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Ingrid Krau
Ein
vs DIEDUE
APFERE.
S or nicht etert:
Arbeitslos,
ein
Wohnungslos
Vom schwierigen Aufbruch
zu neuen Ufern
1. Anlaß zum Nachdenken
Räumliche Stadtentwicklungsplanung im
Ruhrgebiet ist spätestens seit Mitte der 70er
Jahre erneut vor den vorauseilenden Schat-
ten struktureller und langanhaltender rezes-
siver Arbeitslosigkeit diskutiert worden. Mir
stellte sich in meinem Arbeitsfeld, dem mon-
tanindustriellen Ballungskerngebiet Duis-
burg, in den 70er Jahren folgende Frage:
Ist es angesichts der allgemeinen histori-
schen Tendenz stagnierender Expansions-
kraft der traditionellen Großindustrie in den
klassischen industriellen Ballungszentren der
westlichen Welt und wachsender Flächenan-
sprüche für Wohn- und Freizeitbedürfnisse
noch sinnvoll, Wohngebiete zugungsten
expansiver industrieller Standortsicherung
und vorgeblicher Arbeitsplatzsicherung zu
dezimieren und verschwinden zu lassen?
Weder waren die von den einzelnen Indu-
strien (Stahlindustrie, Kohleverwertung,
petrochemie, Raffinerien, KEnergiewirt-
schaft) geltend gemachten Expansions- und
Sicherungsansprüche für die Region in der
Summe verträglich — auch nach geltendem
Recht nicht — noch war die sich damals deut-
lich abzeichnende Gigantomanie der Stahlin-
dustrie und des Petrobereichs an der Duis-
burger Rheinschiene vorstellbar ohne ent-
sprechende imperiale Strategien und Siege
auf den EG- und Weltmärkten.
Klar war: eine neue weltweite Arbeitstei-
lung zugunsten der technologisch höchstent-
wickelten, mehr vom avancierten human
capital als von Rohstoffen abhängigen Indu-
strien und zuungunsten der Rohstoffum-
wandlung und -verformung in der 1. Welt
würde das Ruhrgebiet und diesen Teilbe-
reich besonders hart treffen. Andererseits
war gerade deswegen eine rationalisierungs-
orientierte räumliche Konzentration an der
Rheinschiene nicht allein für die Stahlindu-
strie ökonomisch sinnvoll. Steigende Pro-
duktionsmengen an Roheisen wie Rohstahl
schienen zu signalisieren, daß die Region
trotz ihrer Monostruktur wirtschaftlich kern-
gesund sei, man müsse nur den Ballungskern
als Hauptkonfliktzone konkurrierender Flä-
chenansprüche vom Überschuß an Arbeits-
kräften und folglich Wohnbevölkerung
befreien. Dies war keine aussprechbare aber
desto schlagkräftigere Handlungsstrategie.
Sie realisierte sich im Selbstlauf industrieller
Daseinsvorsorge und planerischen Flanken-
schutzes: die Grundstoffindustrie im Bal-
lungskern, insbesondere die Stahlindustrie,
mußte sich „übersteigerte” Ansprüche an
Umweltschutzmaßnahmen vom Halse schaf-
fen, mit der Reduzierung der Arbeitskräfte
schien es möglich, den industrienahen
Werkswohnungsbestand zugunsten von
Trennzonen als produktionszugeordneten
Flächen aufzugeben.
Das Kalkül hatte schon in den 70er Jahren
einige Schönheitsfehler: Wohnungsneubau
an der Peripherie und im Umland ging auf-
grund von steigenden Neubaumieten, stei-
genden Benzinpreisen und stagnierenden
Löhnen zurück. Wer die Wohnverhältnisse
im traditionellen industriellen Ballungskern-
gebiet kennt, konnte dennoch der Frage
nicht ausweichen, ob sich nicht technischer
Fortschritt hier radikal zugunsten des Baus
neuer Wohn- und Lebensbereiche an der
Peripherie und der Konzentration der Indu-
strien im klassischen Ballungskern anwenden
ließe. Meine Position des Grundrechts auf
Bestandssicherung und Entwicklung der vor-
handenen Wohnsiedlungsbereiche gegen-
über den damaligen industriellen Expan-
sionsansprüchen war vor allem aus der Ein-
sicht in die bevorstehende ökonomische und
soziale Entwicklung abgeleitet. Mir blieb
trotzdem vorstellbar, daß die Bewohner
einer Stadt sich zu ihren Bedürfnissen nach
Verbesserung des Lebens bei materiell abge-
sicherter Freiwilligkeit dynamisch verhalten
können, wie es die Abwanderung der Besser-
verdienenden ins Umland zeigt.
