Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

Phase zwei: Die Realisierung des General- 
plans Ost 
Während sich die Nazis nach der Eroberung 
Polens noch mit dem Bau eines unbezwingba- 
ren Ostwalls, der stärker als der Westwall 
werden sollte, befaßten, entfiel dieser Plan 
nach Beginn des ’Unternehmens Barbaros- 
sa’. Die unendlichen Weiten des russischen 
Raumes ließen einen neuen Limes unsinnig 
erscheinen und sollten durch einen breiten 
Gürtel deutscher Wehrbauernsiedlungen mi- 
‘itärpolitisch und ’rassenbiologisch’ gesichert 
werden.°” Die in solchen Vorhaben nunmehr 
zeschulten Großraumtheoretiker erstellten 
hierzu — noch vor dem erwarteten Endsieg — 
den sog. ’Generalplan Ost’.® Er entstand 
Ende 1941 in der Gruppe III B des Reichssi- 
;herheitshauptamtes, der zentralen Füh- 
rungsstelle für die Vernichtungsmaßnahmen. 
Wenn auch der Plan selbst verlorenging, so 
;ind seine Aussagen und Zielsetzungen ein- 
leutig durch diverse Stellungnahmen ver- 
ȟrgt. 
besondere die Schrift ’Stellungnahme 
ınd Gedanken zum Generalplan Ost des 
Reichsführers SS’ des rassenpolitischen De- 
‚ernenten im Ostministerium Dr. Erhard 
Wetzel®”, sowie der eher kontrollanalytische 
Alternativplan des SS-Oberführers und Lei- 
ers der Hauptabteilung II Planung, Prof. Dr. 
Conrad Meyer (-Hetling) vom Juni 1942: 
Generalplan Ost. Rechtliche, wirtschaftliche 
ınd räumliche Grundlagen des Ostaufbaus’®” 
zeben detaillierte Kenntnis von den Koloni- 
ationsbestrebungen im Ostraum. Nach die- 
‚em Generalplan Ost war eine Siedlungsgren- 
ze vorgesehen, die vom Ladoga-See - Wal- 
lai-Höhe (nordöstlich von Leningrad) über 
Brjansk bis ans Asowsche Meer (nördl. des 
schwarzen Meeres) verlief. 
"Der sog. ’Nahplan’ als eine von zwei ver- 
schiedenen Ausbaustufen befaßte sich mit 
der ’Umvolkung’ der eingegliederten Ostge- 
biete; It. dem für den gesamten Ostraum ge- 
lachten ’Fernplan’ sollte im Zeitraum von et- 
wa 20 Jahren das beherrschte Gebiet weitest- 
gehend eingedeutscht werden.‘ Himmler, 
dem die Planungshoheit für die neuen Sied- 
‘ungsräume als Reichskommissar für die Fe- 
stigung deutschen Volkstums oblag, verstand 
dies gem. dem Schlagwort: „Der Osten ge- 
hört der Schutzstaffel.”°® 
Eine ’Dekomposition’ Rußlands durch 
Förderung der Minderheiten, wie sie den Pla- 
nern des Ostministeriums vorschwebte, kam 
für die Schutzstaffel des Reichsführers nicht 
in Frage. Sie war ohnehin seit der Tätigkeit 
ihrer ’Einsatzgruppen’ im Polenfeldzug be- 
schlagen und erfahren in der radikalen Aus- 
rottung ganzer Bevölkerungsgruppen.®” Nur 
die SS bot den Planern jener Jahre die ’ein- 
malige’ Chance, im zu entvölkernden Gebiet, 
sozusagen ohne die Prämisse ’ortsansässige 
Bevölkerung’ idealtypische Raumpläne zu 
entwickeln. Welches Einsatzgebiet! 
Nicht weniger als 31 Millionen Fremdvölki- 
sche galt es auszusiedeln! Nach den Hoch- 
rechnungen des Generalplans Ost standen 
damit etwa 30 Jahre nach dem Kriege etwa 8 
Millionen Deutschen (aus der SU, aus dem 
sonstigen Europa und aus Übersee) ca. 14 
Millionen Fremdvölkische gegenüber (Wet- 
zel rechnete mit eher 46-51 Millionen Auszu- 
siedelnden). Die ’unerwünschten Elemente’ 
sollten größtenteils nach Westsibirien ver- 
bracht werden, insbesondere alle nicht-ein- 
deutschungsfähigen Polen.® 
Im Gebiet zwischen dem geplanten Germa- 
nenwall (Linie Ladogasee - Asowsches 
Meer) und dem Ural sollten ’befriedete Völ- 
ker’ angesiedelt werden. Jedenfalls war die 
Anlage von Stützpunkten und Flugplätzen so 
vorgesehen, daß der Ural in der Reichweite 
deutscher Fernbomber liegen würde. 
