Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

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beschreiben, zu weit oberhalb oder richtiger: 
außerhalb der Person ansetzen und zu schnell 
mit einem Etikett z.B. „neuplatonisch” 
enden. Lebendiges Werk — NO was sonst 
interessiert — ist aber nicht „gebaute Weltan- 
schauung”, sondern komplex und also viel- 
deutig, bedeutend. Es ist die Aussage, es ent- 
hält sie nicht abstrahierbar. Und Steffann hat 
so die Welt, das Entgegentretende, Ergrei- 
fende nicht mit einem „Programm” konfron- 
tiert, abstrahiert, sondern ganz wahr-genom- 
men. Sein Werk konnte nichts anderes sein; 
komplexes Zeugnis von Wahrnehmung. 
Dahinter steht Steffanns tiefes Vertrauen 
in den Stoff, in die die Gestalt, in das Tun, in 
die sinnliche Wahrnehmung und nicht zuletzt 
in die „Wirklichkeit”. „Alles große und kraft- 
volle Tun kann sich nur auf Wirklichkeit auf- 
bauen” schreibt 1838 Ralph Waldow Emer- 
son”, Und Steffann sagte: „Abstrakte Wahr- 
heit ist für mich unfaßbar, unbegreiflich, 
wenn sie ohne Sinn-Beziehung, ohne Verbin- 
dung mit Sinneswahrnehmung bleibt. ”” 
Günter Rombold und Herbert Muck haben 
über Jahrzehnte an Steffanns Kirchenbauten 
gerade dieses aufgezeigt: „im Gegebenen 
verweilen”, „die Dinge sprechen lassen”. 
„einladen” u.a.® 
Solche Verweise auf sinn-hafte Wahrneh- 
mung und Wirklichkeit riefen in der gemein- 
samen Arbeit mit Emil Steffann zur Basis 
zurück, wenn „Stil” oder „Zeitgeist” zu Plan- 
ungsargumenten mißbraucht wurden. 
Gemeinsame Arbeit am Werk konnte nuı 
getan werden aus dieser unmittelbaren, 
nicht-spekulativen Verständigung über archi- 
tektonische Wirklichkeit. Vor solcher Kon- 
trolle hatten sich auch regionale Bautradition 
oder „Heimatstil” zu bewähren und oft genug 
nicht standgehalten. 
Steffanns Umgang mit der Tradition war 
genau nicht der des Historikers (Bauge- 
schichte als „abstrakte Wahrheit”) oder des 
— heute so verbreiteten — unmündigen 
Denkmalpflegers. Höchste Sensibilität und 
innerstes Verständnis für bauliche Tradition, 
ja Ehrfurcht sind in der Baufibel vielmehr 
Zeugnis einer ganz entwickelten WAHR- 
NEHMUNG. Die vier nebenstehenden 
Fotos, die Steffann — wie viele andere Fotos 
— so zusammenmontiert hat, zeigen ganz 
unmittelbar das allseitige, umfassende, 
umschreitende Schauen als Vorgang des 
Wahr-nehmens. Es ist ein Sich-Einlassen auf 
das dingliche Sein der („regionalen”) 
Erscheinung. 
Es ist evident, daß es solches SEIN ohne 
ORT nicht gibt; es stiftet ihn.” Und „Ort” 
annehmen oder schaffen bedeutet Identifika- 
tion mit dem Ort und durch den Ort. Wer 
baut, geht Bindung mit dem Ort ein. Diese 
Besinnung auf die Wirklichkeit des Ortes fin- 
det notwendig die bauliche Antwort in der 
angemessenen gestalterischen Bindung; sie 
prüft mit Wahrhaftigkeit, schließt aus, nimmt 
aber auch an „als Bestandteile unseres 
Selbst”®”, was Tradition uns vorstellt. Sie ist 
ein untrüglicher Maßstab für „Regionalis- 
mus”. So ist Steffann „Regionalist”. Ohne 
existentielle Annahme des Ortes bleibt der 
lokale architektonische Kanon Dekoration. 
Steffann versucht nicht die Darstellung des 
anonymen lothringischen Bauens, um die for- 
male Nachahmung (Wiederherstellung) zu 
ermöglichen, sondern ursprüngliches Ver- 
ständnis, EINSICHT. 
