links: Historische Ansicht von Stadt und Schloß
mit geplanter, nie realisierter barocker Gartenanlage
südlich des Schlosses. (aus: Ellinger Altstadtbuch,
1982, S. 105)
linke Seite: Die Altstadt Ellingen nach einer
Zeichnung von Josel Lidl, um 1968: 1. Deutsch-
ordensschloß, 2. Neue Gasse, 3. Kreuzung mit Rathaus,
4. Schloßpark, 5. ehem. Synagoge
trachtung des Städtebaus begnügt sich mit
der sicher notwendigen Benennung von Bau-
meistern und Baudaten, mit der Beschreibung
der Form von Gebäuden und Straßen, von
Schmuckelementen, mit der Angabe des Bau-
materials. Achsen, Dachfluchten, Perspek-
tiven usw., die Suche nach guten Verhält-
nissen von Bauelementen bestimmen die
städtebauliche Diskussion dieses Typs.
Die zweite Fremdenverkehrsparole Ellin-
gens („Stadt des Deutschen Ordens“) könnte
mehr bedeuten als eine letztlich unhistori-
sche Fremdenverkehrsvermarktung. Der
Deutsche Orden ist Ausgangspunkt und
Bestimmungsfaktor der gesamten Stadtent-
wicklung bis 1787, er beherrschte diese Stadt,
lebte auch von den Abgaben dieser Stadt und
bestimmte ihre städtebauliche Gestalt. Ganz
anders als die nahegelegene Freie Reichs-
stadt Weißenburg bleibt Ellingen bis Ende des
18. Jahrhunderts eine feudale Residenzstadt.
Der Gemeinderat der Stadt Ellingen stand
unter der Oberleitung, der Kuratel des
Deutschen Ordens, der alle, selbst polizei-
liche Anordnungen erließ, so daß Bürger-
meister und Rat nur eine sehr beschränkte
Amtsgewalt hatten - ihnen blieb lediglich die
Überwachung der Durchführung der gegebe-
nen Anordnungen.
Wie drückt sich nun die Herrschaft des
Deutschen Ordens städtebaulich aus?
Zunächst ist hier das 1715-20 nach Plänen
von Franz Keller erbaute Schloß zu nennen,
eine Vierflügelanlage mit trapezförmigem
Innenhof, deren Dimension die üblichen
Größenverhältnisse der Stadt bei weitem
sprengte: Die Fläche der Anlage entspricht
etwa einem Drittel der gesamten Altstadt-
fläche. Das Schloß richtet seine dreigeschossi-
ge, hohe Hauptfront nach Süden, gegen die
evangelische Freie Reichsstadt Weißenburg
und gegen die Wülzburg der evangelischen
Markgrafen von Ansbach, es zeigt noch heute
das einstige politische Spannungsfeld in
dieser Region. Diese Frontstellung hat
durchaus etwas Bedrohliches: Der durch die
Vertikalbewegung der Risalite betonte kom-
pakte wehrhafte Charakter mit der helmför-
migen Bedeckung der Eckpavillons erinnert
an die kriegerische Tradition des Deutschen
Ordens. Über dem Hauptportal steht der
Kriegsgott Mars. Besonders das Entwurfs-
modell mit dem aus Geldmangel nicht ausge-
führten überhöhten Kirchenflügel im Hinter-
grund zeigt deutlich die geplante Droh-
gebärde nach Weißenburg und zur Wülzburg
hin. Dagegen interpretiert die stilgeschicht-
liche Betrachtung etwa in dem entsprechen-
den Band der Kunstdenkmäler Bayerns (von
1932) die Ansicht des Schlosses ohne Berück-
sichtigung der politischen Verhältnisse und
Konflikte der Zeit vor dem Baubeginn als
malerisch.
Zweites Beispiel: die bereits erwähnte Neue
Gasse. Mit der Bebauung der Grundstücke
der Neuen Gasse wird in Ellingen ein neuer
Straßentyp eingeführt: die räumliche Zusam-
menfassung reiner Wohnhäuser ohne land-
wirtschaftliche Räume und Nebengebäude.
Diese Häuser wurden von Beamten und
Bediensteten des Deutschen Ordens gebaut,
die keiner landwirtschaftlichen Tätigkeit
nachgingen. Nachgewiesen sind z.B. ein Hof-
bäcker, ein Hofkonditor, ein Hofschreiber,
ein Hofschneider. Die relativ rasche Durch-
fürhung der Baumaßnahmen innerhalb von
10 Jahren, die die Einheitlichkeit der Neuen
Gasse sicherte, war auch der Ökonomie dieser
Anlage geschuldet. Die beamteten Bauherren
bekamen ihre Baugrundstücke unentgeltlich
vom Deutschen Orden - an dieser Stelle war
früher ein Graben. Weiter wurde vom
Deutschen Orden eine zehnjährige Steuer-
freiheit zugesichert und Kapital zu dem
niedrigen Zinssatz von 2 1/2% sowie Bauholz
zur Verfügung gestellt. Damit setzt dieser Typ
von Stadterweiterung die Existenz einer
Schicht von Hofbeamten, eine feudale Klein-
stadtherrschaft und die rückständige terri-
toriale Zersplitterung dieser Zeit voraus.