Von den vier geplanten Reichskommissa- 
riaten waren bereits zwei eingerichtet (Ost- 
land und Ukraine), zwei weitere lediglich 
vorgesehen (Kaukasien und Moskau bzw. 
Rußland); zeitweilig kam ein fünftes Reichs- 
kommissariat, ’Ural’, ins Gespräch. „Die 
neuen Generalkommissariate waren bereits 
bis Swerdlowsk und Baku in festen Händen, 
und für die vorgesehenen 1050 (!) Gebiets- 
kommissariate hatten sich schon 261 DAF- 
Funktionäre (Deutsche Arbeitsfront), 144 
SA-Führer und 450 ostbegeisterte Angehöri- 
ge des Innenministeriums vormerken las- 
sen.® 
Ahnlich enthusiastisch gingen auch die 
Technokraten, allen voran Architekten und 
Planer, Bauingenieure und Siedlungsexper- 
ten, ans große Werk des Um- und Neuauf- 
baus im eroberten Osten. Um das vorgegebe- 
ne Ziel, durch die Anlage von Stützpunkten 
das Generalgouvernement und den gesamten 
Ostraum siedlungsmäßig einzukreisen und 
biologisch’ zu erdrücken, erreichen zu kön- 
nen, waren Gefolgsleute vonnöten wie Hans 
Julius Schepers, der als Raumplaner in der 
Regierung des Generalgouvernements die 
Utopien einer völligen Umvolkung der er- 
oberten Gebiete vertrat.‘” Um die totale 
Eindeutschung des Generalgouvernements, 
Estlands und Lettlands innerhalb von 20 Jah- 
ren erreichen zu können’, brauchte ’der 
Osten’ Akteure vom Schlage eines Schepers, 
eines Julius Schulte-Frohlinde. Dieser wollte 
als Leiter des Architekturbüros der Deut- 
schen Arbeitsfront (Robert Leys)” seine 
Bauten ’blutsmäßig’ (welches Paradoxon!) 
mit Heimat und Boden verbinden. Er konsta- 
tierte richtig: 
„Unser Bauschaffen ist äußerer Ausdruck der Gesinnung 
unserer Zeit und unseres Landes. ”’” 
Sicherlich besaß der Raumeroberungs-Nazis- 
mus unter den Architekten nicht nur glü- 
hendste Anhänger, sondern auch eine unge- 
zählte Masse an Mitläufern und ewig Ange- 
paßten. Die meisten Planer — in der Regel 
eben die unpolitischen — entsprachen dabei 
keineswegs dem Idealbild eines ’Kampf- 
bund’-Architekten,” wie es Paul Schultze- 
Naumburg forderte: Er wollte keine „Beimi- 
schung von Flauen und Feigen” in der Partei 
und im Architektenverband haben und keine 
„eingeschlichenen Überläufer und Verrä- 
ter”.”” Das untrügliche Differenzierungs- 
merkmal für freiwillige oder ’genötigte’ Ge- 
folgschaft war die Parteimitgliedschaft in der 
NSDAP. 
