bürgerlichen Herrschaft nach den Umwäl-
zungen des Jahres 1848, die Stadtbürger
eignen sich das alte Feudalgebäude an und
nutzen es für ihre Zwecke. 1860-61 ließ die
Stadt das Haus innen umbauen. Der
städtische Raum im Herzen der Altstadt blieb
so hinsichtlich der äußeren Form unverän-
dert, bekam aber einen gänzlich anderen
Sinn. Erst die Zerstörungen des Zweiten
Weltkrieges änderten auch die äußere Gestalt
des öffentlichen Raumes. Zerstört wurden die
Giebelhäuser gegenüber der Rathausfront
sowie zum Teil das Rathaus. Nur letzteres
wurde äußerlich in der früheren Form wieder
aufgebaut, die beiden Bürgerhäuser an der
Südseite der Kreuzungen wurden dagegen
durch Wohn- und Geschäftshäuser mit
Längsseite zur Straße hin im Stil der 50er und
frühen 60er Jahre ersetzt. Städtebaulich
wichtig ist auch eine zweite Entscheidung
dieser Zeit: die auf Planungen Sep Rufs in den
späten 40er Jahren fußende Zurücknahme
der Baulinien bei beiden Gebäuden und damit
die erhebliche Erweiterung des Straßen-
raums, der an den gestiegenen Autoverkehr
angepaßt wird. Dieser städtebauliche Bruch
markiert eine neue Funktion der Ellinger Alt-
stadt: Sie wird Ort des Massendurchgangs-
verkehrs, das Auto beherrscht den Raum der
Hauptstraßen. Nach dem Bau der Umge-
hungsstraße stellt sich von neuem die Frage
nach der Funktion des Zentrums, womit auch
die Frage nach der Bewertung von Kontinui-
tät und Bruch im Städtebau angesprochen
wird.
These 3: Stadtbildpflege darf nicht nur keine
Stadtimagepflege sein, sie darf sich auch nicht
auf eine Position des Nur-Bewahrens zurück-
ziehen. Auch diese Position wäre unhisto-
risch. Die Diskussion veränderter Nutzungs-
ansprüche einer Gesellschaft mit veränderten
Arbeits- und Lebensformen kann durchaus
die Notwendigkeit eines Bruchs mit der
überlieferten städtebaulichen Struktur zum
Ergebnis haben, einen Bruch, den übrigens
das Auto längst ohne lange Diskussion
provoziert hat. Bewahren kann man nur die
städtebauliche Hülle, nicht aber die Nutzun-
gen im Detail. In der Abwägung von Hülle
und sozialorientierten Nutzungsansprüchen
aber muß sich die Diskussion über Kontinui-
tät und Bruch vollziehen.
Erstes Beispiel: Die Altstadtkreuzung. Weit-
gehende Zustimmung wird die Aussage
finden, daß die Bewahrung überlieferter
Baulinien, Parzellengrößen und Traufhöhen
wichtig ist, manchmal wichtiger als die
Erhaltung eines konkreten Bauwerks. Gilt
das aber z.B. auch für die Ellinger Kreuzung,
wo die historische Feudalherrschaft keinen
Platz zugelassen hat und wo in der Nach-
kriegszeit diese Grenzen durch die Autos
verdrängt worden sind? Selbst wenn die alten
Baulinien ohne großen Aufwand wiederher-
gestellt werden könnten, wäre es einer
ernsthaften Überlegung wert, ob nicht der
erweiterte Raum erhalten, aber zugunsten der
Fußgänger neu gestaltet werden sollte. Unser
Vorschlag im Rahmen der Vorbereitung der
Stadterneuerung geht in diese Richtung.
Zweites Beispiel: Der Schloßpark im Norden
des Schlosses war in der Zeit des Deutschen
Ordens für die Stadtbürger natürlich nicht
zugänglich. Heute ist er prinzipiell zugäng-
lich, aber für viele Altstadtbewohner nur auf
großen Umwegen. Die veränderte historische
Situation erfordert daher u.E. die Einrich-
tung eines Fußweges entlang der Stadt-
mauern im Norden mit einem Durchlaß in der
Schloßgartenmauer. Das wäre zweifellos ein
Bruch mit der städtebaulichen Tradition, der
in den veränderten Herrschaftsverhältnissen
seine Rechtfertigung findet.
