Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

Schlaglichter 
5 5 FA mit der Karnevalsmaske, deı 
Ein verschuldeter Architekt War der Bankräuber bei senen me akekten Bank 
‚aub in Köln von einem Polizisten —- wie der Staatsanwalt feststellte — in Notwehr erschossen wurde. Eine automatische ‚Kamera in der 
Bank hielt den Vorgang fest. Bild 1: Polizisten laufen mit gezogenen Waffen auf den 56jährigen ZU- Bild 2: Der Räuber feuert auf den ersten 
Polizisten und durchschießt dessen Hand. Der zweite Beamte (ganz rechts) erschoß später den Architekten, Um den Kollegen zu schüt- 
zen. Bild 3: Der an der Hand getroffene Polizist — die Kugel war danach an seinem Funkgerät in der linken Brusttasche abgeprallt = tritt 
jegend nach der Waffe des Architekten. Bild 4: VOM zweiten Polizisten (im Bild nicht sichtbar) getroffen, bricht der tödlich verletzte Bank- 
räuber zusammen. Er soll schon im Dezember einmal bei einem Banküberfall in Köln gescheitert sein Funkbilder: Kripo/dp8 
Der kleine freie Architekt wittert Morgenluft. 
Freudig begrüßt er den Lockruf der Selbsthil- 
fe. Das Ende des staatlich regelementierten 
Sozialen Wohnungsbaus hat ihm weniger 
Aufträge und mehr Schulden beschert aber 
dafür den Mut zur Eigeninitiative, zur Phan- 
tasie, zu unkonventionellen Lösungen zurück- 
gegeben. 
Der Bankraub des Architekten war prakti- 
zierte Selbsthilfe im besten Sinn. Unsere volle 
Sympathie gehört dem Verlierer. Denn daß er 
erschossen wurde, spricht nicht gegen Selbst- 
hilfe, nur gegen bornierten Individualismus 
und überholte Handwerkelei, von der sich 
kleine freie Architekten offensichtlich nur 
schwer trennen können. 
Kalt und herzlos hält die Videokamera das 
Geschehen fest. Sie ist das neue Medium 
städtischer Ordnung. Das magische Auge des 
Herrn blickt in die Taschen der Hausfrauen, 
die Nischen der Parkhäuser, in Straßenfluch- 
ten, überwacht Eingänge, Ausgänge, Tot- 
kranke und Kleinkinder, ruht gefällig auf De- 
monstrantengesichtern und beobachtet unab- 
lässig Briefkästen, Wohnungen, Sperrbezirke, 
Gettos.: 
Der Erkenntnishunger öffentlich bedienste- 
ter Planer ist groß. Die ausgleichende Gerech- 
tigkeit planerischer Intervention geht kleintei- 
lig vor. Die Analyse städtischer Problement- 
wicklung verlangt den Gesamtüberblick, aber 
die Lösungsansätze können nur mehr schwer- 
punktmäßig greifen. Unter dem Druck radi- 
kaler Ausgabenkürzungen kämpft arbeitneh- 
merorientierte Planung verstärkt an allen 
Fronten kommunaler Politik, um Strei- 
chungen an den richtigen und nicht etwa den 
falschen Stellen. „Gerade jetzt ist der interdis- 
ziplinär ausgebildete, mit wissenschaftlicher 
Methodik arbeitende Planer gefordert“, rufen 
nimmermüde Sozialtechnokraten hinter den 
EDV-Stößen zur alternativen Haushaltspla- 
nung den Kollegen zu, die resigniert ab- 
Friedhelm Schrooten 
Räuber 
und 
Gendarm 
winken: „Es wird immer schwerer ein rationa- 
les Planungsverständnis an den Mann zu 
bringen“. 
Die fünfte Kolonne der staatlichen Ver- 
nunft leidet unter Orientierungsschwierigkei- 
ten. Die Volkszählung verspricht Arbeit und 
neue Erkenntnisse in Fülle, doch es mangelt 
an Handlungsperspektiven. Der ganze Planer- 
stand lebt ausschließlich vom Eingriff der 
öffentlichen Hand, und die hat sich weit- 
gehend auf den Polizeieinsatz zurückgezogen. 
Basisinitiativen und Selbsthilfe zum Ausgleich 
fehlender öffentlicher Leistungen werden die 
meisten Planer loben, obwohl sie nach 10 
Jahren sozialdemokratischer Herrschaft im- 
mer noch glauben, geplanter Fortschritt 
kommt von oben. 
Häufig von der Architektur her kommend, 
vor ihrem kunstgewerblichen Betrug fliehend, 
aber verliebt in die selbstvergessene Arbeits- 
weise bei leiser Musik haben jahrelang kleine 
freie Planerbüros Mittlerdienste und Zuarbeit 
leisten dürfen. Sich vom öffentlichen Auftrag- 
geber distanzierend, erhielten sie an den Haus- 
türen der Sanierungsbetroffenen alle nötigen 
Daten für den Sozialplan und lernten in den 
Wohnzimmern die menschlichen Nöte ken- 
nen. Die Guten unter ihnen ließen sich von der 
Stadt bezahlen und kämpften auf der Seite der 
Betroffenen für die bessere Planungsalternati- 
ve. Ihnen hat die öffentliche Hand den Ar- 
beitsstuhl weggezogen. Um nicht ganz auf der 
Straße zu sitzen, müssen sie einen neuen 
Markt erschließen. Wer nicht mehr im öffent- 
lichen Auftrag tätig werden kann, muß sich an 
Privat verkaufen. Harmonisierung und 
Problembereinigungen im kleinen Maßstab 
sind gefragt, egal ob öffentlich oder privat. 
Flickschusterei am besten alternativ garniert 
mit Selbsthilfe und grüner Soße. Von der Stra- 
tegie zur Fingerfertigkeit, vom Städtebauer 
zum Spezialisten für Umbauten und Moderni- 
sierungen, vom Landschaftsplaner zum Gar- 
tengestalter. Ökotope sind der letzte Schrei in 
den Gärten der Reichen! 
Offensichtlich ist eine Umwertung im 
Gange, aber irgendwie ist alles schon durch- 
schaut. . Die sozial engagierten Planer von ge- 
stern sind die Ökologen von heute. Die immer 
noch begeistert arbeitnehmerorientierten Pla- 
ner sind die Sonnenstaattechniker von mor- 
gen (spätestens). Aber die Geschichte ist nicht 
zu Ende wo die Video-Bilder abbrechen.... 
Der Bulle steht mit rauchender Pistole, 
doch vor ihm der Architekt ist nicht tot zu 
kriegen. Er steht auf, zieht die Maske vom Ge- 
sicht und zeigt sein strahlendes Lächeln. „O.K. 
Jungs, diesmal gings daneben. Macht euch 
keine Sorgen, ich geht jetzt nach Hause, laß 
mir alles durch den Kopf gehen und probiers 
nochmal mit nem besseren Plan“. 
Sie versuchen es immer wieder von vorn. Je- 
der für sich mit seinem kleinen Plan. Dabei 
müßten wir, planerisch gesprochen, gerade 
jetzt gesellschaftlich denken und möglichst 
kollektiv handeln. Ohne Illusionen über die 
staatliche Macht, keine neue Liaison, ohne 
staatsvermittelte Konzepte, Planung von 
unten, Ausdruck der Vergesellschaftung, der 
bewußten Aneignung des Lebens ist immer 
noch ein weites Feld - unbebaut.
	        
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