mäßigen Scheihbengrößen bewirkten die Ent-
wicklung unterteilter Fenster mit Blei- oder
Holzsprossen. Aber schon Mitte des 18. Jahr-
hunderts gab es böhmische Scheiben von
70/80 cm, die jedoch für einfache Bürger- und
Bauernhäuser noch zu teuer waren. So war
die Fenstersprosse bis weit über die Mitte des
19. Jahrhunderts ein technisch unvermeidba-
res Element. Nur wer es sich leisten konnte,
kaufte damals große Scheiben.
Heute ist die Situation umgekehrt. Die An-
zahl der Fenstersprossen läßt direkte Rück-
schlüsse auf die Finanzkraft des Hausbesit-
zers zu, denn technische Hindernisse bezüg-
lich der Fenstergröße gibt es im Wohnungs-
bau heute überhaupt nicht mehr. Dagegen
müssen beim Bau eines Sprossenfensters al-
ter Machart heute viele Schreiner passen. Auf
Anraten der Berufsgenossenschaft haben vie-
le ihre alte Fräsen verschrottet. Jetzt produ-
zieren die meisten Normprofilfenster mit Lip-
pendichtung nach Rosenheim. Gibt es unter
diesen Gesichtspunkten noch Argumente für
ein unterteiltes Fenster?
Tessenow schreibt in: „Wohnungsbau“,
1927: „Die Sprossen schaffen, wenn auch nur
in geringerem Maße als die Gardinen, eine
Art Vermittlung zwischen heller Fensterflä-
che und umrahmender dunkler Wandfläche,
so daß man von einem Fenster mit reicher
Sprossenteilung von einem ”’gemütlichen’
Fenster spricht“. Oder Hermann Muthesius
in: „Wie baue ich mein Haus?“, 1917: „Es ist
zweifellos richtig, daß ganz große Scheiben
ihre Vorzüge haben. Trotzdem läßt sich nicht
leugnen, daß in der äußeren Erscheinung des
Hauses eine Sprossenteilung der Fenster fast
immer eine bessere Wirkung ergibt. Die sonst
schwarzen Fensterlöcher werden durch
Sprossen belebt. Der Flächengedanke der
Wand wird durch das Webwerk der Verspros-
sung gleichsam über das Loch hinweggeführt.
Das ganze Haus erhält dadurch etwas Ge-
schlossenes und dabei Anheimelndes“.
Ich bin mir sicher, wir würden uns bei der
Argumentation heut noch schwerer tun.
Fenster sind für die Gestalt eines Hauses
zweifellos ausschlaggebend, aber ist es zu-
lässig, dafür feste Regeln per Gestaltungssat-
zungen festzuschreiben? Carlo Scarpa fügte
ohne direkte Anlehnung an Traditionen ein.
Bei einer vorhandenen Satzung wäre dies
wahrscheinlich ausgeschlossen gewesen.
Die hastig und oft lieblos errichteten
Wohnhäuser der Nachkriegsjahre haben
einen neuen Konservativismus provoziert.
Der unglaubliche Bewahrungs- und Restau-
rierungseifer bezeugt es, aber zugleich auch
seine Schwäche:
„Daß es eine ganz niedrige Stufe der Ach-
tung vor der Geschichte bedeutet, wenn man
sie nachmacht, sei nur angedeutet“, schreibt
Theodor Fischer hierzu?.
Neue Häuser müssen ihre Zeit ausdrük-
ken - heißt es. Und die heutigen Bauernhäu-
ser tun dies ebenso wie ihre Vorgänger. Man
kann an ihnen deutlich den Stand handwerk-
lichen und gestalterischen Könnens ablesen.
Nur wir mögen sie nicht.
Denn die Hand hat sich zu weit vom Werk
entfernt, und die Gestalt ist nur noch ein Aus-
druck technischer Notwendigkeiten. Soll nun
die Gestalt unserer Häuser geändert werden,
dann muß zuerst das wegrationalisierte hand-
werkliche Kunstempfinden wieder entwickelt
werden. Eine Gestaltungssatzung ist mit
Sicherheit kein probates Mittel, ’künstle-
risches Empfinden’ in den ökonomischen und
technischen Sachzwängen gehorchenden
Bauprozeß zurückzubringen.
Ebenso habe ich Skrupel, die Gestaltungs-
freiheit per se einzuschränken, obwohl die Ei-
genentwicklung der Städte und Dörfer zum
Himmel schreit. Regelungen der Hausgestalt
scheinen unumgänglich. Solche Regeln
müßten sowohl die architektonische Konti-
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Abb. 33. Falsche Fenstermischung Abb. 34. VerschiedeneFensterformen
Fenster mit Blei- und Holzsproßen aus dem
"hessischen Hinterland ”
nuität eines Ortes garantieren, als auch den
Ausdruck der Gegenwart ermöglichen.
