Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

EOSZO N 
Le 
a 
a 
OO (© 
ey N N 
r 
1 
ve. 
+ 
al. 
ren Geschossen spielt nicht nur der Blick gera- 
de heraus aus dem Fenster („Aussicht“), eine 
Rolle, sondern auch die „Auf-Sicht“ auf den 
Gehweg und besonders den Eingangsbereich. 
Vor allem für Menschen, die sich viel in der 
Wohnung aufhalten müssen, ist die „Auf- 
Sicht“ darüber, was auf der Straße geschieht, 
wichtig. 
Dies kann durch Erker, vorspringende Win- 
tergärten,) Stehbalkons bzw. eine „porte de 
fenetre“ begünstigt werden. Diese räumlichen 
Elemente haben den Vorzug, in allen Geschos- 
sen einen Überblick über die Straße und den 
Eingang zu ermöglichen, wenn sie nicht selbst 
über dem Eingang. liegen. 
Die Sockelzone 
Im Erdgeschoß ist bei Wohngebäuden ohne 
Ladeneinbauten, vor allem wenn eine Vorzo- 
ne fehlt, unbedingt eine Sockelzone vorzu- 
sehen. Dies schützt die Erdgeschoßbewohner 
vor der Einsicht von außen und erlaubt umge- 
kehrt draußen erst den Aufenthalt vor den pri- 
vaten Fenstern. Die Sockelzone ist ein Mittel 
um Distanz zu erzeugen, aber Anonymität zu 
vermeiden. Beim Wiederaufbau der 50er 
Jahre fehlt häufig diese Sockelzone. Dort ist 
zu beobachten, daß die Rolläden schon sehr 
früh am Abend heruntergelassen werden. Ent- 
sprechend anonym wird der Charakter der 
Gehwege. Eine nachträgliche Reparatur die- 
Der zweite Aspekt, der hier behandelt werden 
soll, zielt auf die Beziehung zwischen Gebäude 
(bzw. Wohnung) und Straße, auf die Bildung 
des Straßenraums. Wie für alle anderen Frei- 
flächen, gilt auch für den vorderen Bereich, 
daß nicht allein die interne Gestaltung und 
Untergliederung des Raums seinen sozialen 
Charakter ausmacht, sondern daß die Art und 
Weise, wie die angrenzenden Räume und Ge- 
bäude sich ihm zuordnen, vorausgesetzt ist. 
Der öffentliche Raum lebt vom Bezug der Ge- 
bäude zur Straße, ohne diesen Bezug 
entstehen allenfalls monofunktionale (Ver- 
kehr) und anonyme Räume (keine soziale Be- 
legung). Das Charakteristikum des öffent- 
lich-städtischen Raums begründet sich gerade 
aus den typisch städischen Formen der Ge- 
staltung der Innen-Außenbeziehung. Dafür 
gibt es vom Stadtkern bis zu den Stadtrand- 
siedlungen ein breites Spektrum an möglichen 
Grundformen und Variationen, genauso wie 
im Hinblick auf die Nutzungsdichten der so- 
ziale Charakter der Straße von „zentraler“ 
Öffentlichkeit bis zur „Halb“öffentlichkeit 
changieren kann. 
Das Gesicht zur Straße 
Der öffentliche Charakter einer Straße wird 
kenntlich dadurch, daß sich die Gebäude auf 
sie beziehen, sich nicht von ihr abschotten. Die 
Inhalte dieser Beziehung freilich können sehr 
verschiedene sein. Es kann sich um konkrete 
Nutzungsbeziehungen, z.B. um die Auslage 
von Einzelhandelsgeschäften, um die einla- 
dende Gestaltung des Eingangsbereichs, um 
die Möglichkeit vom Fenster oder Erker aus 
zu beobachten und am Straßenleben teilzu- 
nehmen, handeln oder aber um Repräsenta- 
tion, d.h. die Darstellung des eigenen gesell- 
schaftlichen Status. Die Gestaltung dieser ver- 
schiedenen Innen-Außen-Beziehungen waren 
früher vor allem Aufgabe der Fassade und der 
Vorzone. Nur ein Haus, daß sich der Straße 
zuwendet, kann ein Gesicht, eine „facade“ ha- 
ben. Wenn die Zuwendung der Häuser zur 
Straße dieser erst ihren öffentlichen Charak- 
ter verleiht und sie als einen „Verhaltensraum“ 
mit eigenen sozialen Regeln kenntlich macht, 
so gilt auch umgekehrt, daß die Gebäude sel- 
ber nur über ihr Gesicht nach außen kenntlich 
werden. Erst diese Wechselbeziehung konsti- 
tuiert den städtischen Raum, als „sozial ge- 
faßten‘“, als „Zwischenraum per se“. Aller- 
dings wird mit dieser Aufgabe der Fassade als 
Vermittlungsglied und Grenze zugleich ein ge- 
stalterisches Problem angesprochen, das nach 
der gründlichen Ausrottung aller selbstver- 
ständlichen Bedeutungen - und damit einer ge- 
meinsamen Sprache zwischen Baumeistern 
und Baubewohnern, kaum mehr überzeugend 
lösbar erscheint. 
