Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

links: Historische Ansicht von Stadt und Schloß 
mit geplanter, nie realisierter barocker Gartenanlage 
südlich des Schlosses. (aus: Ellinger Altstadtbuch, 
1982, S. 105) 
linke Seite: Die Altstadt Ellingen nach einer 
Zeichnung von Josel Lidl, um 1968: 1. Deutsch- 
ordensschloß, 2. Neue Gasse, 3. Kreuzung mit Rathaus, 
4. Schloßpark, 5. ehem. Synagoge 
trachtung des Städtebaus begnügt sich mit 
der sicher notwendigen Benennung von Bau- 
meistern und Baudaten, mit der Beschreibung 
der Form von Gebäuden und Straßen, von 
Schmuckelementen, mit der Angabe des Bau- 
materials. Achsen, Dachfluchten, Perspek- 
tiven usw., die Suche nach guten Verhält- 
nissen von Bauelementen bestimmen die 
städtebauliche Diskussion dieses Typs. 
Die zweite Fremdenverkehrsparole Ellin- 
gens („Stadt des Deutschen Ordens“) könnte 
mehr bedeuten als eine letztlich unhistori- 
sche Fremdenverkehrsvermarktung. Der 
Deutsche Orden ist Ausgangspunkt und 
Bestimmungsfaktor der gesamten Stadtent- 
wicklung bis 1787, er beherrschte diese Stadt, 
lebte auch von den Abgaben dieser Stadt und 
bestimmte ihre städtebauliche Gestalt. Ganz 
anders als die nahegelegene Freie Reichs- 
stadt Weißenburg bleibt Ellingen bis Ende des 
18. Jahrhunderts eine feudale Residenzstadt. 
Der Gemeinderat der Stadt Ellingen stand 
unter der Oberleitung, der Kuratel des 
Deutschen Ordens, der alle, selbst polizei- 
liche Anordnungen erließ, so daß Bürger- 
meister und Rat nur eine sehr beschränkte 
Amtsgewalt hatten - ihnen blieb lediglich die 
Überwachung der Durchführung der gegebe- 
nen Anordnungen. 
Wie drückt sich nun die Herrschaft des 
Deutschen Ordens städtebaulich aus? 
Zunächst ist hier das 1715-20 nach Plänen 
von Franz Keller erbaute Schloß zu nennen, 
eine Vierflügelanlage mit trapezförmigem 
Innenhof, deren Dimension die üblichen 
Größenverhältnisse der Stadt bei weitem 
sprengte: Die Fläche der Anlage entspricht 
etwa einem Drittel der gesamten Altstadt- 
fläche. Das Schloß richtet seine dreigeschossi- 
ge, hohe Hauptfront nach Süden, gegen die 
evangelische Freie Reichsstadt Weißenburg 
und gegen die Wülzburg der evangelischen 
Markgrafen von Ansbach, es zeigt noch heute 
das einstige politische Spannungsfeld in 
dieser Region. Diese Frontstellung hat 
durchaus etwas Bedrohliches: Der durch die 
Vertikalbewegung der Risalite betonte kom- 
pakte wehrhafte Charakter mit der helmför- 
migen Bedeckung der Eckpavillons erinnert 
an die kriegerische Tradition des Deutschen 
Ordens. Über dem Hauptportal steht der 
Kriegsgott Mars. Besonders das Entwurfs- 
modell mit dem aus Geldmangel nicht ausge- 
führten überhöhten Kirchenflügel im Hinter- 
grund zeigt deutlich die geplante Droh- 
gebärde nach Weißenburg und zur Wülzburg 
hin. Dagegen interpretiert die stilgeschicht- 
liche Betrachtung etwa in dem entsprechen- 
den Band der Kunstdenkmäler Bayerns (von 
1932) die Ansicht des Schlosses ohne Berück- 
sichtigung der politischen Verhältnisse und 
Konflikte der Zeit vor dem Baubeginn als 
malerisch. 
Zweites Beispiel: die bereits erwähnte Neue 
Gasse. Mit der Bebauung der Grundstücke 
der Neuen Gasse wird in Ellingen ein neuer 
Straßentyp eingeführt: die räumliche Zusam- 
menfassung reiner Wohnhäuser ohne land- 
wirtschaftliche Räume und Nebengebäude. 
Diese Häuser wurden von Beamten und 
Bediensteten des Deutschen Ordens gebaut, 
die keiner landwirtschaftlichen Tätigkeit 
nachgingen. Nachgewiesen sind z.B. ein Hof- 
bäcker, ein Hofkonditor, ein Hofschreiber, 
ein Hofschneider. Die relativ rasche Durch- 
fürhung der Baumaßnahmen innerhalb von 
10 Jahren, die die Einheitlichkeit der Neuen 
Gasse sicherte, war auch der Ökonomie dieser 
Anlage geschuldet. Die beamteten Bauherren 
bekamen ihre Baugrundstücke unentgeltlich 
vom Deutschen Orden - an dieser Stelle war 
früher ein Graben. Weiter wurde vom 
Deutschen Orden eine zehnjährige Steuer- 
freiheit zugesichert und Kapital zu dem 
niedrigen Zinssatz von 2 1/2% sowie Bauholz 
zur Verfügung gestellt. Damit setzt dieser Typ 
von Stadterweiterung die Existenz einer 
Schicht von Hofbeamten, eine feudale Klein- 
stadtherrschaft und die rückständige terri- 
toriale Zersplitterung dieser Zeit voraus. 
