Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

VORSCHLAG 
zur nicht-inflatorischen Finan- 
Herunf des Wohnungsbaues und 
zur Überwindung der Arbeits- 
losigkeit von 170.000 Bauarbei- 
tern. 
[. Die volkswirtschaftliche Verschwendung 
170.000 arbeitslose Bauarbeiter warten auf Beschäf- 
tigung. Alle für den Wohnungsbau erforderlichen 
Materialien - Ziegel, Zement, Holz, Material für den 
[nnenausbau - stehen zur Verfügung. Trotz dessen 
fehlen Wohnungen zu Preisen, die die Masse der 
Bevölkerung bezahlen kann. 
Die Verbilligung der Wohnungen durch Subven- 
tionen von Bund, Ländern und Gemeinden findet 
ihre engen Grenzen an den Aufbringungsmöglich- 
keiten der Etats. Wie die große Zahl arbeitsloser 
Bauarbeiter zeigt, reichen die verschiedenen Sub- 
ventionen nicht aus, die vorhandenen Möglichkei- 
ten zur Beseitigung des Wohnungsmangels zu trag- 
baren Preisen auszuschöpfen. Möglichkeiten zur 
Herstellung begehrter Güter nicht auszunutzen, be- 
deutet Verschwendung 
II. Grenzen des privaten Wohnungsbaues 
Diese Verschwendung wird mit der Unmöglichkeit 
der Finanzierung von Wohnhäusern mit tragbaren 
Mieten entschuldigt. Die Kreditgewährung für 
Wohnbauten ist heute gegenüber der Zeit vor 1914 
und der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg wesentlich 
erweitert worden. Trotz dessen erfordert aber bei 
den ständig weiter steigenden Bau- und Grund- 
stückspreisen der Bau eines Wohnhauses mit etwa 
sechs Wohnungen ein so hohes Eigenkapital, daß zu 
dessen Aufbringung nur eine sehr kleine Bevöl- 
kerungsschicht in der Lage ist. Sie ist aber aus vielen 
Gründen nicht bereit, ihr Vermögen in Mietwohn- 
häusern anzulegen. Die Lockerung der Vorschriften 
über die Mieten oder sinkende Zinssätze für Hypo- 
theken werden hieran kaum etwas ändern. Die Er- 
wartung, daß durch Privatinitiative die erforderli- 
chen Mietwohnhäuser in absehbarer Zeit gebaut 
ınd die Bauarbeiter wieder Arbeit finden werden, ist 
angesichts der entgegenstehenden Tatsachen nicht 
gerechtfertigt. 
II. Nutzlose Dogmatik 
Es geht hier nicht um Fragen: Sozialismus oder Li- 
beralismus, freie oder soziale Marktwirtschaft, oder 
staatlich gesteuerte Investitionen, sondern allein um 
die Frage, wie Wohnungen zu bezahlbaren Preisen 
geschaffen und die Verschwendung von Arbeits- 
kräften durch Arbeitslosigkeit beseitigt werden 
kann. Das kann nur durch den Staat durch Ausnut- 
zung seiner Geldschöpfungshoheit geschehen. 
IV. Technische Durchführung 
Durch Bundesgesetz ist die Bundesregierung zu er- 
mächtigen, bis zu 4 Milliarden DM Staatspapier- 
geld zur Förderung des Wohnungsbaues aus- 
zugeben. 
Die hier vorgeschlagene Wohnungsbaufinanzie- 
"ung soll neben dem Arbeitsbeschaffungsprogramm 
1982 durchgeführt werden. Der Betrag von 4 
Milliarden DM entspricht dem für die sonstige In- 
vestitionsförderung vorgesehenen Betrag, der an- 
ders finanziert wird. 
Der Bargeldumlauf an Noten und Münzen betrug 
Ende März 1982 89,4 Milliarden. 
 $14 des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank 
steht der Ausgabe von Staatspapiergeld nicht ent- 
gegen. Der Bund hat keineswegs auf seine Geld- 
schöpfungshoheit verzichtet. Lediglich muß beim 
Staatspapiergeld auf die Eigenschaft als „gesetzli- 
ches Zahlungsmittel“ verzichtet werden, was bedeu- 
tungslos ist. Es genügt die Annahmeverpflichtung 
aller öffentlichen Kassen. Die Bevölkerung wird 
gern die neuen Geldscheine entgegennehmen, hin- 
ter denen reale Gegenwerte als „Deckung“ im alten 
Sinne stehen. 