Auf-Sicht und Aussicht 
Der Bezug von Innen nach Außen ist im vor- 
deren - wie im rückwärtigen Bereich naturge- 
mäß je nach Geschoß verschieden. In den obe- 
oben links: Vorschlag zur Umwandlung von kollektiven, kaum 
genutzten Rasenflächen in Haus- und Mietergärten sowie drei 
kleinere Gemeinschaftsflächen. Den Erdgeschoßwohnungen 
sind die Gärten unmittelbar zugeordnet, (Dortmund-Davidis- 
straße, Arbeitsgruppe Bestandverbesserung) 
oben rechts: Schotten sich die Häuser gegenüber dem öffent- 
lichen Raum ab, so wird daraus ein fast anonymer Raum. Sied- 
lung Alberslund Syd, DK (Svensson und Co., 1963-68) 
oben: Sehr hohe Sockelzonen bedürfen auch eines breiten Bür- 
gersteigs ( wie er ursprünglich auch vorhanden war !) sollen sie 
nicht anonym werden. Nur das reiche Ornament kaschiert das 
Verbrechen. 
unten: Zwei bis drei Treppenstufen vor der Eingangstüre kön- 
nen eine Art Bühne sein wie die gezeigte Doppeltreppe. 
ses Fehlers ist nur möglich, wenn zugunsten 
einer privaten Vorzone die Straßenverkehrs- 
fläche verringert werden kann. Umgekehrt 
aber ist eine hohe Sockelzone kein Freibrief 
dafür, die Bürgersteige so schmal zu machen, 
daß man als Fußgänger nur noch Sockel, nicht 
mehr aber die Fenster sieht. Auch dies macht 
aus dem Bürgersteig einen anonymen Raum. 
Die weitaus schlimmste Form der Anony- 
misierung der Straße aber entsteht durch 
Fronten von Garagentoren oder durch aufge- 
ständerte Gebäude. Für die soziale Belegung 
der Straße ist gerade die Nutzung der Erdge- 
schoßzone maßgeblich. 
Die Inszenierung des Übergangs 
Der Bereich zwischen Gebäude und Straße als 
Zone des Übergangs zwischen „Privatem“ und 
„Öffentlichem“ bzw. die Fassade als Schnitt- 
stelle zwischen Innen und Außen haben über- 
all in der Stadt wie in der Vorstadt oder den 
Siedlungen, zwei widersprüchliche Aufgaben 
zu erfüllen: Sie sollen Grenzelemente und 
Vermittlungsglieder zugleich sein. 
Der Übergang zwischen öffentlicher und 
privater Sphäre bedarf immer eines besonde- 
ren räumlichen Inventariums. Er soll Raum 
schaffen für Annäherungen oder für Distanz- 
handeln. Er soll Verhaltensspielräume schaf- 
fen für Bewohner, Besucher oder Kunden, da- 
mit das Überwechseln von einem Bereich zum 
andern abgeschreckt, in Szene gesetzt oder als 
Verlockung erscheinen kann. Es ist ein „Ar- 
mutszeugnis“, wenn dieses Inventarium fehlt 
- ein Zeugnis für die ökonomische Armut des 
Eigners oder Mieters oder aber ein Zeugnis für 
die Erfahrungs- und Phantasiearmut des Ar- 
chitekten oder Planers.
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.