Unter drei Augen
Jede Nacht sah A.I. Suslow, Raketenele-
metriespezialist, in der Bunkeranlage „in mir
die zwei Augen meines langjährigen Gönners
und Ausbilders“, Davidows, dem er zugetan
war und dessen Vorschriften er, dem geplan-
ten Soll an Wachsamkeit nach, gern noch
übertroffen hätte. Sie waren aber bereits als
Präzisionskammern ausgestaltet und ließen
den inneren Anliegen A.l. Suslows keinen
Raum, so daß Suslow nicht einmal einen
Moment vor sich hinträumen durfte, auch
Blitzangriffe überhöhter Wachsamkeit zu
unterlassen hatte, wie einer sie unternimmt,
um den Übermut zu kühlen, er hätte die den
Wachaugen untergeordneten Präzisionsorga-
ne und -instrumentarien sogleich durchein-
andergebracht. In ihm aber, „unterhalb des
moralischen Weckers in mir“, neigten alle
wirklichen Organe seiner Wachheit zum
Schlaf oder zur Ausscheidung, und so ging
jede Reserve, die der Leistungssteigerung
hätte dienen können, ohnehin in die Aufpaß-
reserve dieser inneren Augen, die sich zu
einem permanent rasselnden Wecker ent-
wickelten, den er wiederum nicht recht lieben
konnte, ein Wecker, der ihn zu gleichmäßiger
Aufmerksamkeitsverteilung, also geplanter
Haltung anhielt. Hätte er die Restkräfte, die er
innerhalb seiner Aufgabe verwaltete, anders
eingesetzt, nämlich nicht als Nachhut (Auf-
sammler der Nachzüglerei), sondern als
leistungsstärkende Vorhut, z.B. hätte er die
Pausen zu Lernzwecken genutzt, wäre ein
Rackelkurs entstanden, der für das Wach-
programm der ihm anvertrauten Raketen-
stellung unerträglich gewesen wäre. Er konnte
ja eine Rakete nicht z.B. abschießen und
wieder zurückholen. Insofern war alles, was
die zwei Augen des Ausbilders in ihm weckten,
zum Programm geworden.
Über sich aber, in der Höhe des Nacht-
himmels, wußte dieser Agent das Einauge des
Feindes, ein Satellitenauge, das in geostatio-
närer Bahn sein Tun und Lassen oder vielmehr
dasjenige seiner verlängerten Sinne und
Organe: des Silos, überwachte, der „ständige
Wecker über mir“. In einem Ernstfall mußte
dieses dritte Auge aus seiner Bahn herunter-
stürzen, um den Ausschnitt des Silos in detail-
reicherem Maßstab zu überblicken, großes
Auge werden, wie das von Suslows Großmut-
ter sich vergrößert hatte, kurz ehe sie starb,
„als wollte sie ihn in ihr Auge nehmen“. Das
Geschwür in der rechten Kopfseite drückte
das Auge aus der Höhle heraus. Es wird mich
holen, dachte Suslow. Diese einzige Bewe-
gung, die von Suslows drittem Auge, dem
Aufpasser im Sternenzelt, auch schon Ver-
trauter geworden, eines Tages ausgehen
würde, wäre das Zeichen, das Silo in Betrieb
zu setzen, wenn alle übrigen Zeichen ausfielen.
Er hatte spätestens bei Sturz des Auges seine
Rakete in Bewegung zu setzen.
Die unmittelbaren Augen, über die Suslow
in seinem Vorderkopf zusätzlich verfügte, er
vergewisserte sich gelegentlich, daß sie noch
da wären, waren dagegen verlängerte Organe
der Instrumente seines Labors, sozusagen
untergordnete Ruder, im Status wie „einfache
Bevölkerung, werktätige Massen“, also eher
eine leitende Idee, Programmidee, anderer-
seits Hilfskräfte, die er mit Unterstützung der
drei imperativen Oberaugen in Schach zu
halten, an der Herstellung von Trugbildern
oder auch realistischen Einblicken zu hindern
hatte.
Das Innere dieses Gefechtsstandes, das die
Baubehörden hellgrau ausgestaltet hatten,
sollte nach den Planungen später einmal in ein
feines Grün oder stilles Gelb getüncht werden.
Die Böden bestanden aus Gummi, die
Toiletten waren auf federnden Unterlagen und
ohne Bodenhaftung aufgehängt. Diese Dämp-
fungen entsprachen der Annahme, daß es im
Ernstfall nicht etwa der Raketenschlag des
Gegners, sondern schon die Aktivität der
benachbarten zweiten Startrampe wäre, die
dieses Quartier durchschütteln würde, so daß
gar nicht feststand, ob aus der zerrütteten
Plattform noch ein Präzisionsschuß abgege-
ben werden könnte. War dagegen Suslows
Schuß der erste, so verlagerte sich das
Problem, es wurde eines der Nachbarstellung.
Vertrauten beide Stellungen ihr Geschoß
”Nicht kleckern, sondern klotzen.”
Dies ist der taktische Grundsatz der Panzer-
waffe im Blitzkrieg: Massierung stärkster
Kräfte am Schwerpunkt, Vernachlässigung
aller Nebenschauplätze. Dieser militärische
Führungsgrundsatz bezieht sich jedoch
auf lebendige Kräfte, die ihren Schwerpunkt
ändern können, wenn der Feind
woanders angreift als man dachte. Die
Neigung, relativ undifferenzierte Massen
von Baumaterial auf wenige Schwerpunkte
zu konzentrieren, liegt der gesamten Bau-
weise im dritten Reich zugrunde. Die
gehortete Masse kann sich aber nicht dorthin
bewegen, wo der Feind tatsächlich angreift.
Als die Alliierten landen, werden die
wenigen Kompakt-Bunker des Atlantik-
Walls umgangen, wenn sie nicht überhaupt
an Stellen an der Küste liegen, an denen
keine Alliierten landen. Die Anwendung
des Schwerpunkt-Führerprinzips auf
Obijekt-Massen ist ein Schematismus.
gleichzeitig dem Weltraum an, so erschütter-
ten sie wechselseitig die Zieleinrichtungen.
Insofern bediente Suslow eine Kanone, die
nur einmal schoß, und es war fraglich, ob
dieser Ansatz etwas Praktisches betraf.
Unter den drei Augen, zu den nächtlich
erleuchteten Instrumenten spähend, drückte
der erfahrene Suslow (aber Erfahrung ist
nichts Praktisches, ernstfalls - technisch
äußert sie sich nicht, sondern nur hypothe-
tisch, Schätze an Wachsamkeit häufend) seine
Eindrücke so aus: Bei korrekter, nämlich
klassenbewußter Messung, die Klasse da-
durch bestimmt, daß ich nur mit der Erde
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