Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

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links und unten: Plan und Luftbild Freudenstadts 
vor dem zweiten Weltkrieg 
rechts: Zerstörungsplan, totalzerstört (weiß): ins- 
gesamt 670 Häuser, die gesamte Innenstadt 
erhalten bzw. beschädigt: 55% der gesamten 
Bebauung 
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Wände des großen Platzes. Schweizer dage- 
gen, wohl angeregt durch das aus dem Barock 
erhaltene Pfarrhaus neben der Kirche, das ein 
Walmdach hat, wählte zusammenhängende, 
traufständige Häuser, die dem Hang entspre- 
chend abgetreppt sind. Die Platzwände 
wirken dadurch geschlossener, die Raum- 
bildung ist eindeutiger als bei einer Zickzack- 
Silhouette von Giebelhausreihen, die Raum- 
wirkung wird durch die Erhöhung der 
Geschosse von zwei auf drei an drei Seiten 
gesteigert. Die Vorkriegsbauten hatten Arka- 
den zum Teil mit Bogen, zum Teil mit geraden 
Stürzen. Da die neuen Bauten aus Mauer- 
werk bestehen sollten, wurden Bogen ge- 
wählt, die bei 4 m Spannweite leicht gemauert 
werden könnten und der gesamten Fassaden- 
fläche mehr „Fleisch“ geben würden. Das 
Barockhaus und die Kirchenarkaden haben 
ebenfalls gemauerte Bögen auf Sandstein- 
säulen mit Kapitellen. 
Durch Umlegungen wurden die stark 
zergliederten und kleingeteilten Häuserzeilen 
vereinfacht. Dabei wurde die Zeilentiefe mit 
12 m festgelegt, ebenso wurden innenliegende 
Bäder und Toiletten vorgeschlagen, um die 
zum Teil sehr schmalen Fassadenflächen für 
Wohn- und Schlafräume freizuhalten. Dies 
bedurfte allerdings einer Anderung der 
Baugesetze des Landes. 
Die Hausbreiten wurden nicht vereinheit- 
licht, sondern ergaben sich aus den Flächen- 
ansprüchen, die den Besitzern aus ihren 
Vorkriegshäusern errechnet wurden, d.h. es 
entstanden ganz unterschiedliche, nach kei- 
nem Maßsystem regulierte Hausbreiten zwi- 
schen 5,5 und 14 m. Dazu mußte aber für 
jedes Haus zur Umlegung mit den Bauherren 
ein Grundriß entworfen werden. Die unglei- 
chen Hausbreiten ergaben dann ungleich 
weite Arkadenbögen und ungleiche Fenster- 
aufteilungen. Einheitlich war das Motiv der 
Arkaden, die Geschoßhöhen (drei Seiten 
dreigeschossig, die vierte, zum Schwarzwald 
hin tiefer gelegene Westseite zweigeschossig), 
zwei Fenstergrößen und die Dachhöhen mit 
einer Biberschwanzdeckung aus rechteckigen 
Ziegeln; aber jedes Haus als Teil seiner Zeile 
wurde individuell mit den einheitlich fest- 
gelegten Elementen ausgebildet. 
Es gibt kleine Sprünge in den Zeilen, 
Eckbetonungen durch Erker, sonst aber längs 
sich ausbreitende Flächen der Häuserzeilen. 
Arkade, Geschoßfenster und Dach mit 
Giebeln sind drei übereinanderliegende Zo- 
nen, die im Laufe der Planung immer mehr als 
durchgehende, voneinander unabhängige 
Bänder entwickelt wurden, die nicht axial in 
der Senkrechten aufeinander bezogen sind 
und die Wand durch Symmetrien teilen 
würden. So sind in den meisten Fällen die 
Arkadenfelder nicht auf die darüber liegen- 
den Fenster ausgerichtet und diese nicht auf 
die Dachgauben. Die Wirkung ist eine 
Kontinuität der Platzwand bei einem Reich- 
tum an Abwechslung, der die einfachen 
Architekturformen nicht stur werden läßt. 
Die Verhältnisse zwischen Mauerfläche und 
Fenster, zwischen Dachfläche und Dach- 
gauben sind aber nicht beliebig, sondern 
folgen dem Prinzip der Vorherrschaft der 
Flächen vor den Öffnungen, das sich bei den 
Arkaden umkehrt. Die Vorherrschaft der 
Flächen wird durch die unregelmäßige 
Verteilung der Öffnungen noch gesteigert. Es 
entsteht eine geplante Improvisation mit einer 
geringen Zahl von Elementen. 
Im Sinne Wetzels wurde das barocke Plan- 
schema der Stadtanlage weiter bereichert: 
drei der Ausfallstraßen bilden Straßen- 
fluchten, die nach ungefähr 150 m durch 
quergestellte Bauten räumlich abgeschlossen 
werden, wohl aber eine eindeutige Weiter- 
führung der Straße anzeigen. Kommt man 
von außen in die Stadt, so haben diese 
Straßenfluchten geringe Verengungen, die 
Zeilen bilden Köpfe am Eingang auf den 
Marktplatz, ergeben also Torsituationen. 
