Mögliche Ausprägungen der Polarität
von vorn und hinten
oben: bei gespiegelter Anordnung bilden die Gebäude selbst die
Grenze zwischen vorn und hinten unterschiedlichen Raum-
charakteren.
fl
1
unten:
Vorn: halböffentlich
Hinten: gemeinschaftlich: die
schwächste der möglichen Polaritäten
Jorne: öffentlich, Hinten-privat
Vorn: öffentlich,
Hinten: halböffentlich
A
fl
V
Vorn: öffentlich
Hinten: gemeinschaftlich
tere, welche die Geltung der traditionellen
Charaktere unterhöhlen oder verdrängen. Es
sind dies
Vorn: halböffentlich
Hinten: privat
® eine Vielzahl von institutionell-monofunk-
tionalen Räumen; dazu gehören alle Be-
triebe der Arbeitswelt, aber auch die dem
Fahrverkehr vorbehaltenen Flächen. Sie bil-
den separate Lebenswelten für sich, in denen je
besondere Verhaltensregeln gelten.
® diffuse Räume; sie zeichnen sich dadurch
aus, daß unklar ist, welche Verhaltensre-
geln gelten. In den meisten Fällen handelt es
sich um Grünflächen, die zwischen halböf-
fentlichem und gemeinschaftlichen Charakter
changieren, also vor allem das Distanzgrün
zwischen den Gebäuden der Geschoßwoh-
nungsbau-Siedlungen der Nachkriegszeit.
® anonyme Räume; das sind alle nicht sozial
kontrollierten Räume, in der Regel privat
nicht belegte Räume. Wo sich die Gebäude
von der Straße abwenden, wo Mauern (v.a. im
Erdgeschoß keine oder nur sehr kleine Öff-
nungen haben, wo es überhaupt kein raumbe-
grenzenden Gebäude gibt, wird sich immer
dann ein anonymer Raumcharakter einstel-
len, wenn nicht durch den Aufenthalt meh-
rerer Menschen, die erwarten lassen, daß man
ihnen angstfrei begegnen kann, die Verhal-
tensregeln des öffentlichen Raums als gültige
herausgestellt werden. Auch unzugängliche
(gemachte) Flächen gehören zu den anony-
men Räumen.
Die uns interessierende Frage ist: wie werden
die unterschiedlichen sozialen Raumcharakte-
re durch baulich-räumliche Mittel als solche
kenntlich? Wie können städtebauliche Anord-
nungen und Zuordnungen dazu beitragen,
daß
® öffentliche, nicht anonyme oder mono-
funktionale
® gemeinschaftliche, nicht diffuse
9 private,
kurzum zum aktiven Gebrauch, nicht bloß
zum Anschauen geeignete Freiräume ent-
stehen können.
® Sie ermöglicht Wahlfreiheit zwischen Be-
reichen, die für unterschiedliche Personen
kreise offen sind.
Grenzbildung zwischen den unterschiedlichen
Bereichen ist für beides Voraussetzung. Ge-
rade, weil die Menschen in den Städten recht
dicht nebeneinander leben, gilt es den Raum
so zu organisieren, daß soziale Distanz trotz
räumlicher Nähe möglich ist.„Die Grenze ist
nicht eine räumliche Tatsache mit soziologi-
schen Wirkungen, sondern eine soziologische
Tatsache, die sich räumlich formt“, stellte
Georg Simmel dazu fest. Dies bedeutet aber
auch umgekehrt: Die Grenze muß sich
räumlich formen, es bedarf der räumlichen
Grenzbildung, damit die soziale Grenze sich
verorten kann, also nicht unsichtbar bleibt
und so Tabuzonen schafft. Menschen, die auf
der Wiese eines Parks lagern, halten auf Ab-
stand voneinander - wenn auch in sehr variab-
lem Maße. Schon ein Gebüsch oder ähnliches
genügt, daß sie wesentlich dichter aneinander-
rücken können, ohne sich zu stören, also bei
Aufrechterhaltung der sozialen Distanz. Um-
gekehrt macht das sprichwörtliche nachbarli-
che „Gespräch über den Gartenzaun“ eine
Dialektik deutlich: erst die Grenze ermöglicht
die räumliche Annäherung ohne Verletzung
sozialer Distanz und die räumliche An-
näherung kann den Anknüpfungspunkt für
den sozialen Kontakt bieten. Die Grenzen, die
uns allerdings vorrangig interessieren, sind
nicht die zwischen privaten Gärten, sondern
die zwischen unterschiedlichen Raumcharak-
teren.
unten: Bei gereihter Anordnung kehrt sich die Rückseite des einen
der Vorderseite des anderen zu. Die Grenze liegt im Außenraum.
Die fundamentale städtebauliche Grenzbil-
dung ist die durch die Gebäude selbst gebildete
Grenze zwischen vorderem und hinterem Be-
reich, zwischen öffentlichem (oder auch halb-
öffentlichem) vorn und privatem oder gemein-
schaftlichem Bereich (oder deren Kombina-
tionsformen) hinten.
Die Ausbildung eines geschützteren, Frem-
den nicht ohne weiteres zugänglichen rück-
wärtigen Bereichs bedingt nicht nur, daß die
Gebäude selbst die Grenze zwischen beiden
Bereichen bilden, sondern auch eine bestimm-
te Gebäudeanordnung und -erschließung. Die
Vorder- und Rückseiten der Gebäude müssen
sich jeweils einander zukehren, damit nicht die
Vorderseite des einen die Rückseite des ande-
ren ist. Die Differenzierung der städtischen
Räume in allgemein zugängliche vorn und ge-
schützte private bzw. gemeinschaftliche Be-
reiche hinten bedingt also die sog. gespiegelte
Anordnung, wie sie uns von der Blockbe-
bauung her geläufig ist.
Auch die Protagonisten des Neuen Bauens
hielten zunächst an der gespielten Anord-
nung fest. Erst gegen Ende der 20er Jahre wur-
de ein Anordnungsprinzip entwickelt, welches
die traditionelle Unterscheidung der städti-
schen Räume in vordere und hintere Bereiche
aufhebt: die sog. gereihte Anordnung. Kenn-
zeichnend für die Anordnung ist die Wieder-
holung der Abfolge: Erschließung, Gebäude,
Grünfläche. Die reinste, jedoch keineswegs
einzige Ausprägung hat sie im Zeilenbau quer
zur Straße gefunden.
Raumbildung - Grenzziehung
Die Ausprägung und Differenzierung unter-
schiedlicher sozialer Raumcharaktere dient
vor allem zwei Funktionen:
9 Statt genereller Durchlässigkeit schafft sie
ein abgestuftes System von Bereichen mit
sichtbaren Grenzen, die Verfügungsrechte
darstellen und den Zugang für Fremde
regeln.
Hausgärten direkt
an der Straße
gelegen.
Man sitzt auf dem
"Präsentierteller”
Folge: repräsenta-
tive Gestaltung nur
zum Anschauen,
nicht für den aktiven
Gebrauch.
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