zwischen West und Ost. Wie sollte dabei die
Bestimmung des Regionalen ohne Spal-
tungen auszukommen sein?
Es scheint mir nach alldem, als sei jener Re-
gionalismus, den ich im Hinblick auf Steffann
beschrieben habe, nur ein Teil unseres
Problems. Unser Begriff von Region ist eine
positive Gegenidentifikation gegen unsere ei-
gene Lebenssituation, die Stadt. Positiv des-
halb, weil wir das, was wir heute Region
nennen, früher Provinz geschimpft hätten.
Diese positive Seite trauen wir andererseits
keineswegs allem zu, was zur Zeit noch so
ähnlich wie Landschaft aussieht. In der Land-
karte der regionalen Sehnsüchte kommt
Norddeutschland kaum vor. Der Regionalis-
mus beginnt südlich des Mains. Daß das An-
satzpunkte in der Wirklichkeit hat, ist be-
eits angedeutet. Das eigentliche Problem da-
bei ist eine emotionale Geographie, die im
Norden den Staat ansiedelt, im Süden die
Heimat. Was wir als Regionalismus beschrei-
ben, könnte sich also bei näherem Zusehen
auf eine süddeutsche Teilsituation reduzie-
ren, die nur in trauter Zusammenarbeit süd-
und norddeutscher Vorurteile (Projektion,
Selbsthaß, Trotz) zum Ganzen stilisiert wird.
Seit Goethe und Hölderlin, Schelling und
Hegel wandern die Begriffe nach Norden, die
Sehnsüchte nach Süden.
Eine erste vorsichtige Folgerung wäre, daß
die deutsche Situation nicht nur zwischen
dem archaischen Regionalismus Italiens und
dem aufgeklärten nationalen Regionalismus
der nordischen Länder vermittelt, sondern
auch zwischen diesen beiden Positionen, ohne
deshalb ihnen in den abgespaltenen Hälften
gleichzukommen, zerrissen, hin und hergeris-
sen ist. An diesem Punkt freilich wird das
Nachdenken tastend und provisorisch. Es
wäre jetzt ja allererst der Unterschied des
norddeutschen Regionalen zu bestimmen,
also auch zu sagen, worin ein solcher Re-
gionalismus mehr wäre als bloße Mangelsi-
tuation. Daß das Regionale in den süddeut-
schen Verhältnissen aufgehoben ist, das wis-
sen wir ja bis zur Selbstquälerei: dort ist
Wärme, wächst der Wein, bauen die
Menschen ihre Häuser aus dem Stein der Ber-
ge, unter einem Himmel, der Italien viel näher
Ist, das Dasein hat Platz für den Luxus der
Anmut und des Prallen. Wirkliche Fülle ist im
Norden nicht drin, dieses Zuviel des Über-
Schwangs, das Barocke: Geradlinigkeit und
Ernst regieren stattdessen, Nüchternheit noch
dort, wo es behäbig wird, viel Inwendigkeit
unter den riesigen düsteren Wolkenhimmeln
und Stürmen.
Eine positive Aussagefähigkeit für die
norddeutsche Situation ist seit dem Beginn
der Neuzeit schon nicht mehr gegeben: seit
das Niederdeutsche als Hoch- und Schrift-
sprache ausschied, zugunsten des sächsischen
Kanzleideutschs. Das hat zwar nicht die Bau-
tradition, wohl aber das Bewußtsein von ihr
gebrochen. Die Elemente eines norddeut-
schen Regionalismus müssen wir uns heute
aus den Scherbenhaufen herauslesen. Als. Er-
satz für alles gilt seit je das niedersächsische
Bauernhaus. Das es zur Mutter aller Häuser,
auch der Stadthäuser der norddeutschen
Städte, geworden ist, steht außer Zweifel,
aber bei dieser typologischen Nachweisung
fällt die Hauptsache durch den Rost hin-
durch. Die Hauptsache ist, welches Verhält-
nis von Landschaft und sie bearbeitenden Be-
wohnern dieses für eine ganze Kultur stellver-
tretende Haus darstellt.
Das norddeutsche Haus ruht nicht in der
Landschaft, nicht auf dem Boden. Da alle na-
türlichen Gesteine unter diluvianischem Ge-
röll verschüttet sind, war hier kein Anlaß zu
EOS Verhältnissen und Ilatenten
bergängen zwischen bodenständigem Stein
und daraus gebautem Haus. Das Haus ist sei-
nen Materialien nach Stück für Stück herbei-
geschleppt und an ausgewählter Stelle willent-
lich erbaut. Das wissen die Bewohner. Es gab
keine Täler, in denen man sich den natürli-
chen Platz zum Anbauen suchte. Die Ebene
ist oft so flach, daß erst der Hausbau einen
Anhaltspunkt schafft und damit den Ansatz
von Raum, als Raum um das Haus. Erst das
Pflanzen von Hecken und Bäumen, die Ver-
doppelung des Hauses durch Mauern, Katen,
Scheunen schuf hier einen umschlossenen
Raum, Raum zwischen etwas, statt der un-
endlichen Weite des Himmels und der Erde.
