Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1984, Jg. 17, H. 73-78)

strukturell und sicherheitstechnisch gegeneinander abge- physischen Kraftaufwand, der kaum auf Dauer durchzuhalten 
grenzten Lebensbereichen verschiedener sozialer Gruppen In- sein wird, also der institutionalisierten Regelung und Verfesti- 
nerhalb einer Stadt auch als „Normalisierung“ der Stadtstruk- gung bedarf. 
tur bezeichnen. Der Normalzustand der europäischen wie der . - Un . 
nordamerikanischen Stadt ist der scharfer Segregation. Das SC dieser Tan pessimistischen Argumente ist 
gilt schon für das Mittelalter wie für die von Engels beschriebe- tattbau ein Modell für eine politische Gegenperspektive und 
ne englische Industriestadt des 19. Jahrhunderts. Die Stadt- zwar einmal aufgrund ihrer sozialen Basis, zum andern aber 
entwicklung in West-Deutschland nach 45 bis Ende der 70er auch als einer anderen thematischen Bestimmung von Kom- 
Jahre ist demgegenüber ein Sonderfall geblieben. Kriegszer- munalpolitik, nämlich als vorwiegend Sozialpolitik und 
störungen und tiefgreifende Umwälzungen durch große weniger als Förderung der Wohnungsproduktion. Die woh- 
Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen (Straßen, U- und S-Bahn) nungspolitischen Effekte solcher Selbsthilfeeinrichtungen 
haben die sich erst über längere Zeiträume durchsetzenden dürften minimal sein. Ihre sozialisatorischen Effekte dagegen 
Segregationsprozesse unterbrochen. Große, auf soziale kaum. Sowohl hinsichtlich der Entfaltung alternativer Lebens- 
Mischung ausgerichtete Stadterweiterungen und die Zerstö- und Arbeitsformen wie hinsichtlich der vorwiegend psychi- 
rung etablierter Milieus durch Stadtumbau zerstreuten die An- schen Stabilisierung von Randgruppen können solche Modelle 
gehörigen verschiedener sozialer Gruppen über das ganze sehr weitreichende Bedeutung erhalten. ; 
Stadtgebiet. Diese Faktoren werden in Zukunft keine bzw. eine ‚Das bisher Vorgetragene ist ein sehr vereinfachtes Krisen- 
geringere Rolle spielen. Eine „realistische“ Stadtpolitik wird vr sind hier auch keine Aussagen über notwendige Ent- 
die verbliebenen Wachstumspotentiale auszuschöpfen versu- Rich ungen gemacht worden, vielmehr nur über mögliche 
chen und deshalb ihre knappen Mittel auf die international ichtungen städtischer Entwicklungen. Und Stattbau ist si- 
wettbewerbsfähigen Strukturen konzentrieren. Beides zusam- cherlich auch nicht die einzig wahre Strategie. Sie ist nur ein 
men, der Fortfall der besonderen Bedingungen der Stadtent- Modell für die notwendige politische Strategie sowohl hin- 
wicklung nach 45 und eine kommunale „Realpolitik“ können sichtlich des sozialen Trägers künftiger Lösungen wie hin- 
längerfristig zu einer „Normalisierung“, d.h. einer schärferen sichtlich der notwendigen gesellschaftspolitischen Reichweite 
Segregation im Sinne der dreigeteilten Stadt führen. von Lösungsansätzen, die die Entwicklung zur dreigeteilten 
Das Entscheidende, das an diesem Bild der dreigeteilten Stadt verhindern könnten. 
Stadt deutlich werden sollte, und das bezieht sich auf die Dis- 
kussion über Krisen städtischer Entwicklung, ist, daß eine Zusammenfassung 
solche ’normalisierte’ dreigeteilte Struktur auf Dauer stabil a r 
sein kann. Es ist hierzu nur nötig, die Segregation der drei Ich habe zweierlei versucht deutlich zu machen: Einmal, daß 
Städte bewußt voranzutreiben, d.h. sie verkehrs- und sicher- von städtischer Krise im Sinne notwendiger Zusammenbruchs- 
heitstechnisch dichtzumachen. Eine erfolgreiche räumliche tendenzen weder jetzt noch in Zukunft in der Bundesrepublik 
Ausgrenzung der marginalisierten Gruppen mildert auch die gesprochen werden kann. Die Entwicklung der Städte ist 
politische Sprengkraft der Probleme der ausgegrenzten Grup- bisher relativ stabil gewesen und es zeichnen sich Modelle künf- 
pen. Diese sind ja eben dadurch definiert, daß sie über wenig tiger Stadtstruktur ab, die wahrscheinlich ebenso stabil sind. 
