Frau geht dann ins Haus - der Mann bringt
den Müll weg und geht dann merklich
schneller als beim Rausgehen in das Haus
zurück.
Eine ca. 40- bis 50jährige Frau kommt aus
dem Haus mit einem Müllbeutel - geht mit
eiligen Schritten auf den Müllcontainer zu, die
an der Straße stehen - Sie schüttelt den Müll
aus dem Beutel in den Container - schaut sich
um - sammelt nun Blätter, die unter den
Sträuchern liegen - steckt sie in den leeren
Müllbeutel - ca. 10-15 Minuten lang, wobei sie
den Beutel zwischendurch leert - dann wirft sie
den Beutel samt Blättern in den Container und
verschwindet im Haus.
Der Sinn der Tätigkeiten liegt außerhalb
der Notwendigkeit, den Müll wegzubringen:
Der Gang zum Müll wird zum Anlaß, nach
draußen zu kommen‘ und zur Chance,
Kontakte zu haben. Der Wunsch nach
Kontakten läßt sich aber nur über Alltags-
tätigkeiten - sozusagen nebenbei - inszenieren
und eröffnen, benötigt einen Vorwand zur
Nutzung und Auskundschaftung des Wohn-
standortes.!* Die Wahl des Ortes entspricht
der Erfahrung, daß dort, wo das Kommen und
Gehen stattfindet und sowohl die Straße als
auch die Haustür im Blickfeld liegen, die
Wahrscheinlichkeit, ins Gespräch zu kom-
men, am größten ist.
Außerhalb solcher Tätigkeiten treten Er-
wachsene im Zusammenhang mit Kindern
und Kinderspuren in Erscheinung. Die Kinder
werden in der Siedlung dominant sichtbar.
Die Spielorte konzentrieren sich auf zwei
Bereiche: den Übergangsbereich zwischen
Gebäuden und Straßenraum; und einen
blockinternen Rückzugsbereich entlang einer
bewachsenen Grenze.
Liegen die Gebäude mit ’dem’ Gesicht zur
Straße, so wird der ”Türbereich’ intensiver von
Kindern besetzt als bei den Gebäuden, die
senkrecht von der Straße weg aufgestellt sind.
An den Spuren wird das sichtbar: Spielgerä-
te, Dreirad, abgetretener Rasen, Zeichnungen
am Haussockel, Stöckchen im Lichtschacht-
gitter ... Bei unserem Beispiel begünstigt ein
topografischer Zufall’ die Entstehung eines
begrenzten Vorplatzes: Er wird durch eine
Böschung vom Gehweg zum Haus eindeutig
begrenzt. Drei Stufen führen in den abge-
senkten Bereich. Die Schwelle vor der Tür
führt mit einer Steigung ins Haus. Treppe,
Böschung und Absenkung auf Eingangsni-
veau organisieren diese Zone zum Haus und
schränken den Öffentlichen Zugang ein.
Kinder aus der Nachbarschaft kommen dazu.
Die Straße wird intensiv in das Spiel
einbezogen: Federball, Rollschuhlaufen, Kett-
carfahren; aber Fußball steht an erster Stelle.
Bei den zur Straße orientierten Blöcken
haben die Haustürbereiche, die ’Vorgärten’,
die Funktion von Spiel-/Beobachtungspo-
sten, von denen aus die Straße kontrolliert
und einbezogen wird und auf welche man sich
wieder zurückziehen kann.
Bei den senkrecht mit der Giebelwand zur
Straße stehenden Zeilen fehlen diese Tür-
bereiche. Hier sind deshalb die Müllplätze an
den Wohnwegmündungen auf die Straße der
wichtige ’Anhaltspunkt’, ebenso die fast
fensterlosen (Schlafzimmer-)Giebelwände mit
den Kelleraufgängen. Hier ist man geschützt
und hat einen guten Überblick. Ebenso wie
aus den Verstecken unter den Erdgeschoß-
balkonen, dem Gebüsch an der Hausecke
nebendran oder da, wo der fensterlose
Kellersockel fast 2 m über den Boden ragt.