Die Durchführung der Bauvorhaben wäre den 
Ländern zu übertragen. Die Landesbanken rufen je- 
weils entsprechende Geldscheine in Höhe ihrer Zah- 
lungen an die Baufirmen ab. Die Geldscheine 
werden im Rahmen der Bargeldabzüge der Bank- 
kunden abgegeben. Die Landesbanken brauchen 
weniger auf die Bundesbank zur Auffüllung ihrer 
Kassenbestände zurückzugreifen. Eine alsbaldige 
Steigerung des Bargeldumlaufes durch das Staats- 
papiergeld ist unwahrscheinlich. 
V. Keine Gefahr inflatorischer 
Geldentwertung 
Eine Entwertung des Geldes durch übermäßige 
Geldschöpfung tritt nur dann ein, wenn der 
wachsende Geldstrom nicht mehr durch ein 
wachsendes Warenangebot zur Befriedigung der 
Güternachfrage der Bevölkerung gedeckt werden 
kann, wie es regelmäßig in Kriegs- und Nachkriegs- 
zeiten der Fall ist. Besteht dagegen eine große Ar- 
beitslosigkeit und unausgenutzte Produktionsmög- 
lichkeiten, wie es gegenwärtig der Fall ist, so kann 
eine wachsende Güternachfrage durch wachsendes 
Güterangebot gedeckt werden. Das ist der entschei- 
dende Punkt, nicht die Tatsache, daß das neu ge- 
schaffene Staatspapiergeld durch die Neubauten 
‚gedeckt“ wird. | 
Der beklagenswerte ständige Verlust an Tausch- 
wert unseres Geldes ist nicht durch übermäßige 
Geldschöpfung und fehlendes Warenangebot, son- 
dern durch die ständigen Kostensteigerungen bei 
der Produktion bestimmt. Eine Kostensteigerung 
wird durch die Ausgabe von Staatspapiergeld nicht 
unmittelbar ausgelöst. Bei jeder Belebung der Kon- 
junktur besteht stets die Gefahr neuer Kostenstei- 
gerungen infolge erhöhter Lohnforderungen, stei- 
gender Abschreibungswünsche, erhöhten Gewinn- 
strebens. 
VI. Die überragenden Vorteile 
1) Die Ausgabe von Staatpapiergeld kostet le- 
diglich die Druckkosten für die Geldscheine. 
Abgesehen davon und den Provisionen der 
Landesbanken werden die Häuser ohne weitere Ko- 
sten errichtet. Demgemäß kann die öffentliche 
Hand die Mieten nach den sozialen Gegebenheiten: 
festsetzen. Endlich können Wohnungen zu Miet- 
preisen angeboten werden, die die Masse unseres 
Volkes auch bezahlen kann. 
2) Der sich nach Abzug der Unterhaltskosten der 
_ der Häuser ergebende hohe Überschuß kann in 
dreifacher Weise verwandt werden: | 
a) zur Finanzierung weiterer Wohnbauten; 
b) zur Tilgung des Staatspapiergeldes; . 
c) zur Entlastung der öffentlichen Haushalte. 
3) Die Bundesanstalt für Arbeit und der Bundes-- 
haushalt werden entlastet durch Fortfall der 
Arbeitslosengelder für die wieder beschäftigten 
Bauarbeitet. | 
1) Durch eventuellen Verkauf der Häuser kann die 
= öffentliche Hand Einnahmen gewinnen. 
5) Spekulative Erwartungen auf ständig weiteres 
Steigen der Preise für Miethäuser werden ge- 
bremst, da nötigenfalls ein erhöhtes Angebot mo- 
derner Häuser durch die öffentliche Hand erfolgen. 
kann, 
VII. Die Gefahr 
Die Ausgabe von Staatspapiergeld unterliegt immer 
die Gefahr des Mißbrauchs durch Parlamente und 
Regierungen. Der Geldstrom darf nur insoweit ver- 
stärkt werden, soweit die jeweils zusätzlich mit dem 
neu geschaffenen Geld von der Bevölkerung be- 
gehrten Güter auch bereitgestellt werden können. 
Die Vorteile einer eng begrenzten Ausgabe von 
Staatspapiergeld zur Überwindung einer anders 
nicht zu beseitigenden Notlage lassen die damit ver- 
bundene Gefahr als tragbar erscheinen . 
ge, Nö v.d. Nat 
geld - in den Wohnungsbau fließen. Erst bei 
späteren Ausgabenentscheidungen würde die- 
se Frage virulent werden. 