Vetomacht verfügen: Nicht als Besitzer von Arbeitskraft, denn, Zum andern aber, daß man von sich verschärfenden. und 
wenn überhaupt, so verfügen sie nur über Arbeitsplätze im un- veränderten Problemlagen sprechen kann, und zwar in allen 
qualifizierten, labilen Bereich des Arbeitsmarktes. Sie können drei zentralen Dimensionen städtischer Entwicklung: 
also, anders als das klassische Proletariat, wenig glaubhaft mit ® der raumstrukturellen, also einer Verletzung des Ziels der 
dem Entzug der Arbeitskraft drohen. Nicht als Konsumenten, ausgewogenen Raumstruktur 
denn auf ihre Kaufkraft ist kaum einer angewiesen. Und nicht ® der sozialpolitischen, also einer Verletzung des Ziels der 
um Nr en ger, nn unter ihnen nn ein hoher NE PO- gleichen Lebenschancen für alle sozialen Gruppen 
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Gesellschaft der beschäftigten, deutschen Mittelschicht auf- .; N an . = 
grund sehr verschiedener Formen der Ausgrenzung zustande Diese drei Ziele einer humanen Stadtentwicklungspolitik 
gekommen sind: Ausländer, Alte, arbeitsiose Jugendliche, hängen eng miteinander zusammen, sind also auch nur gemeı1n- 
Suchtkranke leben in sehr verschiedenen sozialen Situationen, sam zu erreichen. Das aber würde weitreichende gesellschafts- 
haben deshalb auch sehr verschiedene, schwer vereinheitlich- politische Veränderungen voraussetzen. Und: Solche grund- 
bare Interessen. Da diese Gruppen ökonomisch schwach und sätzlichen politischen Veränderungen drängen sich nicht mit 
politisch schwer organisierbar sind, können sie sich gegen ihre der Logik gesellschaftlicher Entwicklungsgesetze oder vermit- 
räumliche Ausgrenzung nur wenig zur Wehr setzen. Und ihre telt über die Katharsis krisenhafter Zusammenbrüche auf. Das 
räumliche Ausgrenzung schafft sie auch als moralisches wäre fast beruhigend. Vielmehr ist zu befürchten, daß andere, 
Problem aus den empfindlichen Augen der Mittelschicht. Sie konservative Formen der „Lösung“ städtischer und gesell- 
werden faktisch unsichtbar. schaftlicher Probleme (die dreigeteilte Stadt) ebenfalls stabil, 
Gegenmodelle zu solcher Sektoralisierung sind sehr viel vielleicht sogar stabiler als progressive Modelle sein werden. 
schwerer vorstellbar, zumindest ist schwer zu sehen, wo der po- Und eben das ist das eigentlich Beunruhigende, daß wir in Zu- 
litische Träger für eine andere Stadtpolitik und damit eine kunft möglicherweise auch nicht mehr auf die aufklärerischen, 
andere städtische Entwicklung zu finden wäre. Allenfalls das kathartischen Funktionen einer politisch krisenhaften Zuspit- 
Beispiel der Stanbau in Berlin (vgl 71 ARCH+, S, 6) lieBesich mg der Stadtentwicklung hoffen können. Wenn die sozialen 
hier zitieren. Es repräsentiert eine Allianz von engagierten An- Bewegungen in den Städten ihre Entwürfe einer alternativen 
gehörigen der Mittelschicht und Intellektuellen und den Praxis nicht mehr mit dem Vertrauen in eine objektive Logik 
marginalisierten Gruppen. Sie war möglich, weil sich in Berlin gesellschaftlicher Entwicklung untermauern können, bleibt 
eine politische Subkultur entwickelt hat, die eine solche Allianz letztlich nur die Hoffnung auf intellektuelle Einsicht und der 
darstellt. Aber. dieses. politische Subjekt und damit auch moralische Appell. Beides schwache aber wohl realistischere 
Stattbau als eines der ersten ihrer Ergebnisse, ist hoch instabil. Positionen als die marxsche Vorstellung, die Krise werde die 
Stattbau und auf ähnlichen Allianzen beruhende Institutionen Mehrheit schon zum richtigen politischen Bewußtsein bringen, 
sind instabil aus zwei Gründen: 
a) Sie laufen immer Gefahr, am eigenen Erfolg zu scheitern, sei Anmerkungen 
SS dadurch, daß sie von der CIEUEN Zielgruppe überrannt ‚1 Überarbeitetes Manuskript eines Vortrags an der Gesamthochschule Kassel. Der Bei- 
werden, sei es, daß eine zynische Stadtpolitik ihnen die trag beruht auf Überlegungen, die ich unter dem Titel „Von der Notwendigkeit, es 
Problemfälle zuschiebt, bis sie zusammenbrechen. anders zu machen“ in der Frankfurter Rundschau Nr. 109 vom 11.5.83 und Nr. 110 
b) Sie können scheitern am Problem der Institutionalisierung EN d er de Ta FA Ä000 10 der FR VOM 31.12. 6 verbäeutlchs hate 
einer politischen Bewegung, die gerade mit dem Kampf ge- 1) Amt für Stadtentwicklung, Frankfurt, zitiert nach Helene Rahms: Eine Großstadt 
gen Ver regelung angetreten ist. Ander erseits verlangt das jetzi- 2) ehe Krdante ee ön Nun ton Bildschirmtext in privaten 
ge und beinahe einzige politische Machtmittel von Stattbau, Haushalten, Thesen Zur Frünjahrsstzung 1984 der Sektion Stadt- und  Remonalso: 
die hohe Mobilisierung der Beteiligten, einen psychischen und ziologie in der DGS, Manuskript Bochum. April 1984 
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