Ein 3- bis 4jähriger Junge kommt aus dem
Haus - bleibt eine Weile vor der Tür stehen -
hält Ausschau - nichts zu sehen - zieht seine
Handschuhe an - überlegt - schaut auf die
andere Straßenseite - geht über die Straße an
die Mülltonnen - klopft zwei- bis dreimal an
die Eimer - geht wieder zurück an seine
Haustür - zieht die Handschuhe aus und steckt
sie in den Briefkasten - schlendert wieder über
die Straße zu den Mülleimern - setzt sich
davor - schaut umher - klopft mit einem Stein
auf den Boden -steht wieder auf - schlendert in
Richtung Zaun über den Rasen - blickt den
Blättern nach, die vom Wind aufgewirbelt
werden - tritt die Blätter mit dem Fuß in die
Luft - verschwindet dann durch ein Loch im
Zaun in den Büschen auf der anderen Seite ...
Die Siedlung enthält ein Trampelpfadnetz,
das diesen Zaun in der Mitte der Siedlung mit
den Straßen verbindet. Der bewachsene Zaun
ist das Resultat der Realisierung der Siedlung
in zwei Abschnitten und auf zwei Grund-
stücksparzellen. Aus grünplanerischer Sicht
ist die dadurch entstehende Randbildung
störend. Sie paßt nicht in das Konzept von
’aufgelockerter Weite’.
Parallel zum Zaun teilt eine 3 bis 4 m hohe
langgezogene Böschung die Siedlung in zwei
Teile. Diese Zone bildet einen blockinternen
Rückzugsbereich, einen „Spiel- und Streif-
raum“ (Muchow, M. und Muchow. H), wie
wir ihn von Stadtrandlagen oder Siedlungs-
rändern kennen. Der an mehreren Stellen
durchbrochene oder heruntergedrückte Zaun
(„unsere Hängematte“) ist als durchlässige
Grenze konstutierend für seine Bedeutung als
Treffpunkt, Schutz, Höhle („unser Haus“).
Kletter- und Ausgangsort für Erkundungen.
Die Erwachsenen benutzen diese Durchlässe
und Trampelpfade mit, wenn auch selten, und
meist auf das Kommen und Gehen reduziert.
An der Siedlung und ihren Spuren der
Nutzung ist besonders auffällig, daß überall
dort, wo das planerische Programm unperfekt
gemacht ist und ’Lücken’ entstehen, sich die
Chance für Besetzungen - hier dominant
durch Kinder - bietet; Freiräume entstehen -
völlig gegen jede planerische Absicht.
Im relativ intensiven Bild der Benutzung
macht sich die Alterstruktur der Siedlung
bemerkbar: die Dominanz von Familien mit
Kindern. Das ’massive’ Auftreten von Kin-
dern definiert einen Nutzungsanspruch, der
sich nicht durch Kontrolle und Disziplinie-
rung reduzieren läßt. Gleichzeitig ergibt sich
dadurch auch für die Erwachsenen ein
geringer, aber immerhin ein Spielraum, die
von den Kindern gelegten Spuren in Anspruch
zu nehmen und Anlässe zu haben. nach
draußen zu kommen.
Beispiel 2
Gebaut wurde die Siedlung von 1956-1961,
Herstellung des Wieder-wie-neu-Zustandes,
sprich Modernisierung, von 1977-1982. Er-
neuert wurden die Wege in Verbundsteinen,
Balkone wurden angebaut, Fassaden reno-
viert, Nachtspeicherheizung eingebaut - Er-
höhung der Miete um 50%! Auch der Zustand
draußen wurde verjüngt, ein gärtnerischer
Pflegetrupp kappte 30 Jahre alte, hochge-
wachsene Sträucher bis 10 cm über dem
Boden.
Was hat sich in 25 Jahren getan?
Zwischen den Erschließungswegen und den
Hauswänden fallen Blumenbeete auf, die
offensichtlich von den Bewohnern angelegt
und gepflegt werden. Je nach Platz zwischen
Weg und Wand hat man /frau sich - jedes Jahr
ein Stück mehr - ausgebreitet. Manche
weichen seitlich aus, immer an der Wand lang
und um die Ecke an die Giebelseiten. Über den
Weg hinaus, in die Rasenfläche hinein geht es
nicht; dafür ist die Distanz zu groß, die
rückendeckende Hauswand fehlt, die Nach-
barschaft zum unmittelbaren Zuständigkeits-
bereich, der Wohnung. Der Anlaß fehlt,
hinstellen und gucken reicht nicht aus.
Da, wo in den letzten Jahren (Moderni-
sierung) mit Balkonen diese Zone überstellt
wurde und Gerüste standen, wurden die
zaghaften Versuche nach draußen zu wohnen.
d.h. zuständig sein, etwas verändern zu
können, zunichte gemacht.