Einstieg in die wohnungswirtschaftliche 
Selbstverwaltung und Selbstfinanzierung 
Abschließend sei noch auf eine ordnungspoli- 
tische Möglichkeit hingewiesen, die Nöll von 
der Nahmer formell zwar vermeiden will, 
faktisch aber andeutet. Diese „kostenlose“ Fi- 
nanzierung eines Wohnbauprogrammes birgt 
die Chance des Einstieges in eine neue Orga- 
nisations- und Finanzierungsweise des ge- 
meinnütziges Wohnungsbaues, wie ich sie an 
anderer Stelle zu skizzieren versucht habe 
(Novy 1982a; Novy 1983): dauerhaft gebunde- 
ne Bestände, Verwaltung durch kleine Be- 
standsgenossenschaften, die ihre Mietüber- 
schüsse als Solidarbeiträge an einen „revol- 
vierenden Fonds“ bei einer speziellen Bau- 
bank abführen, wo sie als zinslose Transfer- 
zahlung neuen Projekten zufließen, die 
wiederum den gleichen Bedingungen (Ver- 
bands- und Revisionspflicht, keine Bau- 
pflicht, dafür Abführung eines inflationsindi- 
zierten Solidarbeitrages an den Neubaufonds) 
unterliegen. Anders als in der jetzigen Ken- 
struktion (Kostenmiete, Kapitalmarkt- und 
Subventionsabhängigkeit) bietet diese Struk- 
tur ein wachsendes Selbstfinanzierungspoten- 
tial bei entsprechend geringerem _Subven- 
‘ionsbedarf. 
In diesem Sinne könnte der ausschließlich 
krisenbezogene, d.h. nur temporär einsetzba- 
re und auf keinen Fall verallgemeinerungs- 
fähige „Vorschlag“ Nöll von der Nahmers 
auch einen Beitrag zur praktischen Er- 
neuerung der Ideen der Gemeinnützigkeit und 
der, genossenschaftlichen Selbstverwaltung 
leisten. Seine Gefahren liegen - wie Nöll von 
der Nahmer selbst schreibt - im politischen 
Prozeß, in der Kontrollierbarkeit des Instru- 
mentes. Sie dürfen nicht unterschätzt wer- 
den. Gleichwohl liegen die Gefahren eines kri- 
senpolitischen Attentismus noch deutlicher 
vor Augen; sind sie nicht derart hoch, daß ein 
krisenpolitischer „contrat social“ zur produk- 
tiven Kreditschöpfung legitimationsfähig wä- 
re? 
Literatur 
G. Bombach u.a. (Hrsg.), Der Keynesianismus I und II, 
Berlin, Heidelberg, New York 1976 
G. Bombach u.a. (Hrsg.), Der Keynesianismus 111, Berlin, 
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dung der Wirtschaftskrise 1929/32, Düsseldorf 1954 
G. Kroll, Eine Utopie wird Wirklichkeit, in: Neues Abend- 
land NF 12 (1957), H. 1 
G. Kroll, Von der Weltwirtschaftskrise zur Staatskonjunk- 
tur, Berlin 1958 
R. Nöll von der Nahmer, Der volkswirtschaftliche Kredit- 
fonds. Versuch einer Lösung des Kreditproblems, 
Berlin 1934 
R. Nöll von der Nahmer, Der Zins ist nicht notwendig - sei- 
ne Aufhebung trotz dessen nicht zweckmäßig, in: Wirt- 
schaftsspiegel, Sonderheft 3, Wiesbaden 1947 
K. Novy, Wohnungswirtschaftliche Selbstverwaltung und 
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tage, in: Leviathan 10 (1982a), H. 1, S. 41-67 
K. Novy, Aspekte einer Theorie der Arbeitsbeschaffung auf 
der Basis lokaler Selbsthilfe - historisch gewonnen. 
Beitrag zum 7. Wuppertaler Wirtschaftswissenschaftli- 
chen Kolloquium 1982b; erscheint in einem Sammel- 
band 1983 
K. Novy, Meine Überlegungen gehen von dem Solidaritäts- 
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(Hrsg‘, usverkauf von der Bergmannswohnungen. 
Gespräche über ein heißes Eisen, Mülheim/R 1983, S. 
141ff 
M. Schneider, Das Arbeitsbeschaffungsprogramm des 
ADGB, Bonn 1975 
R. Skidelsky, Politicians and the Slump. The Labour 
Government of 1929-1931, Pelican Book, Harmonds- 
worth 1970 
G. Stolper, Deutsche Wirtschaft 1870 - 1940, Stuttgart 1948 
M. Wirth, Geschichte der Handelskrisen, 2. Aufl. Ffm 1874 
4
	        

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