Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1984, Jg. 17, H. 73-78)

auf längere Sicht die Verallgemeinerung ganisieren, das dem Staat anbietet, bestim- auch spät genug gelernt, ihn zu würdigen 
solcher Zustände erspart bleiben sollte. te sozialpolitische Leistungen für ihn zuer- (erst, als die Parteigenossen mit ihrem 
Sich mit der Genossenschaftsform zu be- ledigen, ohne deshalb gleich Staatsange- Konsumverband unübersehbar dastanden, 
schäftigen, heißt, sich auf solche Zeiten stellter zu sein. Man muß dann auch ohne prägte Kautsky sein Drei-Säulen-Theo- 
einzustellen. Murren in Kauf nehmen, daß der Staat in rem), und sie kann noch heute nicht wirk- 
diesem Fall natürlich für sein Geld etwas lich mit den Prinzipien einer Genossen- 
sehen will, was ihm gefällt, und von seinen schaft umgehen, sie ist dafür einfach nicht 
Ein paar Folgerungen für jetzt Kontrollrechten ungeniert Gebrauch gebaut. Wenn, dann sind die Grünen der 
macht. geeignete politische Bezugspunkt, die neu- 
D as historische Material fordert zu ei- Sollte dieses Insistieren auf den Spielre- Old zB. das Obere ben der Kleinbau- 
ner Doppelbewegung auf: einerseits geln der Selbsthilfe altmodisch sein, so hie- ern zum Bestandteil ihres Europaparla- 
das Experimentieren mit neuen Genossen- ße das nur, daß die Genossenschaftsform ment-Programms gemacht haben. Der 
schaften, das im Kommen ist, auch ernst zu selber überholt wäre. Dann wäre es der Streit zwischen Ökolibertären und Ökoso- 
nehmen, andererseits aber die Genossen- schlechteste Dienst, den man einer mögli- zialisten geht genau um diese Orientierung 
schaftsform nicht mit den Zielen zu ver- chen neuen Zukunft der Genossenschafts- und wird sich für den entscheiden, der als 
wechseln, zu denen sie ein Weg sein soll. form leisten könnte, sie in ungefähren For- erster hier die Füße auf den Boden be- 
Zu beiden Seiten folgen jetzt hier noch ein men bloß als stolzen Namen zu zitieren, kommt. 
paar Anmerkungen. aber das wesentliche Element, die progres- 
Der Springpunkt des Ernstnehmens ist, sive Wendung des kleinbürgerlichen Besit- 
die Genossenschaftsform nicht vorschnell Z°8g°ismus, draußen zu lassen, weil man 
als Träger für Sozialpolitik zu verbrau- Echt unter den heutigen Bedingungen 
chen. Der Wunsch, ein Projekt über die Nic t u ist. Lieber einstweilen gar 
Runden zu bringen, ist verständlich. Eben- keine Genossenschaften, als solche angeb- 
so verständlich ist, daß aufgeklärtere Poli- lichen, die die Entwicklung auf Dauer 
tiker darin einen Ansatzpunkt sehen, aus schädigen, indem sie die Form zweideutig 
sozialpolitischen Sackgassen herauszu- machen. 
kommen, indem z.B. auf kommunaler _ Die zweite Seite betrifft die Gewöhnlich- 
Ebene Genossenschaften als Umsetzer keit der Form. Weil es um den sich freiwil- 
neuer Vorstellungen implantiert werden. lig assoziierenden Besitzegoismus geht, hat 
Hier kann es nur eine Linie geben: die die Sache nur Aussicht, WO man nicht in re- 
Spielregeln einhalten. Der Kern des Ge- ligiöser oder weltanschaulicher Dauererre- 
nossenschaftswesens ist nicht die allgemei- gung oder inständiger proletarischer oder 
ne politische Nützlichkeit — die mag sich sonstiger militanter Dauermobilisierung 
einstellen — sondern die Selbsthilfe, die begriffen sein muß, damit der Karren läuft, Bibliographische Notiz 
Beförderung des eıgenen privaten Vorteils pünktlich gearbeitet und abgerechnet wird, Der vorstehende Artikel ist nicht aus jahrelanger Kenntnis 
in sozialer Form. Genossenschaft heißt die Leute sich vertragen, die Objekte nicht der Materie entstanden, sondern ich habe mich aus gegebe- 
freiwillige Vergesellschaftung auf der Basis verkommen usw. Die Genossenschaft ist nem Sl f ie DES SE N einer NSien 
— nicht notwendigerweise des privaten Ei- keine heroische Form, sie ist eine Form der Vi ie in der Frage der sozialen Verhältnisse um 19° Jahr. 
gentums, wie die offiziellen Genossen- Gewöhnlichkeit, des Durchschnitts: der hundert, mußte ich erst-einmal den besonderen genossen- 
schaftstheoretiker behaupten — wohl aber Sozialen Mitte. Da haben ihre heutigen Schaftlichen Blickwinkel einnehmen lernen, was z.B. mein 
. . an isheriges Verständnis der liberalen Wirtschaftstheorie 
des privaten Nutzens. Dem egoistischen Ideologen vollkommen recht. Auch das einigermaßen umorganisiert hat. Für die Verfertigung die- 
Moment der Selbsthilfe entspricht das mo- neugegründete Genossenschaftsunterneh- ses Aufsatzes waren, in chronologischer Reihenfolge der 
ralische der Verantwortlichkeit und des Ri- men muß stimmen, muß Hand und Fuß ha- Autoren aufgeführt, folgende Bücher grundlegend: 
sikos. Wenn umgekehrt der Staat diese ben, von den Möglichkeiten der Mitglieder Die Frühsozialisten. 1789 — 1848. Hsg. v. M. Vester, Rein- 
Form, weil sie so praktisch ist, aufgriffe her: ihren finanziellen, beruflichen, zeitli- bek 1970, Bd. 1 (Owen, King, Fourier usw.) 
und ad libitum Genossenschaften insze- Chen Ressourcen. ner uC GE ELOEE eb 
nierte, dann fiele ‚diese eigentümliche Deshalb eignet sich die Genossen- ders., Fouriers System der sozialen Reform, (3. Aufl. 