Aber Veränderung unter welchen Bedin-
gungen auch immer ist ein Durchsetzungsakt
mit Protagonisten, die ihre Projektionen/
Leitbilder der besseren Welt aus der gelebten
Erfahrung formulieren. Unter restriktiven
Lebensverhältnissen verbindet sich mit
Behausung der grundsätzliche Anspruch an
Sicherheit. In der Krise heute nimmt dieses
Grundrecht deutlicher Gestalt an:
Eine Wohnbevölkerung gewinnt — selbst
wenn sie von der Großindustrie in expansi-
ven Aufschwungphasen mit der aussicht auf
Arbeitsplätze und Existenzsicherung gerufen
wurden — durch ihr vor Ort gelebtes Leben
ihr existenzielles Selbstverständnis. Sie exi-
stiert mit ihren Lebenszusammenhängen
fort, wo der Sinnzusammenhang bisheriger
Arbeitsstrukturen über Nacht verloren geht.
Wo neueste und unter hohem Kapitaleinsatz
erstellte Produktionsanlagen entwertet und
in der Folge vernichtet werden, bleibt der
Gebrauchswert der Wohnungen bestehen.
Der Argumentationszusammenhang dreht
sich um: wo vor kurzem noch richtig
erschien, Wohngebiete zur Sicherung von
Arbeitsplätzen zu beseitigen, erweist sich
nun die Vernichtung von Arbeitsplätzen als
völlig unabhängig von dieser Vorleistung,
erweisen sich Menschen und ihre Behausun-
gen als längerlebig. Und von ihnen her for-
muliert sich die Nachfrage nach Arbeit —
nicht umgekehrt *
2. Eine Hand voll Beispiele
In der expansiven Phase, als die bundesdeut-
sche Stahlindustrie den europäischen Markt
bereits in ihrer Tasche glaubte, wurden hier
und da an den beengten Standorten des mon-
tanindustriellen Ballungskerngebiets die stil-
len Reserveflächen industrieller Expansion
mobilisiert. Eine Reihe klassischer Werks-
siedlungen unmittelbar vor den Toren der
Produktionsstätten gelegen, wurde nur noch
notdürftig instandgehalten und mit Auslän-
dern belegt. Die Einebnung dieser Siedlun-
gen erschien gegenüber einer teilweise mög-
lichen Einebnung veralteter und nicht mehr
genutzter Produktionsanlagen innerhalb der
Werksgelände als der entschiedenere Schritt
in die gewünschte Zukunft abgeschirmter
großflächiger Produktionsareale.
Dortmund — Hoerde
Im Interesse der Hoesch Stahl AG wurde
Ende der 70er Jahre die alte Werkssiedlung
Felicitas des früheren Hoerder Hüttenver-
eins von einem Immissionsschutzwall begra-
ben. Hier wie anderswo war die Maßnahme
politisch durchsetzbar, weil sich die der
Hütte verbundenen Bewohner überzeugen
ließen, daß letztenendes nur eine expandie-
rende Industrie zukunftsorientierte Arbeits-
plätze garantiere.
Wenige Jahre später, als sich die Eurostra-
tegie der Stahlindustrie als Fehlspekulation
erwiesen hatte und Hoesch als erstes Opfer
des Kapazitätsabbaus feststand, war die
Hoerder Hütte als erste Streichung unstrit-
tig. Der Immissionsschutzwall wird allein als
Mahnmal zurückbleiben.