Drittes Beispiel: Die Gestalt des Zentrums der
Altstadt. In Ellingen gibt es keinen Haupt-
platz, keinen Platz im Zentrum der Altstadt.
Ellingen war eben keine bürgerliche Freie
Reichsstadt, die sich einen oder mehrere
große Marktplätze schuf wie etwa Weißen-
burg. Ellingen war eine Residenz des
Deutschen Ordens. Und der Deutsche Orden
ließ lediglich einen Platz anlegen zu seiner
Repräsentation: den sog. Ehrenhof zwischen
Schloß und Schloßbrauerei, der durch das
Brühltor im Westen und das Schloßtor im
Osten räumlich geschlossen wurde.
These 2: Eine stadtbaugeschichtliche Analyse
darf sich nicht auf die jeweilige Entstehungs-
zeit historischer Stadtbereiche beschränken,
sondern muß auch die späteren Veränderun-
gen von Gestalt wie Nutzung thematisieren.
So unumstritten diese These auch erscheinen
mag, so zweifelhaft ist doch ihre Anwendung.
Sie setzt einen bestimmten Begriff von dem
voraus, was unter Städtebau verstanden wird.
Ist Städtebau nur eine Anordnung dinglicher
Elemente, eine bestimmten Formgesetzen
gehorchende Anordnung von Baumateria-
lien, die von mehr oder weniger genialen
Stadtbaumeistern geschaffen wurde? Diese
durchaus verbreitete Anschauung macht die
Geschichte von Stadtbereichen nur unter dem
Aspekt ihrer materiellen Veränderung inter-
essant, der Veränderung eines Originalzu-
standes, der im Zentrum des Interesses bleibt.
Wir meinen, Städtebau in diesem Sinne,
losgelöst von Bedeutungsmustern, hat es in
der Realität nie gegeben, sondern ist ein
künstliches Produkt formaler Stadtbauge-
schichtsschreibung.
Zurück nach Ellingen. In der jahrhunderte-
langen Herrschaft des Deutschen Ordens ist
auch die Ursache dafür zu suchen, daß
Ellingen noch heute eine Stadt des Barocks
ist. Ellingen hatte bis Ende des 18. Jahr-
hunderts eine klare Funktion: Die Versor-
gung des Deutschordensschlosses bestimmte
das Leben der abhängigen Residenzstadt,
nicht bürgerlicher Handel und Handwerk.
Die Dominanz der Ackerbürger- und Hof-
beamtenhäuser in der Stadt zeigt das deut-
lich. Mit der Auflösung der Ballei Franken
des Deutschen Ordens im Zuge der politisch-
territorialen Neuordnung um 1800 wurde aus
der Residenzstadt ein kleines bayerisches
Landstädtchen mit nur noch bescheidenen
Verwaltungsaufgaben. Daran konnte auch
die Übertragung der Herrschaft Ellingen an
den Feldmarschall von Wrede als Thronlehen
durch den bayerischen König Max I. im Jahre
1815 nichts ändern, ebensowenig wie der
Anschluß an das Eisenbahnnetz und der Bau
des Bahnhofs 1869. Die alte ökonomische
Grundlage der Stadt war weggefallen, die
städtebauliche Entwicklung stagnierte, und
zwar in der Altstadt bis heute. Die beein-
druckende Fortexistenz der barocken Stadt
erweist sich wieder einmal als Produkt wirt-
schaftlicher Armut. Darüber hinaus sicherte
die Existenz des großgrundbesitzenden Für-
stengeschlechts von Wrede bis heute auch die
Nichtbebauung der Landschaft südlich und
südwestlich der Altstadt und damit den
unverbauten Anblick der historischen Stadt-
silhouette.
Hinsichtlich der Frage nach der Bedeu-
tung der historischen Veränderung städte-
baulicher Situationen möchten wir auf das
Zentrum der Ellinger Altstadt zurückkom-
men, das durch eine Straßenkreuzung mar-
kiert wird. Beherrschendes Bauwerk dieser
Kreuzung ist das heutige Rathaus von Ellin-
gen, das die Hauptachse der Weißenburger
Straße im Norden abschließt und diese als
Schaupunkt beherrscht. Das heutige Rathaus
wurde 1744-47 nach Plänen von Franz Roth
durch den Deutschen Orden errichtet und
diente diesem vor allem als Sitz der Ober-
gerichtsverwaltung. In dieser Funktion be-
herbergte es auch Gefängniszellen und eine
Folterkammer; an der westlichen Gebäude-
ecke stand der Pranger, der bereits 1810
abgetragen wurde. 1815 ging das Gebäude als
Bestandteil des Thronlehens an den Fürsten
von Wrede über, 1853 erwarb die Stadt das
einst die Herrschaft des Deutschen Ordens
innerhalb der Stadtmauern symbolisierende
Gebäude. Dieser Übergang an die Stadt
markiert gleichzeitig den Übergang zur
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