Vermittlungsfunktion. Der Raum, von einem anderen Zeitbudget
seiner Bewohner bestimmt, kann gleichsam verflüssigt werden, die
Tauschplätze, die Kommunikation neu bestimmt werden. Mit die-
ser neuen Zeiterfahrung erhält die Stadt eine Gefahr und neue
Chance zur Stadtgestaltung: eine neue Dinglichkeit wird gefordert
sein.
Stadt macht krank, heißt es, sie macht Atembeschwerden und
Neurosen, sie macht aggressiv, drogensüchtig, kriminell: Stadt
macht Angst. Das ist aber nur die eine Seite. Die neuen Technolo-
gien eröffnen aber auch Chancen. Eine ganze Architekten-, Pla-
ner- und Soziologengeneration ist wieder einmal aufgefordert, die
neuen alten Probleme in den Griff zu bekommen, ohne allerdings
die Chance zu haben, auf das „Gesamtkunstwerk” auszuweichen.
Notwendig sind allerdings Bestandsaufnahmen — und auf dies wei-
sen Stadtplaner wie W. Christ hin:
1. Wie sehen die Kontinuitäten aus?
2. Wie beeinflußt überlokale Information den Stadtraum?
3. Wie sehen die Substitutionskonkurrenzen räumlich-technischer
Kommunikation aus?
Die Bronx in New York, 1980 4 Wie sehen stadträumlich vermittelte Funktionen aus?
Der Ring um die City: ist es nicht ein bewußt dem Verfall preisge-
gebenes Spekulations- und Verödungsgebiet? Ungewisse Zuflucht Stadt — Kontinuitäten?
für die, die aus der Konkurrenz um die wohnlicheren Teile heraus-
fielen. Täuschen wir uns nicht durch die bunt aufgefrischten Vier- Wer an die Zukunft geht, hat sich zurückzuversichern! Dabei ist es
tel und Quartiere der Mittel- und Oberschicht über die Krise unse- wichtig zu wissen, daß es auch für die Architektur 1945 keine Stun-
rer Umwelt und Stadt hinweg? Sicher, dank städtischer Revitali- de Null gegeben hat. Wie viele andere, blieben auch zahlreiche ih-
sierungspolitik und steuerbegünstigter Eigentumsbildung ist inner- rer Vertreter in einflußreichen Positionen. Sie hatten die Pläne für
städtisches Wohnen wieder attraktiv gemacht worden. Aber das den Wiederaufbau noch aus dem „Wiederaufbaustab” Albrecht
Ergebnis ist auch: steigendes soziales Gefälle in der Stadt und Ver- Speers (Vittorio M. Lampugnani). „1948 veröffentlichte der Stadt-
nichtung von billiger Wohnfläche, die noch größere Belastung der planer Hans Bernhard Reichow, der 1941 „Grundsätzliches zum
bereits von Krise und Arbeitslosigkeit eher Betroffenen. | Städtebau im Altreich und im neuen deutschen Osten” zu sagen
Am ausgefransten Stadtrand, entgegengesetzt und getrennt: die wußte, sein Buch „Organische Stadtbaukunst”, in welchem er den
monströsen Wohnwüsten und Schlafsilos, Großkaufhäuser, Groß- Weg „von der Großstadt zur Stadtlandschaft” propagierte” (V.M.
hallen, Fabrikanlagen. Jeden Tag eine umgekehrte Völkerwande- 1 ampugnani). Rückzug in die Kleinteiligkeit, um Unauffälligkeit
rung: die aus den heruntergekommenen Vierteln zu den Fabriken zu demonstrieren. Adenauers Hausbesitz- und Siedlungspro-
am Rand. Täglich müssen Massen noch m die Zonen des Woh- gramm knüpfte nahtlos an das Reichsheimstättengesetz von 1920
nens, des Lernens, des Arbeitens, des Einkaufens etc. transpor- an, mit dem jeder Arbeiter in einen „Miniaturvillenbesitzer” und
tiert werden. E . . „Miniaturgutsherrn” verwandelt werden sollte (Alexander
Die Stadt hat die Umlandgemeinden längst eingeholt, überrollt Schwab). Wir sollten diese Idyllisierungskontinuität beachten.
