Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1984, Jg. 17, H. 73-78)

Sollte Bildschirmtext zur Verarmung These 3: privaten Sektoren verknüpft, hebt das 
sozialer Kontakte, zum Rückzug in die Bildschirmtext kann dennoch (als Trend- System die funktionale und räumliche 
eigenen vier Wände beitragen können, verstärker) in größerem Maße zur Verän- Trennung der privaten von der öffentli- 
müßten zunächst die Nutzer bereit sein, derung von Teilen des privaten Alltags Chen Sphäre auf. Der Btx-Nutzer kann 
personale Kommunikation durch elek- von Personen und Haushalten beitragen Während seiner privaten freien Zeit mit 
tronische Kontakte zu substituieren. als etwa eine Erhöhung der Zahl von Hilfe des elektronischen Systems Kon- 
Empirische Hinweise auf eine solche Fernsehprogrammen durch das Kabel- takt aufnehmen mit Institutionen und 
Bereitschaft sind in den Daten der TV Organisationen im Bereich von Handel, 
Begleitforschung nicht zu entdecken. Wirtschaft und Öffentlichkeit und 
Bildschirmtext hat. vor allem- dort Anders als das Fernsehen hat Bild- braucht dazu den Ort seiner Wohnung 
Chancen, in größerem Umfang einge- schirmtext zwar offenbar keine nennens- Nicht zu verlassen; auf dem gleichen 
setzt zu werden, wo es um die Entlastung werten Auswirkungen auf den zwischen- Wege ist er umgekehrt auch jederzeit er- 
von eher lästigen Routinekontakten menschlichen Familienalltag, auf die reichbar. War bisher durch entsprechen- 
geht. Um zu einer Passivierung der Kommunikationsstruktur innerhalb der de Haushaltsausstattung die Zurückver- 
Nutzer zu führen, müßte Bildschirmtext Familie. Angesichts der geringen Zeit, lagerung von Produktionsfunktionen 
fertige Informations- und Dienstlei- die mit Bildschirmtext verbracht wird und materiellen Dienstleistungen zu be- 
stungspakete bereitstellen, so daß der (durchschnittlich nur 30 bis 35 Minuten obachten, so wird nun prinzipiell auch 
Nutzer bisherige Aktivitäten durch den pro Woche in der Summe aller Haus- die Verlagerung nichtmaterieller Dienst- 
„Konsum“ von Bildschirmtext ersetzen haltsmitglieder), ist dies schon quanti- leistungen in den privaten Bereich des 
könnte. Btx-Angebote können aber - tativ nicht möglich. Es ergibt sich aber Haushalts möglich (zu den Beispielen 
anders als etwa Fernsehprogramme - auch aus der Art der Nutzung: Wer Bild- dafür s.u.). Die hohe Akzeptanz gerade 
gerade nicht durch den Druck auf einen schirmtext einschaltet, tut dies im der interaktiven Btx-Angebote stützt die 
Knopf in Betrieb gesetzt und dann passıv Normalfall allein (nur selten kommen These, daß das Medium den gegenwärti- 
konsumiert werden. Das System verlangt auch andere Haushaltsmitglieder hinzu) 82 gesellschaftlichen Trend zur techno- 
relativ klar vorab definierte Nutzungs- und mit einem vorab zumindest in den logisch orientierten Rationalisierung von 
ziele, es erfordert den „aktiven Nutzer“. Grundzügen festliegenden Nutzungs- Handlungsvollzügen in den Privatbe- 
Andererseits übersehen aber auch die- ziel. Die Regel ist also die Benutzung reich verlängern helfen ‚und so Zu Einer 
jenigen, die sich von den neuen Möglich- durch Einzelpersonen - nicht durch die „Rationalisierung alltäglicher „Kom- 
keiten Aktivierungseffekte versprechen, Familie -, und zwar nicht zur Unter- Munikation mıt der Folge einer „Jang- 
die immanenten Beschränkungen des haltung, sondern bei Vorliegen sachli- fristigen Veränderung alltäglicher Ge- 
Systems. Zwar werden Angaben über cher Bedürfnisse. Das Familienleben Wohnheiten und Handlungen (Janshen 
Orte, Termine und Inhalte von öffent- wird dadurch weniger tangiert als durch !981) beitragen kann. 
lichen, politischen Veranstaltungen, von das Lesen der Tageszeitung (letzteres 
Vereinsaktivitäten usw. über Bildschirm- kommt nämlich häufiger vor). 