Aber selbst ein Protagonist der radikalsten 
Eroberungs- und Versklavungspolitik wie der 
rassepolitische Dezernent im Ostministerium 
und Verfasser der Stellungnahme zum Gene- 
ralplan Ost, Dr. Erhard Wetzel, trug das Stig- 
ma des ’Maikäfers’. So wurden Parteimitglie- 
der der NSDAP genannt, deren Eintrittsda- 
tum der ominöse 1. Mai 1933 war.” Aber 
wieviel Leid und Unrecht haben gerade die 
(angeblich) ’wertneutralen’ Fachplanungen 
in den Planungsstäben der Deutschen Ar- 
beitsfront, der Organisation Todt, der Zen- 
tralbauleitung der SS, der Treuhandstelle 
Ost, des Reichskommissars für die Festigung 
deutschen Volkstums, des Generalgouverne- 
ments, der Umsiedlerzentralen und unzähli- 
gen andern Abteilungen und Ämtern ’pla- 
nend’ geschaffen! Der Bogen spannt sich vom 
Sprengmeister beim Warschauer Aufstand 
bis zum Planungsspezialisten im ’Neuen deut- 
schen Osten’. Gerade angesichts dieses Um- 
standes bleibt es unfaßbar, mit welcher Un- 
verfrorenheit die deutsche Architektenschaft 
nach der ’Stunde Null’ die Hypothek des Fa- 
schismus’ beiseite wischte und vergaß. Denn 
in vergleichbarem Umfang waren nur noch 
Juristen und Ärzte in den Faschismus ver- 
strickt 
Anmerkungen 
1) Benannt nach dem ’Generalinspekteur für das deut- 
sche Straßenwesen’ (für den Bau der Reichsautobahn) 
später des Westwalls. In einem Nachruf der Reichsar- 
beitsgemeinschaft für Raumforschung in der Monats- 
schrift "Raumforschung und Raumordnung’ von Febru- 
ar/März 1942 zum Tode des Reichsministers Dr. Todt 
heißt es: „Der Bau des Westwalls war zugleich die Ge- 
neralprobe für den großen Einsatz der deutschen Bau- 
technik im Kriege...” 
Vgl. „Generalplan Ost. Rechtliche, wirtschaftliche und 
räumliche Grundlagen des Ostaufbaues”, vorgelegt 
von SS-Oberführer, Prof. Dr. Konrad Meyer (-Het- 
ling), Berlin-Dahlem, Juni 1942; vgl. auch Madajczyk, 
Czeslaw: „Generalplan Ost”, Offprint from ’Polish 
Western Affairs’, Vol III No. 2, Poznan 1962. 
Vgl. die ’Grüne Woche Berlin 1934’, die im Zeichen 
von ’Blut und Boden’ stand. Sie stellte „den bäuerli- 
chen Menschen als Träger deutschen Blutes, als 
Grundlage der Zukunft unseres Volkes” dar; vgl. auch 
"Nationalsozialistische Landpost, Hauptblatt des 
Reichsnährstandes’, Jahrgang 1934, Folge 1, 6. Hartung 
(Januar). 
4) Vgl. ’Nationalsozialistische Landpost’, ebda., Hornung 
(Februar) 1934, Folge 6. 
5) Vgl., ebda., Folge 26, Brachet (Juni) 1934, Dr. Kum- 
mer: „Erhaltung, Stärkung und Mehrung des Bauern- 
tums”. 
6) Ebda., Folge 2, Hartung (Januar) 1934. 
7) Vgl. ’Raumforschung und Raumordnung’, Febr./März 
1942. ’Umschau’ zum Tode des Reichsministers Dr. 
Todt, S. 67/8. Der Architekt Albert Speer sollte dessen 
Leistungen als Rüstungsminister noch erheblich stei- 
gem. 
Ebda., Heft 9, 5. Jahrgang, 1941, Dr. Muhs: Nachruf 
auf ’Reichsminister Hanns Kerrl’. 
Schumacher, Rupert von: „Neuzeitliche Raumpolitik”, 
in: ’Reichsplanung, Organ des Hauses der Reichspla- 
nung’, Heft 5, 1. Jahrgang, Mai 1935, S. 130. 
Vgl. auch: Lörcher, Carl Ch. (Architekt, Leiter der 
”Reichsstelle für Raumordnung’ — 1935 und der 
"Reichsstelle für planmäßige Vorbereitung der Neubil- 
dung des Bauerntums’ — 1934), in: ’Reichsplanung’, 1. 
Jahrgang, Januar 1935, „Die Neuordnung des deut- 
schen Lebensraumes als Gemeinschaftsaufgabe”, S. 2 
und in ’Städtebau’ (Gründung durch Camillo Sitte). 
XXIX. Jahrgang, 1934: „Reichsplanung”. 
Schumacher, a.a.O.; 
vgl. auch: Teut, Anna: „Architektur im Dritten Reich 
1933-1945” Ullstein Bauwelt Fundamente, Frankf./M.- 
Berlin 1967, Kap. XII Städtebau, Reichs- und Landes- 
planung, S. 308 ff. 
