpflichtet. Die Versatzstücke der
NS-Ideologie wimmeln von Wagner’schen
Bildern, die allerdings zur Beschreibung des
NS-Weltbildes uminterpretiert werden muß-
ten.
Zwar haben Hitler und Goebbels die
Strukturierung des Jahreszyklus bewußt in
Parallele zum christlichen Kalender entwor-
fen und sich dabei auch der Pathosformeln
des christlichen Kultus bedient; aber die Um-
wandlung des christlichen Kultus in national-
sozialistischen Ritus erfolgte weitgehend in
der Weise, in der Wagner den christlichen
Kult für seine Bühnenstücke ausbeutete.
Als Beispeil für die Umsetzung, Verwirkli-
chung, Erfüllung künstlerischer Konzepte als
NS-Strategie wählen wir die seit 1935 immer
nach demselben Schema ablaufende Feier zur
Erinnerung an den Marsch zur Feldherrnhal-
le in München am 8./9. November 1923. Was
Wagner auf der Bühne — zum Beispiel im
„Ring des Nibelungen”, vor allem in „Götter-
dämmerung” — musikdramatisch als Ge-
samtkunstwerk realisiert, sollte als faktische
Gegebenheit im Leben der Volksgenossen
zum Ausdruck gebracht werden, nämlich als
Antwort auf die Frage, in welchem Verhält-
nis Leben und Tod der Individuen wie der
völkischen und nationalen Gemeinschaften
ständen; welcher Zusammenhang im welthi-
storischen Prozeß zwischen Vernichtung und
Schöpfung, zwischen Untergang und Aufer-
stehung bestehe. Unausweichlich ist ja für In-
dividuen wie für Kollektive, daß sie zum To-
de, zum Untergang bestimmt sind. Das un-
ausgesprochne Vorbild für die Klärung dieses
Zusammenhangs liegt auch für Wagner in der
Theologie des Kreuzestodes Christi, der ja
die Voraussetzung für Auferstehung, also für
das eigentliche, verheißene Wunder des
Glaubens ist.
Um den ethischen Konsequenzen des
christlichen Glaubenswunders zu entgehen,
weil mit ihnen keine Totaltheater und kein
totaler Staat zu machen ist, verlagerten die
Nationalsozialisten — wie Wagner — das Bei-
spiel des von ihnen zu erzwingenden Glau-
benswunders in die vorchristliche bzw. ger-
manische Antike zurück. Dabei kam ihnen
die wissenschaftliche Spekulation zugute,
daß die Dorer — wie die Germanen — Arier
gewesen sein könnten, und daß erst durch die
Einwanderung der Dorer nach Griechenland
jene Kultur geschaffen worden ist, welche als
„die” Antike aller christlichen Kultur zu
Grunde liegt.
Man glaubte zu wissen, daß die weltschöp-
ferische Kraft des antiken Menschen eben in
seiner Bereitschaft zum Selbstopfer begrün-
det war. Der Einzelne sei bereit gewesen,
sich selbst zu opfern, weil ihm von den Mit-
gliedern seiner Polis, seines Sozialverbandes,
die Garantie gegeben wurde, unsterblich zu
werden. Und das nicht durch eine Verhei-
Bung auf jenseitiges Leben — (ganz im Ge-
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