Einige fangen von vorne an, andere haben
es aufgegeben, wieder andere harken ab und
zu vor der Tür Laub zusammen, um ’mal raus’
zu kommen. Wo die Eingänge mit den
Balkonen zusammenliegen, hängt Frau L.
gerade Wäsche auf, als ich mit dem Rad
vorbeikomme. Mich als Fremden erkennend
fragt sie, ob sie mir helfen kann.
Frau S. arbeitet eine Haustür weiter in
ihrem Vorgarten, an dem gerade die Nach-
barin von obendrüber vorbeikommt. „Na,
wieder fleißig?“ „Ja, die Zwiebeln fürs
Frühjahr müssen in die Erde.“ Nur die Staude,
die ihr Sohn aus Brasilien mitgebracht hat,
„will hier nicht so recht wachsen.“ Er wird sie
über Weihnachten wieder besuchen.
An den Hausschuhen, dem Kittel und dem
Hausschlüssel in der Hand ist die Nachbarin
Frau K. von gegenüber erkennbar. Sie hat von
ihrem Balkon Frau L. bei der Arbeit im
Vorgarten entdeckt. Auf Zuruf: „Frau L.,
hören Sie mal ...“ ist es ihr möglich, über den
Rasen zu ihr zu kommen. Die Frauen kennen
sich schon eine Weile, sonst wäre der Abstand
zwischen den Häusern zu groß.
Frau trifft sich auf dem Weg zum Müll-
container; oder am Laden in der Siedlung.
Bevor er um drei Uhr öffnet, stehen hier schon
mehrere Kundinnen, so hat frau noch Zeit
zum Plausch. Was mit der Nachbarin von
nebenan vor der Haustür nicht mehr möglich
ist aufgrund fehlender Anlässe, findet vor und
im Laden statt.
Die Beete als Wunsch, etwas zu tun und als
Anlaß zur Kontaktaufnahme zeigen die Not,
das Fehlen einer persönlich/privat verfüg-
baren Basis im Außenraum.
Die Realisierung der Beete und die ’Schein-
tätigkeiten’ zeigen, daß die Norm dessen, was
man sich in solchen Verhältnissen erlaubt zu
tun, extern definiert ist - von der Baugesell-
schaft und dem gärtnerischen Standard
abhängt. Die Vorgartenpflege ist von der
Baugesellschaft nicht akzeptiert aber wenig-
stens geduldet, weil sie das ’schöne Bild’ der
Gesamtanlage nicht stört. Man macht also
eine Arbeit, die ins Bild paßt. Sie fällt nicht ins
Gewicht und nich? aus dem Rahmen.
Ärger gibt es mit den Kindern der Bundes-
wehrsiedlung gegenüber; „Wenn die jungen
Offiziersfrauen mittags ihre Ruhe haben
wollen, schicken sie uns ihre Bälger auf den
Hals. Die machen uns ja so schon genug
kaputt; Blumen abknicken, Dreck an die
Fenster oder Beeren ins Schlafzimmer schmei-
ßen - als Rache, wenn ich denen mal sage, sie
sollen ruhiger sein, oder dahingehen, wo sie
herkommen.“ „Früher haben unsere Kinder
auch immer da gespielt; sie durften es zwar
auch nicht, immer wenn der Hausmeister
(Siedlungsmeister) auftauchte, verschwanden
sie kurz, bis er wieder weg war. Da hat uns das
auch nicht soviel ausgemacht, irgendwo
müssen sie ja spielen. Aber heute ist man das
einfach nicht mehr gewöhnt; man wird ja auch
empfindlicher im Alter.“
Daß sich Empfindlichkeiten insbesondere
auf fremde Kinder beziehen, zeigt folgende
Schilderung: „Wenn meine sechs Enkelkinder
zu Besuch sind, so an Geburtstagen oder
Weihnachten, spielen sie auch immer da
draußen. Wir hatten schon überlegt, ob wir
nicht in den zweiten Stock ziehen sollten, wo
wir doch jetzt keine Kinder mehr haben, aber
meine Enkel tragen oft Holzlatschen, und das
würde im Treppenhaus viel Lärm geben und
Ärger mit den Nachbarn.“
Das eigene Verhalten Nachbarn gegenüber
ist angepaßt an die eigene Empfindlichkeit
Fremden gegenüber. Eine Hausordnung ist
nicht mehr notwendig, die baulichen Vor-
gaben veranlassen die Bewohner, ihre Bedürf-
nisse den Verhältnissen und nicht die Verhält-
nisse ihren Bedürfnissen anzupassen. !5