Grundlage weg, es bliebe nur noch der mü- schaftsform auch nicht unbedingt dazu, so EEE Schritten und Redehr has. Im Auf- 
de, subventionierte, verwaltete Egoismus. etwas wie den Vorposten einer idealen trage des Allgemeinen Verbandes der auf Selbsthilfe beru- 
Genossenschaft würde zum bezahlten Job, oder Endzeitgesellschaft zu gründen, über- }enden N an EN 
mit dem Recht, daß man in der Tat dem haupt sich von anderen abzusetzen und be- theorie) Berlin ‘1909, Bd. N SChnien z ArbCHE INNE 
Staat einige dornige Dienstleistungsaufga- sonders zu sein, im Gegenteil. Sie ist nicht gung) Sn NO En SoiE eraphis Schulze-Delitzsch's 
ben abnimmt. ) . . auf eine Klasse und nicht auf Zukunft oder Fr. ae und Schriften: Aus der Arbeiteragitation 
Genau das zeichnet sich zur Zeit ab. Vollkommmenheit festgelegt, sondern auf 1862-64, hsg. v.F. Janaczek, München 1970 
Man sollte dann ganz klar sagen, was man Kleinproduktion, viele individuelle Quali- CHANCE) Ben Te bringe A walzung der Wissen 
will. Entweder, man organisiert sich sel- fikationen, auf lokal lösbare Probleme, _F. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe 
ber. Dann muß man das auch finanziell, bzw. auf Lösungsformen, die sich erst erge- der reinen Soziologie (1887), 3. Aufl, Berlin 1920 
kräfte- und qualifikationsmäßig durchhal- ben, wenn man Probleme zurückbringt auf We ES POS ee 
ten, so wie jeder kommerziell Gewerbe- den Rahmen lokaler Greifbarkeit und E. Bernstein, Geschichte der Berliner Arbeiterbewegung, 
treibende durchhalten muß. Eine Genos- Überschaubarkeit, wo dann aber auch der SB Velbert Die Wutsche Gewerbepolitik, Leipzig 1908 
DE I“ ea EEE ER Sachverstand derer, die am To re, Die deutschen Arbeiter-Konsumvereine, Berlin 
z.B. eine Anzahl Jugendlicher angeblic nächsten dran sind, wirklich A . 
Selbsthilfe betreibt, ekuseh aber on ei- Wird. Die Frage der RICO Un EC m SSL ME EI EEE 
nem ganzen Stab bezahlter Fachleute ge- wohl in Handwerk und Spezialtechnik wie zialen Not, 13. Auf. Jena 1916 A 
stützt werden muß, damit das Ganze nicht als Problem, wie die kleinen bäuerlichen F; Oppenheimer, Erlebtes, Erstrebtes, Erreichts. Lebense- 
sofort zusammenbricht. Die Genossen- Betriebe überhaupt noch überleben sollen N 
schaft wäre in einem solchen Fall nicht ein- ist von den Überlebensstrategien der alter. d<!s.; Der Aufbau einer jüdischen Genossenschftssiedlung 
mal ein zu hoch gegriffenes Projekt der Ju- nativen $zene dann gerade nicht mehr zu US). 00 TR EEE VE eu enkoners in Ba 
gendlichen, sondern eine Theterauffüh- trennen. Fingerzeige dahin gibt es. ja Zurück o Mensch zur Mutter Erde. Landkommunen in 
rung, mit der die dabei tätigen Fachleute durchaus, so z.B. bei den arbeitslosen oder EEE GER U 
sich den politischen Wunsch erfüllen, es von Arbeitslosigkeit bedrohten Architek- sen, Leipzig 1923 
möge doch eine solche Genossenschaft ge- ten, die beginnen, ihre Planungsqualifika- OS A CN der Genossenschaftsbewegung 
ben. tion sparsamer auf den Markt zu bringen, GE: Welser. N EHEN E FE cat. Göttingen 1964 
Oder: man verzichtet auf die Genossen- indem sie zugleich praktische Bauaufgaben © ders., Genossenschaften, Hannover 1968 
schaftsform und stellt sich auf den Stand- Übernehmen, in Richtung Bauhütte. nn ET MAI MMS GROSS 
punkt, daß für das private Anbieten von Eins scheint mir ganz klar: der Weg geht Gandenberger, Die Konzentration im Bereich der deut- 
Qualifikationen der Markt nicht mehr vor- keinesfalls zurück zur großen sozialdemo- kn Konsumgenossenschaften nach dem 2. Weltkrieg, 
handen ist und nur der Staat überhaupt als kratischen Genossenschaftskultur der Redaktionskollektiv der Betriebszeitung, Interview mit T. 
Käufer in Frage kommt: dann läßt sich das zwanziger Jahre. Das war ein Trieb am Bergmann, in: taz v. 5.8. 1982 ; 
ja ohne weiteres als normales Gewerbe or- großen Baum, nicht mehr. Die SPD hat akut SE En Ar Geschichte und
	        
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