Der Bruch kann sich auch schleichend
vollziehen, wie das Beispiel der Neuen Gasse
Vortreppe mit Haustürattrappe,
Neue Gasse (eigenes Foto 1980)
Neue Gasse: Blick nach Norden
(eigenes Foto 1980}
zeigt. Mit dem Wegzug der Deutschordens-
beamten veränderte sich auch langsam die
Nutzung der Häuser. Sie wurden Vorläufer
der modernen Mehrfamilienhäuser ohne
landwirtschaftliche und handwerkliche Nutz-
räume. Das war auch der Grund dafür, daß
sich in der Nachkriegszeit hier Arbeiter-
familien ohne landwirtschaftlichen Neben-
erwerb konzentrierten, Arbeiter mit großen
Familien in kleinen, aber billigen Miet-
wohnungen. Heute haben die Wohnhäuser
der Neuen Gasse mit Mittelflur bis zu acht
Räume auf einer Geschoßebene. Die Straße,
die bis jetzt eine reine Wohnstraße geblieben
ist, wird mit dieser Entwicklung einerseits
zum Parkplatz, andererseits aber auch zum
Aufenthaltsort für Kinder, zum Spielplatz,
eine Situation, die von den älteren Bewoh-
nern nicht gerne gesehen wird. Mit der Ent-
wicklung zu einer Arbeiterwohnstraße hin
verändert die Neue Gasse langsam auch ihre
bauliche Form. Der Dachgeschoßausbau
bringt mehr Raum und somit mehr Miete,
verändert aber das Mansarddach, bei man-
chen Eckgebäuden werden die Eingangstüren
von der Straße weg an die Seite verlegt, ein
nicht nur in Ellingen zu beobachtender Priva-
tisierungsprozeß, einige Vortreppengeländer
werden beseitigt. Für die Erhaltung der
sichtbaren Einheitlichkeit der Gasse schwin-
det die reale Basis, der Grundstücksbesitz ist
zersplittert, das Wissen um die Einzigartig-
keit der Straße ist gering. U.E. ist diese
Entwicklung zur Uneinheitlichkeit bedauer-
lich. Wir haben deshalb einen Vorschlag für
eine Gestaltungssatzung erarbeitet, der noch
öffentlich diskutiert werden muß. Grund-
prinzip dieses Vorschlags ist: Sicherung der
Gesamtanlage, begrenzte Variation in den
Details - ein Prinzip, das nicht nur historisch
gerechtfertigt ist (aufgrund der kleinteiligen
Zersplitterung der Verfügung über den Boden
war der Umgang mit den Gebäuden nie völlig
einheitlich), sondern auch ein ausgewogenes
Verhältnis zwischen dem großen öffentlichen
Interesse an einer Erhaltung der Gasse und
den privaten Interessen ermöglicht.
These 4: Wenn man es nicht beim stadtbau-
geschichtlichen Analysieren und Dokumen-
tieren bewenden lassen will, ist es unerläßlich
zu untersuchen, welche Rolle die Geschichte
der Stadt für die heutigen Bewohner spielt.
teren bewenden lassen will, ist es unerläßlich
zu untersuchen, welche Rolle die Geschichte
der Stadt für die heutigen Bewohner spielt.
In der Kleinstadt gibt es traditionell Perso-
nen, die die Geschichte des Ortes verwalten,
interpretieren, weitergeben. Dazu zählen der
Lehrer, der Pfarrer, der Stadtarchivar. Wir
haben die Erfahrung gemacht, daß es zu
größerem Dissens bei unserer Arbeit in
Ellingen immer dann kam, wenn wir die
traditionelle Interpretation der örtlichen
Verwalter von Stadtgeschichte in Frage
stellten. So mochte der Stadtarchivar, der
sich stolz zu den Familiaren des Deutschen
Ordens zählt, nichts von unserer Kritischen
Interpretation des Deutschens Ordens wissen.
Sein Argument: der Deutsche Orden sei ja
auch ein soziales Unternehmen gewesen. Der
Pfarrer mochte nichts von unserer Inter-
pretation der Ellinger Hausmadonnen als
Symbole und Programm der Gegenreforma-
tion wissen. Die Politiker setzten seit den 50er
Jahren ihre Priorität auf Neubaugebiete. Das
Interesse für die reale, nicht idealisierte
Geschichte und ihre Alltagszeugnisse in der
Stadt war zunächst einmal ziemlich gering.
Die Bewohner der Altstadt selbst leben zwar
gerne in der historischen Stadt, wie sie uns
erzählten, nicht aber in ihren alten Häusern.
Die Altbauten haben zum Teil bauliche
Mängel, einen ungünstigen Wohnungszu-
schnitt, sie gelten schlicht als nicht modern,
als Zeichen gewisser Armut. Die Geschichte
der Stadt ist nur in Versatzstücken präsent
und wird nicht als solche erlebt. Damit wird
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