und mit Beton überzogen, Land verstädtert. Wie Polypenarme Die nächste Kontinuität: Die ehemalige Avant-Garde kam aus
zerschneiden Stadtautobahnen, Straßen, Nahverkehrsnetze die dem Exil zurück. Der International Style eignete sich ihrer Mei-
Stadt. Die Eisenbahn weicht, wo sie nicht rentabel ist — dem Indi- nung nach besser zur Repräsentation von „Ehrlichkeit”, „Durch-
vidualverkehr. Die Bahnhöfe werden überflüssig, verschwinden sichtigkeit” und „Offenheit” der neuen Demokratie (V.M. Lam-
unter die Erde, Rathäuser in Kaufhäuser. Wo auch Straßen neuen pugnani). Was beide einte, war die gemeinsame Verpflichtung zur
Fußgängerbereichen weichen mußten, waren auch SIE unrentabel Vergangenheitsbewältigung und die Abgrenzung gegenüber dem
geworden. Die „Verkehrsberuhigung”, gerne Humanisierung ge- Osten. Ungebrochen ging man an den Neuaufbau, auch als politi-
nannt, dient dazu, den Citybereich exklusiven Bedürfnissen zu öff- sches Programm. „Was blieb, nachdem Bombenangriffe und End-
nen: den Besuchern der Theater, Boutiquen, Restaurants, Cafes, kampf eine menschliche Auflockerung vollzogen, gibt uns die
Bars, Nightclubs. Den Massenbedarf befriedigt man außerhalbim Möglichkeit, eine Stadtlandschaft zu gestalten” , so Hans Scharoun
autogerechten Shopping-Center. Man erholt sich im Fitness-Cen- zu seinem „Kollektivplan” , der nichts mehr vom historischen Ber-
ter. Konsum als Ersatzbefriedigung. Kunstlichtkult und Neon- lin übrigließ (Vittorio Lampugnani). Die Geschichte sollte abge-
Halbwelt. Oder Ausweichen: in die heile oder brutale Videowelt, schüttelt werden, jetzt endlich die alten Prinzipien realisiert wer-
die dröhnenden Diskotheken, „Krieg-der-Sterne”-Salons. Oderin den. Dieser ersten Euphorie fielen nicht nur die Monumentalbau-
die Schrebergärten im Gleisdreieck, die Kleingärtner-, Kleintier- ten der Nationalsozialisten oder ihre Quartiere zum Opfer, son-
zuchtvereine. Oder in die Zweithäuser in der irgendwo vielleicht dern auch ganze Stadtviertel. „Der Krieg mit rauher Hand” habe
noch unbeschädigten Natur. Oder in die intellektuelle Mobilität. eine längst überfällige Sanierung bewirkt”, meinte Rudolf Hille-
Oder in die Fußballstadien als Ersatz-Schlachtfelder, oder, oder — brecht, 1948 Stadtbaurat in Hannover, ehemaliges Mitglied im Pla-
noch gibt es Ecken und Nischen, die Flucht möglich machen. Auch nungsstab Speer; mit Hilfe „organisch schwingender Verkehrsfüh-
die heutige Stadt lebt also noch vom Gesetz der Vergegenständli- rungen, die dem neuen Bewegungsgefühl” entsprächen, wollte er
chung eines ständigen Trennungsprozesses, einer Bewegung die die Stadt „gestalterisch in den Griff” bekommen (Vittorio Lampu-
„Stilisierung” (Elias), „Rationalisierung” (Weber) oder „Ausdiffe- gnani). Hannover hat sich unter seiner Leitung in ein „Konglome-
renzierung” (Habermas) genannt wurde. rat monofunktionaler Inseln verwandelt, die dank gigantischer
Noch schafft die Stadt Infrastruktur, verstädtert Land grob- —Verkehrsdurchbrüche unablässig vom Fahrzeugstrom umspült
schlächtig mit ihrer stadtraumprägenden Infrastruktur des 19. werden” (Vittorio Lampugnani).
Jahrhunderts. Aber dies scheint angesichts der neuen Informa- Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Ich will aber nicht
tionstechnologie an einem Endpunkt angekommen zu sein: Der bei der Kritik bleiben. Die heute Verantwortlichen, die Kommu-
Ausbau ist gesättigt. Die Grenzen der alten Kommunikations- nalpolitiker, Stadtverwalter und -planer, bekommen das Problem
strukturen werden durch die neuen Medien hinfällig werden. Der offenbar nicht in den Griff. Ich formuliere dies nicht als Schuldzu-
Massentransport entfällt. Die Zentralen werden kleiner werden, weisung. Die Probleme liegen tiefer. Die Utopie hat ihren Preis.
Management, Personalabteilung, sie benötigen noch „Raum” — Trotz ihres umfangreichen Planungsinstrumentariums müssen die
aber sonst kann das Wohnzimmer Arbeitsplatz werden. Arbeit Städte versuchen, in Konkurrenz untereinander ihre Anteile am
und Wohnen können also wieder zusammengehen, der Faktor Zeit Steueraufkommen zu halten. Denn die Städte bluten finanziell
wird reduziert. Territorium und Raum lösen sich von der Stadt. aus: durch die Abwanderung der finanzkräftigen Bewohner blei-
Der „Dampf”,.die alte Energietechnik, hat ihren Beitrag zur Ur- ben ihnen die Problemgebiete mit den unverhältnismäßig hohen
banisierung erschöpft. Stadtraum und Architekten verlieren ihre sozialen Kosten für soziale Dienste und öffentliche Sicherheit. Die