Holz, Lehm und Stroh waren die Materialien,
erst in der Neuzeit Backstein. Statt im Gefüge
der Landschaft zu ruhen, müssen diese
Häuser sich gegen den Wind behaupten, sie
sind deshalb breit, schwer, wie festgepflockt.
Die Grundform ist der Solitär: das allseitig
freistehende Allhaus. Das drückt die Raum-
funktion aus (in Süd- und Mitteldeutschland,
wo die Gebirge den Raum vorgeben, wieder-
holen die Häuser die Vorgabe in der fränki-
schen Hofform). Die Häuser sind erst die ei-
gentlichen Taktgeber und müssen die Land-
schaft zur Reaktion zwingen. Die Ordnung
der Ebene ist eine Ordnung der Wege von
Haus zu Haus, so wie das heute in Westfalen
noch zu erlaufen ist. Heimatlichkeit entsteht
aus der Ausbreitung des Hauses, aus dem
Häuslichwerden der Landschaft, nicht, wie
im Süden, aus der Landschaftlichkeit des
Hauses.
Eine Traditionslinie wie in Dänemark ist in
Norddeutschland, der anderen Verhältnisse
wegen, nicht zu erwarten. Trotzdem hat sich
eine verwandte Hausvorstellung durch alle
historischen Umwälzungen in den Bauvor-
stellungen erhalten und wäre, wenngleich auf
einer noch luftigeren Ebene der Vermittlung
des Regionalen als im dänischen Modell, an
zahllosen Einzelbauten nachzuweisen, in re-
gionalen Einzeltraditionen Mecklenburgs,
Holsteinns, Frieslands, der Ostseeküste usw.
Das kann hier nicht die Absicht sein. Es soll
hier nur nahegelegt werden, daß das Form-
problem des Neuen Bauens sich recht anders
ausnimmt, wenn man es nicht als Wider-
spruch gegen regionales Bauen am gleichen
Ort betrachtet, sondern auf dem Hintergrund
eines gescheiterten , aber latent in den Bau-
vorstellungen vorhandenen norddeutschen
Regionalismus.
Wo der süddeutsche Regionalismus, unab-
hängig von den verschiedenen Haustypen ein-
zelner Regionen, das Haus in Kontinuität und
Kooperation mit der Landschaft baut, ist das
Thema des norddeutschen Hauses (das einer-
seits nicht im niedersächsischen Typ aufgeht,
nicht einmal in deutschen Haustypen, son-
dern vom friesischen Krüselwark bis zum
wendischen Blockhaus reicht und sich in zahl-
reichen Regionen spezifisch nach Land-
schafts- und Klimabedingungen wie nach Ei-
gentums- und Erbfolgeverhältnissen ausge-
bildet hat) auf der allgemeinsten Vorstel-
lungsebene die Autonomie gegenüber der
Ebene, die von der Urerfahrung ausgeht, sich
das Haften am Boden, Windschutz, Klein-
räumlichkeit, Binnenraum, alles das, was in
Gebirgsgegenden dem Bewohner bereits fer-
tig vorliegt, selber schaffen zu müssen. Nur
auf diesem Traditionsboden war die Autono-
mie der Form mit der Schärfe zu denken, wie
das J.J.P. Oud und Mies van der Rohe getan
haben. Nur hier, weil hier beides zusammen-
kam, eine uralte Autonomieerfahrung, der
das Haus das erste ist und nicht die Antwort
auf Vorhandenes, und zugleich die Brechung
der regionalen Kontinuität durch ein äu-
ßerstes Maß an Verstaatlichung der Bautra-
dition, an Verselbständigung gegenüber dem
traditionellen Haften am Boden. Von den
Sehnsüchten Bruno Tauts nach vulkanischen
Tiefen und mütterlicher Umfassungswärme,
nach Mauer und Scholle, ist bei Mies nichts
zu spüren.
So gesehen, hat der Autonomieanspruch
des norddeutschen Hauses den Untergang des
Regionalismus norddeutscher Prägung gera-
dezu programmiert. Noch die barocken
Haustypen der diversen Staatsarchitekturen
gingen mit der alten Hausmasse um, produ-
zierten die Sekundärgebirge des neuzeitlichen
Speicherdaches, dank dessen bzw. der zu-
grundeliegenden Erfindung des Dachstuhls
jene Voluminosität allererst entstand, die wir
heute leichtfertig mit dem Bild des nieder-
sächsischen Hauses assoziieren. Tatsächlich
ist dieses Volumen bereits ein Untergangs-
zeichen: einerseits ökonomische Expansion
aufgrund verbesserter landwirtschaftlicher
Methoden, andererseits Aufnahme städti-
scher Massigkeit und Formenfülle. Daß sich
Schlaun, der so viele Adelssitze entworfen
oder modernisiert hatte, ein Landhaus gerade
in dieser Form des modernen voluminösen
Bauernhauses baute, ist keine Kuriosität,
sondern die authentischste Aussage über die
4