Durch schriftliche Festlegung allein kann dies
nicht erreicht werden. Auch die Kontrolle ge-
stalterischer Regeln durch die Bauaufsicht ist
schwer vorstellbar. Gestaltung aus einer Sum-
me von Regeln ist unmöglich. Es kann sich
daher nur darum handeln, daß eine oder
mehrere in die Verantwortung genommene
Personen sich bei der Begutachtung von Pro-
jekten einer Satzung bedienen. Die Person ei-
nes Gestalters, die auf jede Einzelsituation
speziell eingeht, wird sich kaum durch eine
allgemeingültige Satzung ersetzen lassen. Die
toskanischen Städte, Paradebeispiele ge-
lungener Stadtbaukunst, sind auch kein Pro-
dukt des Zufalls. Die Städte bestimmten ab
Mitte des 13. Jahrhunderts die Gestaltung al-
ler Straßen, Hausfassaden und Plätze durch
Bauausschüsse oder Baumeister. Jegliche
Baumaßnahme war genehmigungspflichtig.
Das Wissen des Baumeisters über die Gestalt
war Regel und Satzung?. Die Ausschüsse hat-
ten alle Maßnahmen zu treffen, die zur
„Schönheit“ der Stadt gereichten. So durften
auch keine Häuser eingerissen werden, um
das Baumaterial zu verkaufen. Man wollte
durch diese Maßnahme die „Entstellung des
Stadtbildes“ verhindern. Material wurde als
gestalterische Konstante betrachtet. So fin-
den sich unter den überlieferten Regeln viele,
die heute noch Gültigkeit haben könnten.
Die Gemeinden müssen wieder lernen,
durch personellen Einsatz die „Schönheit“
ihrer Städte vor Verunstaltung zu schützen
ohne jedoch neuen Architekturausdruck zu
unterdrücken. Eine Satzung alleine könnte
vielleicht Mißgriffe verhindern, aber ebenso
auch neue Impulse. Ihr eigentlicher Sinn soll-
te vielmehr ein Spiegel des aktuellen Archi-
tekturempfindens sein.
Es ist daher unumgänglich eine Gestal-
tungssatzung, wie hier für Friebertshausen, in
folgende Punkte zu unterteilen:
1) Erhalten und Wiederherstellen historischer
Bausubstanz
2) Gestaltungsvorschläge für die bessere Inte-
gration bestehender Neubauten in die histori-
sche Dorfanlage
3) Gestaltungsregeln für geplante Neubauten
hinsichtlich Materialverwendung, Hausform
grafischer Erscheinung und Farbgestaltung.
Dieser dritte Teil einer Satzung ist mit Si-
cherheit der schwierigste und umstrittenste
Teil.
Regeln für die Gestaltung von Neubauten las-
sen sich nur unter Vorbehalt aus überkom-
menen Bausubstanzen ziehen. Die Bearbei-
tungsweisen von Baumaterialien (z.B. Schie-
fer, Feldbrandsteine, handgestrichene Dach-
ziegel) prägten die Grafik alter Häuser so
„ nachhaltig, daß heute jeder Versuch einer
2 Imitation mit Ersatzstoffen scheitern muß.
* Auch in Friebertshausen scheidet diese
Möglichkeit aus. Es geht also um die Formu-
lierung eines neuen Architekturausdrucks,
der auf historische Umgebungen eingeht und
antwortet.
Diese These schein banal, schwer aber
einzulösen zu sein. Denn die Probleme von
heute liegen in der Unsicherheit der Aus-
drucksfindung. Sie, und niemand anderes
provozieren die Suche nach historisch herge-
leiteten GESTANDEN REIN: die in einer Über-
gangsphase ihre Berechtigung haben können,
aber auch nur dort.
Literaturnachweis
Otto Völckers: Fenster mit oder ohne Sprossen? Deutsche
Libbey-Owens-Gesellschaft für maschinelle Glas-
herstellung AG Gelsenkirchen-Rotthausen 1949
Theodor Fischer: Altstadt und Neue Zeit Referat auf der
Tagung für Heimatschutz und Denkmalpflege 1928
gg Augsburg 1931
5 Wolfgang Braunfels: Mittelalterliche Stadtbaukunst in der
L Toskana Gebr. Mann Verlag, Berlin 1953
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