Dem viel zu hohen Postgebäude auf dem 
Platz wurde das Stadthaus so gegenüber- 
gesetzt, daß dieses die Straßenbilder von den 
Einfallstraßen her berherrscht und einen 
plastischen Angelpunkt im Platze bildet. 
Ob man die Form der Architektur mag 
oder nicht, es ist ein geschlossenes Bild 
entstanden, das mit einfachen Baumethoden 
und geringem finanziellem Aufwand inner- 
halb von viereinhalb Jahren von ungefähr 10 
Architekten ausgeführt wurde; die Schwie- 
rigkeit war allerdings, daß diese nicht 
denselben Hintergrund und auch nicht 
dieselben architektonischen Absichten hatten 
wie der Stadtbaurat, der den Entwuri 
gemacht hatte. 
Wie verlief aber die Durchführung des 
Entwurfs, wie war sie möglich? 
Innerhalb eines halben Jahres wurde der 
Entwurf der einzelnen Häuser mit ihren 
Fassaden von Ludwig Schweizer festgelegt. 
Das garantierte aber nicht das Verständnis 
der übrigen Architekten, die nach Aussagen 
ihres Stadtbaumeisters weitere Varianten 
hätten einbringen können, aber eben inner- 
halb der vorgegebenen Prinzipien im Sinne 
einer Bereicherung oder Verfeinerung. Als 
erster Bau entstand das Modehaus Hengelan 
der Nordseite des Platzes. Der Architekt 
reichte einen Plan zur Genehmigung ein, der 
im Ganzen den Vorgaben entsprach, der abeı 
in den Feinheiten der Proportionen und der 
Details vom Stadtbaurat beanstandet wurde. 
Daß Bauherr und Architekt sich sehr ungern 
an das Vorbild hielten, war offensichtlich 
gewesen. Daher beauftragte der Stadtbaurat 
seinen Bauleiter, bei Baubeginn nachzusehen, 
nach welchen Plänen gearbeitet wurde: es 
waren gänzlich andere. Daraufhin schrieb der 
Stadtbaurat das gesamte Bauwerk in allen 
Einzelheiten unter großem Protest der 
Betroffenen vor. „Die Diktatur ist ja 
schlimmer als unter Hitler“, war ihr Aufbe- 
gehren. Das war aber der einzige große 
Ausbruchsversuch geblieben. Der Stadtbau- 
rat brachte Musterblätter heraus, da die 
Architekten „ja keine Erker, Arkadenbogen 
oder Dachgauben machen können“. Details 
1:1 mußten für den Bau vom Stadtbaumeister 
unterschrieben sein. Ebenso hart blieb er 
gegenüber Versuchen, Neonreklame an Fas- 
saden oder Dachfirsten anzubringen. Schrift- 
züge auf dem Putz, unterstützt von einem 
Steingesims, mußten genügen, zum Vorteil 
des Raumbildes. 
Der Druck auf die Bauherren war möglich, 
da die Bauherren zum Bau selber keinen 
Pfennig Geldes beitragen konnten und die 
Bauten nur über ein einfallsreiches Finan- 
zierungs- und Stiftungssystem möglich wur- 
den. Zudem war der größte Teil der Bebauung 
durch das Evangelische Hilfswerk errichtet 
worden, also in einer Hand geblieben. 
Ludwig Schweizer bestand immer darauf, 
daß er nicht zur Verwaltung eines Wieder- 
aufbaus, sondern zum Wiederaufbau nach 
Freudenstadt berufen worden sei, und das 
hieß, nicht als Stadtbaureisendser, sondern 
als ortsansässiger Mitwirkender. Handwer- 
ker und Architekten wollten nichts Kompli- 
ziertes, nur Geld verdienen und dann 
weglaufen. Die Ladenbesitzer wollten nichts 
Überflüssiges: Arkaden nehmen 3 m von der 
Erdgeschoßtiefe weg. Hier half nur die 
Überzeugung: wenn wir egoistisch bauen und 
damit keine Stadt mit Atmosphäre zustande- 
bringen, wird Freudenstadt seine Gäste 
verlieren, das gilt für die Stadt wie für jeden 
Laden und jedes Restaurant. Der Stadtbaurat 
hat Recht behalten. 
Wenn heute langsam Veränderungen an 
der Erscheinung der Bauten stattfinden, so 
geht es bei der Kritik daran Ludwig 
Schweizer, der im Ruhestand in Freuden- 
stadt wohnt, nicht darum, daß nichts Neues 
mehr gemacht werden dürfte; aber „genauso, 
wie ich Schickhardt in meinen Plan einbezo- 
gen habe, sollten auch die nachfolgenden 
Architekten die von mir gebauten Häuser mit 
einbeziehen. Wenn eine Hausform so entwor- 
fen ist, daß sie nur mit Sprossenfenstern in 
ihrer Gestalt stimmt, dann kann man nicht die 
Sprossen herausreißen, ohne die gesamte 
Form zu zerstören. Aber man kann natürlich 
eine Architektur mit Fenstern ohne Sprossen- 
teilung machen.“ 
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