Drittes Beispiel: Die Gestalt des Zentrums der 
Altstadt. In Ellingen gibt es keinen Haupt- 
platz, keinen Platz im Zentrum der Altstadt. 
Ellingen war eben keine bürgerliche Freie 
Reichsstadt, die sich einen oder mehrere 
große Marktplätze schuf wie etwa Weißen- 
burg. Ellingen war eine Residenz des 
Deutschen Ordens. Und der Deutsche Orden 
ließ lediglich einen Platz anlegen zu seiner 
Repräsentation: den sog. Ehrenhof zwischen 
Schloß und Schloßbrauerei, der durch das 
Brühltor im Westen und das Schloßtor im 
Osten räumlich geschlossen wurde. 
These 2: Eine stadtbaugeschichtliche Analyse 
darf sich nicht auf die jeweilige Entstehungs- 
zeit historischer Stadtbereiche beschränken, 
sondern muß auch die späteren Veränderun- 
gen von Gestalt wie Nutzung thematisieren. 
So unumstritten diese These auch erscheinen 
mag, so zweifelhaft ist doch ihre Anwendung. 
Sie setzt einen bestimmten Begriff von dem 
voraus, was unter Städtebau verstanden wird. 
Ist Städtebau nur eine Anordnung dinglicher 
Elemente, eine bestimmten Formgesetzen 
gehorchende Anordnung von Baumateria- 
lien, die von mehr oder weniger genialen 
Stadtbaumeistern geschaffen wurde? Diese 
durchaus verbreitete Anschauung macht die 
Geschichte von Stadtbereichen nur unter dem 
Aspekt ihrer materiellen Veränderung inter- 
essant, der Veränderung eines Originalzu- 
standes, der im Zentrum des Interesses bleibt. 
Wir meinen, Städtebau in diesem Sinne, 
losgelöst von Bedeutungsmustern, hat es in 
der Realität nie gegeben, sondern ist ein 
künstliches Produkt formaler Stadtbauge- 
schichtsschreibung. 
Zurück nach Ellingen. In der jahrhunderte- 
langen Herrschaft des Deutschen Ordens ist 
auch die Ursache dafür zu suchen, daß 
Ellingen noch heute eine Stadt des Barocks 
ist. Ellingen hatte bis Ende des 18. Jahr- 
hunderts eine klare Funktion: Die Versor- 
gung des Deutschordensschlosses bestimmte 
das Leben der abhängigen Residenzstadt, 
nicht bürgerlicher Handel und Handwerk. 
Die Dominanz der Ackerbürger- und Hof- 
beamtenhäuser in der Stadt zeigt das deut- 
lich. Mit der Auflösung der Ballei Franken 
des Deutschen Ordens im Zuge der politisch- 
territorialen Neuordnung um 1800 wurde aus 
der Residenzstadt ein kleines bayerisches 
Landstädtchen mit nur noch bescheidenen 
Verwaltungsaufgaben. Daran konnte auch 
die Übertragung der Herrschaft Ellingen an 
den Feldmarschall von Wrede als Thronlehen 
durch den bayerischen König Max I. im Jahre 
1815 nichts ändern, ebensowenig wie der 
Anschluß an das Eisenbahnnetz und der Bau 
des Bahnhofs 1869. Die alte ökonomische 
Grundlage der Stadt war weggefallen, die 
städtebauliche Entwicklung stagnierte, und 
zwar in der Altstadt bis heute. Die beein- 
druckende Fortexistenz der barocken Stadt 
erweist sich wieder einmal als Produkt wirt- 
schaftlicher Armut. Darüber hinaus sicherte 
die Existenz des großgrundbesitzenden Für- 
stengeschlechts von Wrede bis heute auch die 
Nichtbebauung der Landschaft südlich und 
südwestlich der Altstadt und damit den 
unverbauten Anblick der historischen Stadt- 
silhouette. 
Hinsichtlich der Frage nach der Bedeu- 
tung der historischen Veränderung städte- 
baulicher Situationen möchten wir auf das 
Zentrum der Ellinger Altstadt zurückkom- 
men, das durch eine Straßenkreuzung mar- 
kiert wird. Beherrschendes Bauwerk dieser 
Kreuzung ist das heutige Rathaus von Ellin- 
gen, das die Hauptachse der Weißenburger 
Straße im Norden abschließt und diese als 
Schaupunkt beherrscht. Das heutige Rathaus 
wurde 1744-47 nach Plänen von Franz Roth 
durch den Deutschen Orden errichtet und 
diente diesem vor allem als Sitz der Ober- 
gerichtsverwaltung. In dieser Funktion be- 
herbergte es auch Gefängniszellen und eine 
Folterkammer; an der westlichen Gebäude- 
ecke stand der Pranger, der bereits 1810 
abgetragen wurde. 1815 ging das Gebäude als 
Bestandteil des Thronlehens an den Fürsten 
von Wrede über, 1853 erwarb die Stadt das 
einst die Herrschaft des Deutschen Ordens 
innerhalb der Stadtmauern symbolisierende 
Gebäude. Dieser Übergang an die Stadt 
markiert gleichzeitig den Übergang zur 
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