Ziegler, Gerhard: „Raumordnung als Gemeinschafts- 
aufgabe”, in: ’Raumforschung und Raumordnung’ 
a.a.O. 6. Jahrgang, Heft 2/3, 1942, S. 35; 
vgl. auch: Lemberg, Hans: „Der Drang nach Osten — 
Schlagwort und Wirklichkeit”, in: ’Deutsche im euro- 
päischen Osten, Verständnis und Mißverständnis”, 
Böhlau Verlag Köln, Wien 1976, S. 1-17. 
Vgl. ’Nationalsozialistische Landpost’, a.a.O., Folge 
20, Wonnemond (Mai) 1934: „Reichsführer SS Di- 
plomlandwirt Himmler Führer der deutschen Diplom- 
landwirte”. 
Vgl. Maser, Werner: „Nürnberg, Tribunal der Sieger”, 
Econ-Verlag, Düsseldorf-Wien, 1977, S. 433, Original: 
„Trial of a Nation” Penguin Books Itd., London 1977. 
14) Insbesondere wegen seines nationalsozialistischen, ras- 
sentheoretischen Standardwerks „Der Mythus des 20. 
Jahrhunderts”. Rüdiger, Karlheinz nennt in der Biblio- 
graphie: ’Das Werk Rosenbergs’ den „Mythus” einen 
„Markstein der ... ewigen Deutschheit...”, S. 11. 
Vgl. Artzt, Heinz: „Mörder in Uniform” Kindler Ver- 
lag GmbH, München 1979, S. 175. 
Für Juden war in dem ’neuen deutschen Osten’ kein 
Platz. 
Generalgouverneur Hans Frank am 16. Dezember 
1941 zur ’Endlösung’ in seinem Herrschaftsbereich: 
„Aber was soll mit den Juden geschehen? Glauben Sie, 
man wird sie im Ostland in Siedlungsdörfer unterbrin- 
gen? Man hat uns in Berlin gesagt: ...Liquidiert sie 
selbst.” (IMT, Bd. XXIX, S. 502 f., Ps-2233). 
Sein Fazit am Ende der Judenvernichtung lautete: 
„11.889.822,54 RM für die Vernichtung von ca. 1,5 
Millionen Ungeziefer.” Artzt, Heinz: ’Mörder in Uni- 
form’, a.a.O.; S. 101 
Vermerk vom 30.7.1941 über den Befehl des Reichs- 
führers SS, die Aussiedlungspläne im Distrikt Lublin 
betreffend; 
vgl. Madajczyk, Czeslaw: „Zamojszczyzna - Sonderla- 
boratorium SS”, Warszawa 1979, S. 26-51, S. 1/26-27; 
vgl. auch Poln. Zentralarchiv AGKBZH;. Proces no- 
rymberski, nr. 4, t. 11 Pd syn. 3031, S. 148-150; 
vgl. auch: Mankowski, Zygmunt: „L’action naziste 
d’expulsions et de colonisatıon dans la region de Za- 
mos€ (modele on improvisation)”, Zamose 1972. 
’Bund Artaman’, nationalkonservativer Jugendbund 
mit völkischen Zielsetzungen, vgl. auch Pfingsttagung 
1929 der ’Artamanen’, in: „Blut und Boden”, S. 215; 
aus Bergmann, K. ’Agrarromantik und Großstadt- 
feindschaft’, Meisenheim am Glan 1970, S. 282. 
Als die schlagendste Metapher für das Himmler’sche 
Persönlichkeitsbild mag die Formel gelten: „Konzen- 
trationslager und Kräutergärten”, vgl. Fest, Joachim 
C.: ’Das Gesicht des Dritten Reiches’, S. 161. 
These des amerikänischen Historikers Robert L. Koehl 
in seinem Buch: ’German Resettlement and Population 
Policy 1939 - 1945. A history of the Reich Commission 
for the strengthening of Germandom.’ Harvard Uni- 
versity Press, Cambridge/USA 1957. 
Vgl. Madajczyk: Sonderlaboratorium SS, a.a.O., S. 1/ 
12; 
vgl. auch Protokoll vom 27. - 30.3.1942 über die Ge- 
spräche des Reichsführers SS mit dem Generalgouver- 
neur vom 13./14.3.1942 AGKBZH, IMT XXVI, PS - 
910: 
13) 
a7
	        

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