Daß Emil Steffann sich in ganz persönli- 
cher Weise, in der Weise, in der er den Wert 
der „Person” verstand, im „personare”, hin- 
durchtönen des Geistes”, mit dem Lothrin- 
gen’einließ, das er fand, ist heute noch aus 
den. Reden der alten Leute des Ortes zu 
hören. Und es ist an den Bauten zu sehen, die 
er aus diesem Geiste in Bust errichtete. Als 
Beispiel: Das bekannte — hier auf S. 25 dar- 
gestellte — „Hanghaus” in Bust ist nicht stu- 
pende Erfindung „raffinierter Volkstümlich- 
keit” sondern genaue, sensible Ausdeutung 
des Gegebenen. Das Hanghaus war als städ- 
tebauliches und plastisches Element im Ort 
vorgebildet (siehe Panorämaskizze); es städ- 
tebaulich als „Wachstum der Idee” !® sichtbar 
werden zu lassen und hinter dieser „Selbst- 
verständlichkeit” als Erfinder zurückzutreten 
ist „personare”. Die eigene, souveräne Lei- 
stung zeigt sich in der Qualität von Grund- 
und Aufriß dieses Hauses. 
Emil Steffann hat mit seiner Baufibel auf 
Programm und Kolorit (Motto: „deutsches 
Bauen zeigt sich in lothringischen Baufor- 
men”) verzichtet, und es ist offensichtlich, 
wie dieser Weg über die Qualifikation eines 
„Regionalismus” hinausführt und Stoffe, 
Glieder und Gestalten einer Architektur von 
archetypischer Bedeutung vorstellt. !! 
„Fibeln”, das sind die Elementarbücher 
der Wissensgebiete; sie sind auf Wirklichkeit 
und die Verständigung mit ihr gerichtet, neh- 
men das Gegebene wahr, verweilen darin, 
lassen die Dinge sprechen. Die „Baufibel für 
Lothringen” ist dieses zuerst und damit Stef- 
fanns persönlichste Leistung. Aus seiner exi- 
stentiellen Betroffenheit und seinem ethi- 
schen Maß ist sie darüberhinaus Zeugnis — 
und ein erstes Lehrbuch — eines ganz eige- 
nen, unmittelbaren Zugangs zum Urgrund 
des Bauens. 
Anmerkungen 
I) Ralph Waldow Emerson schreibt 1836 in der Einlei- 
tung zu „nature”: „Warum sollten nicht auch wir eine 
Dichtkunst und Philosophie der EINSICHT statt der 
Überlieferung haben und nicht eine Religion deı 
Offenbarung statt der Geschichte”. (zitierte Ausgabe 
bei Diogenes, Zürich 1982) 
„Emil Steffann”, Düsseldorf 1981, S. 6 
Von Emil Steffann liegt eine Denkschrift vor über die 
industrielle Fertigung von Nothäusern, die er 1945 in 
französischer Internierung — ohne Tisch und Stuhl — 
verfaßt hat. 
Zitiert aus „Die Sonne segnet die Welt” S. 148 bei 
Langewiesche 1920. 
Berichtet von N. Rosiny u.a. in „Kunst und Kirche”, 
Linz, 1/83 S. 12 . 
z.B. Günter Rombold in „Kunst und Kirche”, Linz, 1/ 
835. 22ff 
Christian Norberg-Schulz weist in seinen ausführlichen 
Behandlungen des Themas ORT („genius loci”, Klett- 
Cotta 1982 und „Kunst und Kirche”, Linz 3/83) auf 
Heideggers Formulierungen hin, z.B.: „Die Bauwerke 
holen erst die Erde als die bewohnte Landschaft in die 
Nähe des Menschen und stellen zugleich die Nähe des 
nachbarlichen Wohnens unter die Weite des Him- 
mels.” 
Emil Steffann 1950 Brief zu lübeckischer Denkmal- 
pflege, in „Emil Steffann”, Düsseldorf 1981, S. 72. 
Es sei angemerkt, daß erst diese Haltung zu einer 
glaubwürdigen Denkmalpflege führen kann. 
Emil Steffann 1964, zitiert in „Emil Steffann”, Düssel- 
dorf 1981, S. 25 
Emil Steffann Text „Besinnung”, in „Baukunst und 
Werkform” 3/1957, siehe auch M. Sundermann 
„Gegenüber der Wirklichkeit”, in „Emil Steffann”, 
Düsseldorf 1981, S. 128ff 
Es ist ein geläufiges Mißverständnis, Architektur 
„archetypisch” zu nennen, wenn und weil sie in redu- 
zierten, stereometrischen Bauformen auftritt. Der von 
C.G. Jung aufgedeckte psychologische Sachverhalt 
meint gerade nicht einen formalen Musterkatalog son- 
dern in umfassender Komplexität dieses: Daß die Auf- 
schließung des Unbewußten nur soweit möglich sei, wie 
die sinnliche Welt — an der die Menschheit mitgestaltet 
— die Bilder darbietet, in die das Unbewußte sich I 
jizieren kann. Einfachheit — wesentliche Eigenschaft 
Steffannscher Bauten — ist die erste Bedingung, aber 
Einfachheit in. einem Sinne, den R.W. Emerson 
anspricht. „Die Einfachheit der Natur ist nicht etwas, 
das man leicht ablesen kann, sondern ist unerschö- 
pflich...” op.c. Anmerk. (4. S. 43) 
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