Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

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KASSEL, Siedlungsbeispiel 1 
Die Grünplaner lieferten dazu einen ideolo- 
gischen Blanco-Scheck: 
„Grün hilft überall und allen ... 
Grün fördert das Wohlbefinden ... 
Grün senkt Gefahren ... 
Grün bildet ... 
Grün hilft dem Städtebauer, gut gegliederte 
Städte schaffen ...“8 
Anhand von zwei Siedlungsbeispielen soll hier 
überprüft werden, ob die Erwartungen einge- 
troffen sind, ob sich die Argumente und 
Begründungen der Konzepte als tragfähige 
Grundlage erwiesen haben. 
Wenn Konzept und Entwicklung beurteilt 
werden sollen, müssen dazu die Kriterien der 
Bewertung formuliert werden; vorweg also 
einige Anmerkungen dazu 
Alterung und Aneignung 
Die Geschichte der Entwicklung und Verän- 
derung von Siedlungen seit ihrer °’Fertig- 
stellung’ bis zum aktuellen Zustand hat eine 
besondere Bedeutung dür die Beurteilung 
ihrer Qualität als Lebens-, Arbeits- und 
Wohnort. Die Alterung und die Aneignung 
des Wohnortes durch die Bewohner kenn- 
zeichnen die in den strukturellen und mate- 
riellen Vorgaben enthaltenen Entwicklungs- 
potentiale. 
Die Art und Weise. wie mit den Flächen 
umgegangen werden kann, ist bestimmt durch 
ihre Entstehungsgeschichte; sie wirkt als 
Gebrauchsanweisung nach. Die Programme 
und Realisierungen zum Wohnen stellen die 
Thesen zu Experimenten dar, deren Trag- 
fähigkeit sich erst an der Alltagspraxis der 
Bewohner erweist. In den realisierten Lebens- 
und Wohnmöglichkeiten kommt also die 
Qualität der Planung - bis in viele Material- 
und Technikdetails - zum Ausdruck, die darin 
besteht, daß sie mit der strukturellen und 
materiellen Elementierung die Spielräume 
möglicher Handlungs- und Verhaltensweisen 
vordefiniert. Es geht um die Frage der 
Nachhaltigkeit: Sind die realisierten Pla- 
nungen statisch hinsichtlich der Stabilisie- 
rung der Ausgangssituation; also nicht an 
aktuelle und sich verändernde Lebensverhält- 
nisse und Wertvorstellungen durch die 
Bewohner anzupassen bzw. neu zu interpre- 
tieren und deshalb funktionsfremd? Sehen die 
Wohnstandorte immer aus wie neu, geht das 
Leben spurlos an ihnen vorbei? Oder sind die 
realisierten Planungen die alterungsfähige 
Grundlage und der Freiraum für Kontinu- 
ierliche Ergänzungen, ’Verfertigungen’ beim 
Gebrauch und Neuinterpretationen durch die 
Bewohner? Sind in den Vorgaben Verfügungs- 
und Handlungsspielräume enthalten, als Basis 
autonomer Entscheidungen zur Entlastung 
und Ergänzung der Alltagsproduktion? 
Macht die strukturelle und materielle 
Organisation des Wohnens uns abhängig von 
äußerer Verwaltung oder enthält sie die 
Möglichkeit und Freiheit, Dinge für uns selbst 
und auf unsere Weise zu tun? 
Nicht nach Bedürfnissen soll gefahndet 
werden. „Bedürfnisse sind ein Ergebnis von 
Lernerfahrungen. Insofern sind sie determi- 
niert auch durch die kognitiven Fähigkeiten, 
die ein Subjekt im Laufe seiner Lernge- 
schichte hat entwickeln können; durch die 
Enge oder Weite des Erfahrungsfeldes. zu dem 
es Zugang hatte.“!9 
Wenn Freiräume/Grünflächen auf ihren 
Gebrauchswert untersucht werden sollen und 
auf ihre Fähigkeit zum Lebensunterhalt 
beizutragen, kann dies nur von den ”feld- 
abhängigen’ Bewohnern aus geschehen, die 
die ’Produktion der Reproduktion’ bewälti- 
gen müssen und deshalb ihren Wohnort auch 
als ’Arbeitsplatz’ wahrnehmen: Kinder, Müt- 
ter, Frauen, Rentner, Arbeitslose, Feier- 
abender.!! Haben sie die Chance, etwas für 
sich zu tun, was sowohl ökonomisch als auch 
sozial wirksam werden kann? 
Alterung, Entwicklung und Anpaßbarkeit 
eines Lebensortes etablieren sich erst durch 
seine kontinuierliche ”Pflegbarkeit’; durch 
kleine aber häufige Investitionen, Initiativen, 
Fertigkeiten und Verfertigungen vieler Be- 
wohner. 
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