text leichter zugänglich. Doch ist Bild- Dagegen sind die durch Bildschirm- 
schirmtext als Instrument zur Werbung text gebotenen Optionen sehr wohl kon- 
neuer Interessen ungeeignet. Der Abruf gruent zu einigen im folgenden behan- 
von Informationen. setzt ein gezieltes delten Trends bei der Strukturierung der 
Interesse und die grundsätzliche Aktivi-  Organisationseinheit „Haushalt“ ebenso 
tätsbereitschaft immer schon voraus. wie bei der Bewältigung von Alltagsauf- 
Dies schränkt den Einsatz des neuen gaben in der sog. „Halbfreizeit“ 
Mediums zum Zwecke der Aktivierung 
von Bürgern auf den Personenkreis ein, 
der bereits potentiell aktiv ist. Trend zur Technisierung des privaten 
Aus ähnlichen Gründen ist auch - zu- Haushalts 
mindest auf kurze oder mittlere Sicht - 
nicht im Ernst damit zu rechnen, daß Der private Haushalt zählt zwar (noch) 
Bildschirmtext zum Abbau bestehender nicht zu den hochorganisierten Berei- 
Unterprivilegierungen im Informations- chen in unserer Gesellschaft. Doch darf 
bereich beitragen könnte. Zwar erleich- nicht übersehen werden, daß sichhier seit Trend zu mehr Freizeit 
tert die Zusammenfassung bisher ver- längerem durchgreifende Veränderungs- 
streuter Quellen in einem einzigen prozesse vollziehen: Vielfältigste tech- Parallel zur Verkürzung der Arbeitszeit 
Medium die Informationsbeschaffung nische Geräte gehören mittlerweile zur vergrößert sich im Tagesablauf von 
und ermöglicht der interaktive Dienste- selbstverständlichen Ausstattung (vom Berufstätigen der Block arbeitsfreier 
teil auch die Anbahnung von Kommu- Pkw über Küchenmaschinen bis zu Zeit. Ein großer Teil davon wird aber 
nikation. Doch muß derjenige, der dieses Schreibmaschine und Taschenrechner) durch Wegezeiten und durch diverse 
System für sich nutzbar machen will, und haben zur Anpassung der Alltags- KErledigungen mit Verpflichtungscharak- 
bestimmte kommunikative Vorausset- organisation an die neuen Möglich- ter (Einkäufe, Behördenangelegenheiten, 
zungen erfüllen: Neben relativ klar keiten geführt. Beispielsweise werden Bankgeschäfte, Kontakte mit Versiche- 
definierten Zielen (um an konkrete Tätigkeiten wieder im Haushalt erledigt, rungen und anderen Organisationen) der 
Inhalte überhaupt heranzukommen) die zeitweise durch Inanspruchnahme freien Verfügung entzogen, wird zur sog. 
muß er in der Lage sein, seine alltäg- von Dienstleistungen hinausverlagert „Halbfreizeit“. In dem Maße, wie Bild- 
lichen Angelegenheiten in EDV-gerechte worden waren (wie die Wäschepflege); schirmtext die Möglichkeit eröffnet, 
kleine Teilschritte zu zerlegen, falls er beispielsweise haben sich Versorgungs- _routinemäßig wiederkehrende Aufgaben 
auch solche Angelegenheiten über Bild- gewohnheiten geändert durch die Mög- losgelöst von den durch Standorte und 
schirmtext in Angriff nehmen möchte, lichkeit langfristiger ‚Lagerung - teilwei- Öffnungszeiten (Eigenzeiten von Organi- 
die nicht nur immer wiederkehrende se kombiniert mit Eigenproduktion- von Ssationen) gegebenen Restriktionen von 
Routine sind. Dies - neben der Tatsache, verderblichen Lebensmitteln durch Tief- zu Hause aus zu erledigen, wird die indi- 
daß Anschaffung und Betrieb zur Zeit Kühlgeräte. An die Stelle der Inan- viduelle Zeitautonomie vergrößert: Die 
nicht gerade billig sind - bedeutet, daß spruchnahme von Dienstleistungen tritt Nutzbarkeit der arbeitsfreien Zeit, die 
Bildschirmtext zunächst vor allem denen zunehmend die Anschaffung von Gerä- Verfügbarkeit darüber nimmt zu. Man 
Vorteile bringen kann, die bereits jetzt ten, die die „Eigenproduktion“ der benö- kann z.B. Erledigungen auch auf ein 
einen Informationsvorsprung haben, tigten Dienstleistungen ermöglichen (vgl. verregnetes Wochenende konzentrieren 
über den größeren Aktionsradius verfü- Gershuny 1983). . und sich dafür Freizeit an Wochentagen 
gen und auch jetzt schon die besseren Bildschirmtext schafft nun die Mög- schaffen. Bildschirmtext könnte also - 
Möglichkeiten besitzen, Kontakte anzu- lichkeit einer qualitativ weitergehenden um es auf ein Schlagwort zu bringen - den 
knüpfen und ihre Interessen geltend zu Technisierung. Indem es elektronisch „Trend zur Freizeitgesellschaft“ verstär- 
machen. den privaten Haushalt direkt mit außer- ken. 
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