Harald Bodenschatz, Johannes Geisenhof
Stadtbaugeschichte
im Stadterneuerungsprozeß
Das Beispiel Ellingen
Daß der Umgang mit dem vorhandenen Ort
auch die Vergegenwärtigung der lokalen
Stadtbaugeschichte erfordert, ist unter den
„behutsamen“ Planern der 80er Jahre kaum
mehr umstritten. Mit dem Blick in die Ver-
gangenheit wird der vorgefundenen Pla-
nungsmaschine, die die Dörfer, Städte und
Regionen mit ungleicher Geschichte kate-
gorial („zentrale Orte“, „Schwerpunkte“
usw.) zu homogenisieren und die den Umgang
mit dem konkreten Ort durch den Griff in die
statistische Datenkiste zu ersetzen drohte, ein
neuer Anspruch entgegengestellt. Die prak-
tische Einlösung dieses Anspruchs stößt
allerdings nicht nur auf die Barrieren der
Planungsmaschine, sondern auch auf das
Glatteis konzeptioneller Unklarheiten: Wel-
che Bedeutung hat der Blick in die Stadt-
baugeschichte, wie ist diese Geschichte zu
interpretieren, welche praktischen Konse-
quenzen folgen aus ihr? Wir haben versucht,
als Planer am Beispiel einer Altstadterneue-
rung in dem mittelfränkischen „Kleinzen-
trum“ Ellingen erste Antworten auf diese
Fragen zu geben. Eine Strategie der Rekon-
struktion der Stadtbaugeschichte vor Ort
muß - so unsere Meinung - auch zu einer
veränderten Vorbereitung der Stadterneue-
rung führen.
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Z unächst einige Worte zu unserem Bei-
spielort. Ellingen ist eine kleine Stadt mit
etwa 3000 Einwohnern, von denen rund 600
in der Altstadt wohnen. Sie liegt 50 km
südlich von Nürnberg und nur zwei km
nördlich der ehemaligen Freien Reichsstadt
Weißenburg i.Bay. Ellingen hat im Gegen-
satz zum größten Teil des Umlands eine
katholische Tradition und war bis 1787 Sitz
der Deutschordenverwaltung der Ballei Fran-
ken. Heute besitzt im Stadtrat die CSU die
absolute Mehrheit. Im Zentrum der Altstadt
verzweigten sich bis vor kurzem die beiden
vielbefahrenen Bundesstraßen B2 Nürnberg-
Augsburg und B13 Würzburg-Ingolstadt. Mit
der Fertigstellung einer Umgehungsstraße
1979 wurde der Durchgangsverkehr der
Bundesstraßen aus der Altstadt herausge-
nommen. Damit war eine wichtige Vorausset-
zung gegeben, an eine Stadterneuerung zu
denken. Dies war gleichzeitig der Ansatz-
punkt unserer Tätigkeit in Ellingen. Wir
begannen im Herbst 1978 ein Studienprojekt
„Stadterneuerung Ellingen“ an der TU Berlin,
dessen Ergebnisse - knapp zusammengefaßt -
eine Ausstellung vor Ort mit Katalog und ein
Altstadtbuch waren. Nach Abschluß des
Studienprojektes beauftragte die Stadt Ellin-
gen unser Planungsbüro mit den „Vorberei-
tenden Untersuchungen“ nach $ 4 StBauFG,
die Ende 1982 abgeschlossen waren. Diese
Arbeit führten wir zusammen mit Praktikan-
ten, die vorher am Studienprojekt teilnah-
men, durch.! Seit Sommer 1983 ist die erste
größere Erneuerungsmaßnahme in der
Durchführung. Die konzeptionellen Voraus-
setzungen dieser Planertätigkeit, soweit sie
die oben aufgeworfenen Fragen betreffen,
sollen im folgenden thesenartig vorgestellt
werden.
These 1: Stadtbaugeschichte kann nur im
Zusammenhang und als Ausdruck der allge-
meinen Geschichte einer Stadt begriffen
werden. Demgegenüber tendiert eine isolierte
Betrachtung der Entwicklung des Städtebaus,
wie sie im Zuge der Professionalisierung
dieser Disziplin zu Beginn dieses Jahrhun-
derts bei Stadtingenieuren wie Stadtbau-
künstlern Verbreitung fand, zu einer Über-
betonung der funktionellen bzw. ästhetischen
Form auf Kosten der historischen Nutzung,
wobei die Form zumeist nur kategorisiert,
also beschrieben wird, nicht aber in ihrer
historischen Bedeutung analysiert wird.
Die beiden Fremdenverkehrsparolen der
Stadt Ellingen - „Ellingen, Perle des mittel-
fränkischen Barock“ und „Ellingen, Stadt des
Deutschen Ordens“ - können diese Problema-
tik vielleicht etwas deutlicher machen. Sicher
ist es wichtig, die Dominanz eines bestimm-
ten Stils in einer Altstadt zu betonen. Für
Ellingen ist dies der sog. Ellinger Barock aus
der Zeit zwischen 1700 und 1780, der heute
noch das Stadtbild prägt. Auf diese Jahre
gehen nicht nur die großen Monumente wie
Deutschordensschloß, Stadtpfarrkirche, Rat-
haus und Orangerien zurück, sondern auch
zahlreiche Ackerbürger- und Hofbeamten-
häuser. In diese Zeit fällt auch die Anlage der
„Neuen Gasse“ südöstlich des Schlosses.
Diese von Matthias Binder geplante Stadt-
erweiterung aus den Jahren 1760-70 ist ein
sehr gut erhaltenes Beispiel spätbarocken
Städtebaus. Die Neue Gasse bricht mit der
Tradition der krummen Straßen und ist eine
völlig planmäßig angelegte Stichstraße mit
relativ schlichten Reihenhäusern. Die Ge-
bäude sind sehr einheitlich, ohne jedoch
monoton zu wirken: zweigeschossige Man-
sarddachhäuser mit meist fünf Fensterach-
sen - in der Mitte Eingangstür und Vor-
treppe - und mit gleicher Geschoß- wie
Traufhöhe. Die Vortreppen gliedern den
Straßenraum.
Der mit dieser kurzen Darstellung ange-
deutete Typ einer stilgeschichtlichen Be-